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Kaizen – Diskutieren am Werkplatz

Mit der steigenden Komplexität des Angebots in der Lebensmittelbranche kommen Schwachpunkte zum Vorschein. Unternehmen fordern ­Mitarbeitende zum Mitdenken auf, um Ineffizienzen zu bekämpfen.

von Alimenta Import

Krisenzeiten sind aufschlussreich. In den nächsten Tagen wird der einst weltgrösste Automobilhersteller, die ameri­kanische General Motors, wohl Konkurs an­melden. Die japanische Toyota, obwohl von Verlusten nicht verschont, wird mit ihrer seit Jahrzehnten gepflegten Strategie der Qualitäts­sicherung und ihrer Fehlerevaluationskultur nun zum Branchenprimus. Toyotas qualitätsorientiertes Management setzt auf Verbesserung des Service und der Produktqualität
bei gleichzeitiger Senkung der Kosten und Herstellungszeit. Diesem Credo – in kleinsten Schritten immer besser werden – sollen alle Angehörigen eines Unternehmens, vom Firmenchef bis zur Hilfskraft, verpflichtet sein. Die «Veränderung zum Besseren» ist die Kurzdefinition des japanischen Begriffs «Kaizen». Oft wird auch vom kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) gesprochen.
 Was hat die Automobilindustrie mit der Herstellung von Lebensmitteln zu tun? Auch von der Lebensmittelindustrie wird erwartet, dass sie jederzeit in der Lage ist, die Produktpalette ständig zu erweitern, bei Kleinserien präzise zu arbeiten und «just in time» zu liefern. Und dies alles bei permanentem Kostendruck.

Alle Mitarbeitenden einbeziehen
Kaizen, als Methode in der Automobilbranche sehr verbreitet, dringt vermehrt in anderen Branchen vor, sagt Stefan Lambrecht, Berater des Kaizen-Institutes Germany GmbH, der ­selber mehrere Werke der Lebensmittelindus­trie betreut. «Kaizen ist mehr als nur ein Projekt mit definiertem Anfang und absehbarem Ende, sondern betrifft die Unternehmens­kultur als Ganzes», erklärt Bruno Schärer, Geschäftspartner von Profact AG, einem Organisationsberatungs-Unternehmen mit Kunden in der Konsumgüterindustrie. Schärer verdeut­licht die besondere Stellung von Kaizen: «Analysen zeigen immer wieder dasselbe Bild. In den meisten klassischen Programmen, die auf Rationalisierung betrieblicher Abläufe hin­aus­laufen, sind maximal 25% der Belegschaft beteiligt.» Meistens wird ein Kaizen-Prozess von der Unternehmensleitung initialisiert, ­indem sie eine spezialisierte Organisationsberatungs-Firma einlädt, um Moderations- und Problemlösungstechniken im Betrieb oder ­einer Abteilung in Gang zu setzen. Kaizen fängt zwar pragmatisch bei der Veränderung im Kleinen im Hier und Jetzt an, soll aber als
Teil eines integralen Qualitätsmanagements im Unternehmen verstanden werden. Ent­sprechend sind die Kaizen-Vorgehensweisen struk­­turiert: Die «5 S» zielen auf das Neuplanen und Verbessern sicherer, sauberer und gut struk­turierter Arbeitsplätze: «Seiso» steht für ­«Arbeitsplatz sauber halten», mit «Seiri» ist ­«Sortiere alles Nicht-Notwendige vom Not­wendi­gen aus» gemeint usw. Die sieben Muda (Verschwendungsarten) betreffen Unzulänglichkeiten im Produktionsprozess: Überproduktion, lange Umrüstzeiten, überflüssige Bewegungen als Folge einer nicht ergonomischen Anordnung von Werkzeugen, Wartezeiten, hohe Lagerbestände, zeitraubende Materialtransporte zwischen den Produktionslinien.

Lösungsansätze werden breiter akzeptiert
Der Molkereikonzern Emmi hat vor einem Jahr in einer ersten Produktionsstätte mit der Kaizen-Methodik angefangen. Gemäss Emmi-Geschäftsleitungsmitglied Othmar Dubach gelte es nun, das schlummernde Potenzial der Mitarbeitenden auszuschöpfen. Im Werk Kirchberg habe man begonnen, mit Workshops die Arbeitsplatz-Situation zu evaluieren und eingeschliffene Routinen zu hinterfragen. Am Anfang seien die Mitarbeitenden dazu skeptisch bis wohlwollend zurückhaltend gewesen. «Mittlerweile stellen sie fest, dass sie etwas beeinflussen können», so Dubach. Ob die Evaluation der Prozesse nach der Kaizen-Methodik auch in anderen Emmi-Werken Eingang finden wird, lässt Dubach offen. Man sammle Erfahrungen.
Auch der Suppen- und Convenience-Food-Hersteller Haco setzt auf den KVP in der Produktion. Die «lernende Fabrik» heisst das Langfrist-Projekt, das Haco-Personalchef Beat Bigler seit einem Jahr begleitet. Es sei noch zu früh, über die Ergebnisse des ehr­geizigen Prozesses zu berichten. 
Seit September 2007 hat die Chocolats Camille Bloch SA einen ähnlichen Prozess ein­geführt. Die «Total Productive Maintenance» setzt auf Einbezug der Leute an der Basis. «Mitarbeitende, die sich früher eher als ­Ausführende oder als Weisungsbefugte sahen, ­lösen nun zusammen in den Betriebsabläufen auftauchende Probleme. Das ist ein Kulturwandel», sagt der Produktionsleiter bei Camille Bloch, Guido Staeger: «Problemlösun­gen, die aus einem Moderationsprozess hervor­gegangen sind, haben generell eine höhere Akzeptanz.»

Es braucht Ausdauer
Lambrecht warnt vor allzu hoch gesteckten Zielen: «Einige Firmen streben nach kurz­fristigem Erfolg, dem sogenannten Rambo-Kaizen. Wir reden hier aber über einen Dauer­lauf und nicht über einen Sprint.» Nur Konsequenz, Disziplin und Ausdauer sicheren den langfristigen Erfolg. Wichtig seien auch geschlossene Regelkreise des Lernens, ergänzt Scherer von Profact. Und die unabhängige Organisationsberaterin Karin Martin, empfiehlt, die KVP-Prozesse so aufzugleisen, dass die Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigt sind (Seite 23).