80%-Regel wird getadelt und gelobt
Geht es nach dem Willen des Bundesrates, dürfen Lebensmittelhersteller künftig mit der Bezeichnung «Schweiz» werben. Doch nicht nur Metzger tun sich schwer mit der dazugehörigen 80%-Regelung.
«Die Swissness-Vorlage würde den Tod des Bündnerfleisches bedeuten», ist der Solothurner Ständerat Rolf Büttiker, Präsident des Schweizerischen Fleischfachverbandes (SFF), überzeugt. Das Paradebeispiel schweizerischen Spezialitätenschaffens, Inbegriff der vielgelobten Swissness, und das bis anhin Türöffner für Schweizer Fleisch im Export sein sollte, ist aber nicht das einzige, das durch die neue Verordnung Probleme erhalten könnte. Bedeutet nun die Vorlage auch den Tod von Willisauer Ringli, Basler Läckerli oder den Gottlieber Hüppen? Süss- und Backwaren werden vorwiegend aus Biskuitmehl, Zucker und Fett produziert. Rohstoffe, die in der Schweiz teilweise in ungenügender Menge oder gar nicht produziert werden. Der inländische Biskuitweizenanbau vermöge die Nachfrage nicht zu decken, erklärt Olivier Schnyder, Direktor des Dachverbandes Schweizerischer Müller (DSM). Für die Produktion von Biskuitmehl seien spezielle Weizensorten mit spezifischen Eigenschaften nötig.
Das Kreuz mit dem Kreuz
Was sieht der vom Bundesrat verabschiedete Gesetzesentwurf vor? Das Positive zum Anfang: Für Schweizer Lebensmittel dürfte damit endlich offiziell mit dem Schweizerkreuz geworben werden. Dies wurde bis jetzt zwar häufig gemacht, ist aber illegal. Das Schweizerkreuz darf zum jetzigen Zeitpunkt einzig für Dienstleistungen, zum Beispiel auf der Heckflosse der Swiss-Flugzeuge, verwendet werden. Doch gleich danach folgt der für viele Lebensmittelproduzenten negativere Aspekt: Die mit dem Schweizerkreuz ausgezeichneten Produkte müssen zu einem Anteil von mindestens 80% des Gewichts aus Schweizer Rohstoffen bestehen. Der Bundesrat entschied dies Ende März aufgrund der Resultate aus der Vernehmlassung und der Arbeit einer interdepartementalen Arbeitsgruppe, die prüfte, wie die präzisierten Herkunftsvorschriften und die lebensmittelrechtlichen Deklarationspflichten nebeneinander bestehen können, ohne dass die vom Lebensmittelrecht verlangten Angaben zur Umgehung der Herkunftsregelung missbraucht werden. Bereits nach heutigem Recht müssen für Lebensmittel beide Regelungen, diejenige des Lebensmittelrechts, das zwingend die Angabe des Produktionslandes und der Rohstoffe eines Lebensmittels vorsieht, und diejenigen des Herkunftsangaberechts, das regelt, welche geografischen Herkunftsbezeichnungen werbemässig auf Produkten angegeben werden dürfen, eingehalten werden.
Swissness nicht zu Tode schützen
Nicht ganz glücklich mit der 80%-Regelung ist Werner Hug, Geschäftsführer der Hug AG, der die Situation mit der Uhrenindustrie vergleicht, wo das Metall für die Uhren schliesslich auch nicht aus der Schweiz stammt. «Wo beginnt Swissness und wo hört sie auf?», fragt er sich. Heute würden Produkte, die aus vielen Komponenten zusammengesetzt sind, dazugekauft. «Da stelle sich die Frage, für welche Rohstoffe es Sinn macht, sie in der Schweiz zu produzieren.»
In einer anderen urschweizerischen Traditionsbäckerei, der Gottlieber Spezialitäten AG, beurteilt Geschäftsführer Dieter Bachmann den 80%-Anteil als sehr hoch. Zum jetzigen Zeitpunkt würde er wohl nicht erreicht. Der Spezialitätenhersteller verwendet für die ungefüllten Hüppen gegen 100% schweizerische Rohstoffe, braucht aber für die Füllungen etwa zur Hälfte Rohstoffe aus dem Ausland. Bachmann ist der Ansicht, «dass, obwohl die Anstrengungen zum Schutz der Herkunftsbezeichnung Schweiz gut sind, man diese auch zu Tode schützen kann».
