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Die Süsse der Zukunft heisst Steviol

Steviol-Glycoside, der Süssstoff aus der Steviapflanze, ist in der Schweiz auf Einzelbewilligung als Zusatzstoff zugelassen, in der EU noch nicht. Coca-Cola und PepsiCo setzen trotzdem auf diese kalorienarme Süsse.

von Alimenta Import

Stevia oder Steviol wird in letzter Zeit stark mediatisiert. Die «Nicht­zulassung» in der EU wird insbesondere seit der Beurteilung der gemeinsamen Bewer­tungs­gruppe für Lebensmittel und Lebens­mittel­zusatzstoffe (JEFCA) der Welt­ernäh­rungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO und der Weltgesundheitsorganisation WHO Ende 2008 von Verfechtern der Steviapflanze in Frage gestellt.

Die amerikanische Lebensmittelbehörde FDA hat Ende letzten Jahres das Rebaudiosid A, kurz Reb A, zugelassen. Coca-Cola und PepsiCo haben daraufhin das schnellstmögliche Erscheinen ihrer «zero-calories»-Getränke in den Regalen der USA angekündigt. «Coca-Cola Schweiz plant die Einführung dieses Getränks auf dem helvetischen Markt noch nicht», sagt Jasmin Kienast von Coca-Cola Infoline.

Migros hingegen wird nach Angaben von Pressesprecherin Monika Weibel in den nächsten Wochen mit zwei Getränken auf den Markt kommen (die Zulassung wurde Ende 2008 gegeben). «Coop prüft Stevia als Alternative oder Ergänzung zur Süssung mit Zucker oder künstlichen Süssmitteln. Entsprechende Produktneuheiten sind zum heutigen Zeitpunkt noch nicht spruchreif», sagt Pressesprecherin Denise Stadler.

Ricola und Nestlé möchten gar nichts zu Neuentwicklungen bekannt geben. Da das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Zulassungs­gesuche nicht publiziert, gilt abzuwarten, wer als Nächstes mit einem Steviaprodukt auf den Markt kommt.

Vom Kaugummi bis zum Getränk
Bereits im Jahr 2008 hat die Coca-Cola Company in den USA 24 Patente eingereicht, um alle möglichen Produkte wie Kaugummis, Bonbons und andere Süsswaren mit dem natürlichen, kalorienarmen Süssstoff herzu­stellen. Steviol-Glycoside sind wasserlöslich, hitzebeständig und pH-stabil.

Nach Angaben der Cargill, dem Hersteller von Truvia, einem Produkt mit 97% Rebau­diosid A, bietet dieser Süssstoff bei der Verarbeitung keine technologischen Probleme. «Der leicht bittere Geschmack kann mit der Zugabe von organischen Säuren oder Fructose neu­tralisiert werden werden», heisst es auf der Webseite der japanischen Vertreter der Stevia­pflanzenprodukte.

Dass der lakritzähnliche Bittergeschmack von Reb A bald kein Problem mehr sein sollte, gab Givaudan Mitte Februar 2009 bekannt. «Givaudan hat bereits sechs verschiedene Stoffe entwickelt, die den Nebengeschmack künstlicher Süssstoffe neutralisieren», heisst es in der Pressemitteilung. «Wir haben die Bitterstoffe von Rebiana analysiert und die entsprechenden Neutralisatoren dazu entwickelt. Damit wird es möglich, mit Rebiana Produkte herzustellen, die keinen un­angenehmen Nebengeschmack mehr haben.»

Für Umberto Leonetti von Storms, der Firma, die als erste in der Schweiz eine Zulassung für den Zusatzsstoff Steviol-Glycoside erhalten hat, bietet der Bittergeschmack kein Problem: «Es stimmt, dass dieser natürliche Süssstoff leicht bitter ist. Er lässt sich zum Beispiel nicht gut mit Kaffee kombinieren, eignet sich jedoch problemlos in einer Kombination mit Fruchtsäften oder Tee. Technologisch ­gesehen bietet er kein Problem, da er wasserlöslich und hitzebeständig ist.»

