De-facto-Moratorium für Nanofood
Nicht nur die Schweiz spricht über die Deklaration von Nanopartikeln in Lebensmitteln und Verpackungen. In der EU führt die fehlende Risikobewertung bis zur Aufforderung des Rückrufs sämtlicher solcher Produkte.
Unter dem Titel «Europa erklärt de facto Moratorium für Nanotech-Food» kommentiert eine australische Zeitung die erste Lesung des europäischen Parlaments über die neue Novel-Food-Verordnung. Am 25. März 2009 hat sich das EU-Parlament für mehr Sicherheit in der Nanotechnologie ausgesprochen. Dabei stellten die Abgeordneten fest, dass keine geeigneten Methoden zur Risikobewertung existierten, weshalb sie es vorziehen würden, Lebensmittel mit Nanomaterialien erst dann in eine Gemeinschaftsliste aufzunehmen, wenn sichere Bewertungsmethoden gefunden würden.
Weiter sprachen sich dieselben Abgeordneten für eine Kennzeichnungspflicht aus, wenn solche Produkte auf den Markt kommen sollten. Das Wort «Nano» soll dann in Klammern hinter dem Inhaltsstoff stehen, heisst es in der Pressemitteilung.
Da eine weitere Diskussion und ein etwaiger Beschluss erst nach den Wahlen in diesem Sommer erfolgen werden, ist dieses «De-facto-Moratorium» noch nicht Fakt.
Rückruf aller Nano-Produkte verlangt
Kurz nach der Lesung des europäischen Parlaments am 31. März doppelte das EU-Komitee für Umwelt nach. Es verlangt strengere Kontrollen der Nanotechnologie nach dem Prinzip Reach: keine Daten, kein Markt. Der nicht verbindliche Rapport verlangt einen Rückruf aller Produkte, die synthetische Nanotechnologie enthalten, bis deren Sicherheit garantiert werden kann.
Damit widersprechen sowohl das Parlament als auch der Umweltausschuss dem Gutachten der Europäischen Kommission, in dem angenommen wird, dass Nanomaterialien durch die existierende Rechtsgrundlagen abgedeckt werden können.
In der Schweiz schon lange im Gespräch
Im Januar dieses Jahres veröffentlichte das Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss eine Studie über «Nanotechnologie im Bereich der Lebensmittel». Darin wird unter anderem verlangt, dass das bestehende Lebensmittel- und Chemikalienrecht den Erfordernissen der Nanotechnologie angepasst werden sollte – eine Forderung, die später und mit Berufung auf diesen Bericht auch in Europa laut wurde.
Die Fial (Föderation der schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien) engagiert sich seit mehreren Jahren auf dem Gebiet der Nanotechnologie. Der Co-Geschäftsführer Beat Hodler sagt: «Eine korrekte Information ist wichtig, das heisst, die Konsumenten sollen wissen, was unter dem Begriff ‹Nano› heute zu verstehen ist: ausschliesslich ‹synthetische Nanomaterialien› im Grössenbereich der verschiedenen Definitionen (in der Regel mindestens eine Dimension unter 100 nm).» Deklarationen können hilfreich sein, doch ist noch unklar, wie diese konkret informieren sollen. Beispiele sind «ohne Nano», «nanoarm», «nanofrei». Grösser ist jedoch die Problematik bei Produkten, die «Nano» explizit ausloben, ohne aber irgendwelche synthetischen Nanomaterialien zu enthalten (Täuschungsartikel der LGV).
So wird beispielsweise ein fein geriebener Tee als «Nano-Tee» angepriesen. Wenn «Nano» ausgelobt wird, sollte auch «Nano» drin sein. Wer kann dies heute garantieren? Michael Beer von Bundesamt für Gesundheit sagt: «Die Zulassung von nanoskaligen Stoffen ist in der Schweiz für Lebensmittel durchaus geregelt. Die heute gültige Rechtslage ist so, dass jede substanzielle technologische Veränderung eines Lebensmittels bzw. Inhaltsstoffes, z.B. bei einem Zusatzstoff, eine Neubewilligung erfordert. Dieser Grundsatz gilt auch für Veränderungen der Partikelgrösse. In der EU ist die nanoskalige Veränderung bei den Zusatzstoffen nun explizit erwähnt, und wir werden dies in der Schweiz nachvollziehen.»