Swissness ist fakultativ
Anders als bei den lebensmittelrechtlichen Deklarationspflichten ist niemand gezwungen, die Swissness-Anforderungen zu erfüllen und seine Produkte mit der Bezeichnung Schweiz oder dem Schweizerkreuz auszuloben. Wer aber mit Swissness werben will, muss die vom Bundesrat festgelegten Kriterien erfüllen. «Um den Wert des Labels Schweiz zu erhalten, soll, wo Schweiz draufsteht, auch Schweiz drin sein», sagt Anja Herren vom Eidgenössischen Institut für geistiges Eigentum (IGE).
Keine Probleme mit der neuen Vorlage hat das Läckerli-Huus. Geschäftsführerin Miriam Blocher erklärt, dass ihr Produkt seit dem Mittelalter gleich geblieben und immer aus Schweizer Mehl hergestellt worden ist. Auch Reto Scheidegger, Emmi-Glace-Entwicklungschef, sieht keine Probleme auf die Emmi-Glacefabrikation zukommen: «Keine unserer Glacen enthält pflanzliche Fette, sondern nur Rahm und Magermilchkonzentrat.» Einzig Spezialzucker wie Glucose und Dextrose werden importiert. Dafür würden aber sicher Ausnahmen gemacht, sagt Scheidegger.
Feilschen um Ausnahmen
Hansueli Mütsch, Mitglied Geschäftsleitung von Midor, fordert die Verbände auf, aktiv zu werden, um Ausnahmeregelungen beim Institut für geistiges Eigentum zu erreichen. Gerade bei Biskuitmehl, das zu einem grossen Teil aus ausländischem Weizen gemahlen wird, sieht Mütsch Probleme. Auch er sagt, dass sich Mehl mit über 80% Inlandanteil technologisch schlecht zur Biskuitverarbeitung eigne. Weiter würde mit diesem Paragrafen bei Ölen und Fetten ein Problem entstehen.
«Sämtliche tropischen Öle und Fette werden importiert», erklärt Christoph Gsell, Geschäftsführer des Margarineherstellers Grüninger AG. «Denn Kokospalmen wachsen trotz Klimaerwärmung nicht in der Schweiz.» Klar ist die Swissness-Regelung für Öle und Fette aus inländischer Raps-, Sonnenblumen- und Sojasaat sowie für tierische Fette. Wie Zucker ist Raps nicht in genügender inländischer Menge vorhanden. Auf das ausländische Angebot zurückgreifen kann ein Lebensmittelhersteller für mit Swissness beworbene Produkte erst, wenn er nachweist, dass keine Inlandware verfügbar ist. Das Preisargument gilt nicht. Denn der Bundesrat hat in seinem Zwischenentscheid präzisiert, dass Ausnahmen von der 80%-Regel allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht zulässig sind.
Krisen sind Swissness-Killer
Die letzte Rezepturanpassung der Margarine aufgrund der Transfettsäureregelung hat ein einheimisches Produkt durch ein von weit her importiertes ersetzt. So musste gehärtetes Rapsöl laut Christoph Gsell aus der Rezeptur genommen werden und durch Kokos- und Palmöl ersetzt werden. Schon die BSE-Krise war ein Swissness-Killer. «Früher wurde in Margarine tierisches Fett eingesetzt, das jedoch durch BSE verteufelt wurde», sagt Gsell.
Derzeit arbeitet der Bund einen Ausnahmenkatalog aus. Der Bundesrat wird bis Ende Jahr die Botschaft verabschieden und sie dem Parlament zur Beratung überweisen. Erst dann wird das Tauziehen um Prozente beginnen. Eine Hoffnung für Lebensmittelproduzenten, die ihr Produkt mit «Schweiz» kennzeichnen, obwohl die Rohstoffe aus dem Ausland stammen, bleibt bestehen. Dann nämlich, wenn sie nachweisen könnten, dass ihre Kunden nicht unbedingt Schweizer Lebensmittel in der Packung erwarten.
Insgesamt könne die schweizerische Lebensmittelindustrie mit dieser Vorlage nur gewinnen, ist Hansueli Mütsch überzeugt und sagt: «Midor als Schweizer Lebensmittelhersteller hat ein vitales Interesse daran, dass die Swissness geschützt wird.»