Bald Stevia rebaudiana statt Tabak?
Die Pflanze Stevia rebaudiana wurde vom Schweizer Moises Santiago Bertoni entdeckt, der das Kraut dem Chemiker Rebaudi zur Analyse übergab. Stevia ist ein Körbchen­blütler, nahe verwandt mit der Mate-Pflanze und stammt ursprünglich aus Paraguay und Brasilien. Die Blätter dieser Pflanze enthalten Steviol-Glycoside, die 200 bis 300 Mal süsser wirken als Zucker.

In der Zwischenzeit wird Stevia auch in Amerika, Kanada, China und insbesondere Japan angebaut. Nach Aussage des Stevia-Spezialisten Udo Kienle von der Universität Hohenheim ist der Anbau der ­Stevia nicht ganz einfach: «Einerseits ist die Vermehrung eher schwierig, und zweitens ist der Ertrag direkt von der Blattqualität abhängig. Die Pflanze braucht ausreichend Feuchtigkeit, darf jedoch nicht zu viel Regen ausgesetzt sein. Unsere Anbauversuche zeigen, dass Stevia anstelle von Tabak angepflanzt werden könnte. Pro Hektare kann ein Ertrag von rund 500 kg Süssstoff erwartet werden.»

Von der Extraktion zur Biofermentation
Steviablätter können getrocknet eingesetzt werden. Sie sind rund 13 Mal süsser als Sacharose. Industriell werden Steviol-Glycoside aus den Steviablättern mittels Wasserdampf extra­hiert und dann mit verschiedenen Verfahren je nachdem aufgetrennt und weiter konzentriert.

Der Begriff Steviol-Glycoside umfasst die sieben Substanzen, die von der JECFA bewertet wurden. Trotzdem wurde in den USA nur das Rebaudiosid A zugelassen. Umberto Leonetti von Storms befürchtet, dass sich Europa diesem Urteil anschliessen könnte. «Ich finde das eine Verschwendung. Wenn man bedenkt, dass ein Blatt rund 10% Steviol-Glycoside enthält, ist es doch einfach eine Verschwendung, nur die 2,4% Reb A zu benützen. Das zieht Pflanzenzüchtungen nach sich oder sogar GVO, um das Verhältnis von Steviosid zu Rebaudiosid zu ändern.»

Udo Kienle schliesst nicht aus, dass gewisse Firmen bereits daran sind, Rebaudiosid A synthetisch zu produzieren. «Ich denke, zurzeit ist der Markt noch zu klein, um eine solch teure Entwicklung und Produktion zu rechtfertigen, aber ich schliesse nicht aus, dass das kommen wird.» Dass die Produktion von Stevia bereits Engpässe aufweist, beweist die Suche nach neuen Produk­tionsstandorten der Firma Pure Circle, die mit Steviaprodukten auf Industriebasis handelt.

Süssstoff- oder Zuckerersatz
In Japan findet sich Stevia seit dem Verbot von künstlichen Süssstoffen vor 25 Jahren in vielen Produkten. Nach nicht offiziellen Angaben soll diese natürliche Süsse bereits einen Marktanteil von 40% erreicht haben. Fachleute in Europa und der Schweiz schätzen, dass Stevia nach der Zulassung den jetzigen Marktanteil künstlicher Süsstoffe erreichen wird.

Udo Kienle ist skeptisch, was die Zulassung von Steviol-Glycosiden betrifft: «Bei einer Konzentration auf 97% Rebaudiosid A bleiben immer noch 3% unbekannt. Was in diesen 3%, die beim Herstellungsprozess des Konzentrats entstehen, wirklich drin ist, ist zurzeit nicht bekannt».

Da die Cargill jetzt auch in Europa ein Gesuch eingereicht hat, wird sich zeigen, ob die Europäische Kommission einen Toxiko­logienachweis für diese drei Prozent verlangen wird. Eins ist jedoch sicher: «Sobald die EU einen Entscheid über die Zulassung von Stevia oder Steviol-Glycosiden gefällt hat, wird sich die Schweiz anschliessen», sagt Mathieu Emery vom BAG.