Mehr Wissen über Lebensmittelrecht
Lebensmittelrecht ist keine statische Grösse mehr, sondern es ist zum dynamischen Impuls geworden. Erstmals bietet eine Fachhochschule eine berufsbegleitende Fortbildung zum Lebensmittelrecht an.
Das Lebensmittelrecht ist im Fluss. Wie unermüdliche Wasserräder schaffen die Behörden zur Lebensmittelsicherheit neue Fluten von Rechtserlassen heran. Dank der immer engeren Verzahnung der Schweiz mit der EU ist es allerdings so, dass das Berner Rad sich dreht, weil die Brüsseler Gesetzesmühle ständig neues Recht produziert.
Ganze 55 Seiten umfasst eine Titelliste von EG-Richtlinien und Verordnungen über so unterschiedliche Gebiete wie Herkunftsangaben, gentechnisch veränderte Lebensmittel, Kennzeichnungsvorschriften und vieles mehr, die vom Europa-Institut der Universität Zürich im Auftrag des Bundes ständig aktualisiert wird.
Im Dezember 2008 haben der Europäische Rat und das Europäische Parlament neue Verordnungen verabschiedet, welche die Zulassung von Farbstoffen, Süssungsmitteln, Aromen und Enzymen neu regelt. Dass die Schweiz auch in diesen Bereich sehr rasch nachziehen wird, steht ausser Frage.
Auch die Wünsche der Schweiz zum Informationsaustausch mit der EU werden zu Änderungen im nationalen Lebensmittel-Hygienerecht führen. Stichworte hierzu sind die Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das europäische Frühwarnsystem für Lebensmittelsicherheit (RASFF).
Brüssel lässt wenig Spielraum
«Durch die zahlreichen Abkommen mit ihrem wichtigsten Wirtschaftspartner ist die Schweiz in vielen Bereichen gehalten, nicht vollkommen eigenes Recht zu schaffen, sondern sich formal wie inhaltlich an den Rechtsbestand der europäischen Gemeinschaft anzupassen», erklärt Tobias Baumgartner, Vizedirektor des Europa-Instituts (EIZ).
Auch sei das Lebensmittelrecht in den letzten Jahren verstärkt zum Gegenstand der Brüsseler Gesetzgebung geworden. «Ein europäisches Lebensmittelrecht hat sich peu à peu entwickelt und war bis 2000 nur bruchstückhaft geregelt», so Tobias Baumgartner.
Die mehr schlecht als recht bewältigte BSE-Krise der 90er-Jahre zeigte auf, dass die Zeit reif war für ein kohärenteres Gesamtkonzept des Lebensmittelrechts. In einem «Weissbuch zur Lebensmittelsicherheit» schlug die europäische Kommission ein Massnahmenpaket zur Modernisierung und Vereinheitlichung des Rechtsbestandes vor: Insbesondere sollte die Lebensmittel-Herstellungskette umfassend betrachtet, Risikobewertung und -management getrennt und die Grundsätze der Lebensmittel-Hygiene auf eine neue Basis gestellt werden.
«Ursprünglich waren Rechtserlasse der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) auf die Erleichterung des innergemeinschaftlichen Handels ausgerichtet. In jüngster Zeit spielt der Konsumentenschutz bei der Fortentwicklung des Lebensmittelrechts in der EU eine immer grössere Rolle», wie Baumgartner weiter erläutert.
Prominentes Beispiel ist der aktuell vom europäischen Parlament diskutierte Entwurf zu einer neuen Konsumenten-Informations-Verordnung. Viel zu reden gibt die von einigen Politikern angestrebte «Ampel-Lösung» auf Packungen. Als Alternative steht die prozentuale Angabe von Richtwerten für die tägliche Zufuhr von «Kalorien», Zucker, Fett usw. zur Diskussion.
Neues Angebot an der Fachhochschule
«Der Wunsch ist da, sich im Lebensmittelrecht besser zurechtzufinden», sagt Evelyn Anna Meier von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Im Auftrag des ZHAW-Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation und in Zusammenarbeit mit dem Europa-Institut hat sie einen Zertifikats-Lehrgang «Lebensmittelrecht» aufgebaut, der aus drei Modulen besteht.
Über die Rechtsaspekte branchenspezifischer Probleme hinaus gehe es darum, Orientierungswissen zu vermitteln. Das im ersten Modul vermittelte Basiswissen zum schweizerischen Lebensmittelrecht wird mit Fallbeispielen und Übungen ergänzt.
Im zweiten Kursblock sollen die Kursteilnehmer als Erstes befähigt werden, eigenständig Rechtsquellen zum europäischen Lebensmittelrecht zu finden. Hierzu dient ein Besuch des EIZ, der ermöglicht, die verschiedenen Datenbanken der EU-Behörden – auch zu Rechtstexten im Entwurfsstadium – nutzen zu lernen. Das Gespräch mit Experten vor Ort ermöglicht zudem, erste Ideen für die Abschlussarbeit zu sammeln.
Der Teufel liegt im Detail
Für Newcomers und Berufsleute, die sich einen methodischeren Zugang zur Materie verschaffen wollen, sei ein Kurs in die komplexe Materie der «Compliance» sicher ein guter Einstieg, sagen diverse Stimmen aus der Industrie.
Zahlreiche Detailprobleme seien aber nur durch Erfahrung zu lösen, gibt eine langjährige Mitarbeiterin im Qualitätsmanagement der Firma Haco in Gümligen zu bedenken.
Wie gelingt eine korrekte Übersetzung einer Deklaration in eine nicht alltägliche Sprache? Und im Gegensatz zur Schweiz, wo Unklarheiten bei der Interpretation des Gesetzes mit einem Anruf ans zuständige Amt ausgeräumt werden können, sei ein derart direkter Kontakt in anderen Ländern nicht möglich. Gute Beziehungen innerhalb der Branche und geeignete Suchstrategien helfen dann weiter.