Hingegen ist sich Beer auch klar darüber, dass die Deklaration dieser Stoffe eine grosse Herausforderung darstellt: «Die Kennzeichnung ist eine andere interessante Frage. Ob und wie nanoskalige Stoffe in Lebensmitteln und/oder Lebensmittelverpackungen dereinst deklariert werden sollen, ist Gegenstand laufender Diskussionen mit Konsumentenorganisationen, Lebensmittelindustrie und Lebensmittelhandel. Der Prozess ist eben erst angelaufen. Resultate liegen noch keine vor.»
Verhaltenskodex der IG Detailhandel
Die Interessengemeinschaft Detailhandel Schweiz (IG DHS) hat bereits im April 2008 einen Verhaltenskodex unterschrieben, in dem die Mitglieder eine transparente Auslobung von Nanoprodukten befürworten. Bis eine verbindliche Definition für Nanotechnologie oder synthetische Nanopartikel geschaffen ist, verpflichten sich die Detailhändler zu einem verantwortungsvollen Umgang mit nanotechnologischen Produkten. Dass sich die Detail händler an diesen Kodex halten, bestätigt wiederum die TA-Swiss-Studie, aus der hervorgeht, dass in der Schweiz nur wenige Lebensmittel mit nanoskaligen Zusatzstoffen angereichert werden.
In Europa oder Übersee besteht kein solcher Kodex und die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA sagt in ihrer Studie klar, dass die Anzahl Lebensmittel oder Lebensmittelverpackungen auf dem Markt, die synthetische Nanopartikel enthalten, unbekannt ist. Übrigens wird in dem erwähnten Artikel aus Australien verlangt, dass die Lebensmittelbehörde Australiens und Neuseelands endlich erwache und ihre Einstellung zu Nanomaterialien drastisch ändere.
Die Risikobewertung fehlt weltweit
Das nationale Institut für Gesundheit und Sicherheit der USA (Niosh) basiert seine Risikobewertung für Nanomaterialien auf 10 Hauptgebieten. In den dazu abgegebenen Erklärungen basiert diese Evaluation auf viel Forschungsarbeit und zum Teil unbekannten Methoden und Daten.
Auch die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat ein Gutachten zu den potenziellen Risiken von Nanowissenschaft und Nanotechnologie auf Futter- und Lebensmittelsicherheit veröffentlicht. Eine ihrer Aussagen ist: «Einerseits gibt es Analysemethoden für Nanomaterialien in Food/Feed und Gewebe, aber aufgrund des natürlichen Vorkommens von Nanomaterialien ist es selten möglich, das Vorkommen von technischen Nanomaterialien zu bestimmen. Auch einzelne chemische Substanzen aus Nanomaterialien können analysiert werden, jedoch ist keine Aussage über deren Vorhandensein in Nanoform möglich.»
Vielversprechende Resultate
Trotz dieser fehlenden gesetzlichen Grundlagen forscht die Industrie weiter. So haben zum Beispiel im Jahr 2007 die Universität Freiburg und das Nestlé-Forschungszentrum ein dreijähriges Abkommen zur Erforschung der strukturellen und materiellen Eigenschaften von Nährstoffen abgeschlossen.
Das Forschungsgebiet umfasst die Entwicklung von Verfahren zur Entschlüsselung von in der Natur vorkommenden mikroskopischen Strukturen und ihre Auswirkungen auf die Geschmacks- und Aromenwahrnehmung. Dieses Wissen wird dabei helfen, neue Nahrungsmittel zu entwickeln, die funktionelle Nährstoffe enthalten und damit einen positiven Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden haben.
Insbesondere im Bereich Verpackung zeigen sich Forscher und Entwickler sehr innovativ. Vor kurzem hat zum Beispiel ein Forscherteam aus den USA in der Zeitschrift «Science» einen Artikel über ein neues Verpackungsmaterial veröffentlicht. Die Erfindung basiert auf dem Blockieren der schädlichen Gase Nano-Polymere, wodurch Lebensmittel länger frisch bleiben sollen und dies erst noch mit weniger Verpackungsmaterial.
Nanoteilchen verursachen Megaprobleme
Dass die Nanotechnologie vielversprechende Resultate zeigt, offensichtlich umweltschonende und technologische Neuerungen birgt, ist unumstritten. Da die Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen jedoch noch nicht abgeklärt sind, die Analysemethoden grosse Mängel aufweisen und die Deklaration «Nano» noch nicht definiert ist, stehen Industrie, Behörden, Forscher, aber auch Konsumentenorganisationen vor einer grossen Herausforderung. Die Nanoteilchen bereiten vorläufig noch Megaprobleme.