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Nährstoffverlust durch Hocherhitzung?

Allgemein besteht die Befürchtung, dass ESL-Milch ernährungs-physiologisch schlechtere Werte aufweist als Pastmilch. Dieser Verdacht ist unbegründet.

von Alimenta Import

Für die Herstellung von ESL-Milch (extended shelf life) werden verschie­dene Verfahren angewendet. Einerseits wird durch Hocherhitzen der Vollmilch die Zahl unerwünschter Keime reduziert, andererseits kann nach der Entrahmung die Magermilch durch Mikrofiltration entkeimt, der Rahm pas­teurisiert und dann wieder beigemischt wer­den. Da die Porengrösse der Filter mit rund 1,4 µm Durchmesser grösser ist als die Molekül­massen der Vitamine, Mineralstoffe, Proteine und Kohlenhydrate, ist bei diesem Verfahren nicht mit Nährstoffverlusten zu rechnen.

Was passiert bei der Hitzebehandlung?
Durch Hitzebehandlung jedoch können Proteine, Aminosäuren und hitzelabile Vitamine generell geschädigt werden, was zu einem Nährstoffverlust führt. Auch bei der Lagerung ist je nach Durchlässigkeit der Verpackung und Restsauerstoffgehalt im Kopfraum bei zunehmender Lagerzeit mit weiteren Verlusten durch Oxidation zu rechnen. Da ESL-Milch bei der Verarbeitung einer höheren Tempe­ratur ausgesetzt wird als bei der Pasteurisa­-tion und auch länger gelagert werden kann, könnten daher auch grössere Nährstoffverluste auftreten.
Für die hitzelabilen Vitamine B1, B6, B12, C und Folsäure liegen die Verluste bei der
Pasteurisierung unter 10%, bei einer UHT-Behandlung zwischen 0 und 20%.
Verschiedene Versuche haben gezeigt, dass die Verluste der oben genannten Vitamine durch die etwas höhere Erhitzungstemperatur, welche bei der Herstellung der ESL-Milch gebraucht wird, leicht grösser sind, als bei der Pasteurisation, aber geringer als beim UHT-Verfahren. Weiter konnte gezeigt werden, dass die Verluste der Vitamine B1 und C bei diesem Verfahren am grössten sind. Der Beitrag der Milch (und Milchprodukte) zur Versorgung des Menschen mit diesen beiden Vitaminen ist ohnehin so gering, dass sie hier vernachlässigt werden können.

Direkte versus indirekte Erhitzung
Einen grösseren Einfluss als die Temperatur selbst hat die Art des Verfahrens (direkt oder indirekt). Bei indirekter Erhitzung traten auch nach vier Wochen Lagerung keine Verluste von Vitamin B6 auf, nach der direkten Erhitzung gingen aber während der Lagerzeit von vier Wochen rund 7% verloren. Beim Vitamin B12 und der Folsäure sind die Unterschiede zwischen den Erhitzungsverfahren sowohl ­direkt nach der Erhitzung als auch am Ende der Lagerzeit sehr gering. Da auch ESL-Milch gekühlt gelagert werden muss, bleiben die ­Vitaminverluste während der Lagerung ins­gesamt klein. Was den Vitamingehalt betrifft, ist ESL-Milch aus ernährungsphysiologischer Sicht einer Pastmilch also fast ebenbürtig.
Ein weit grösserer Einfluss des Hoch­erhitzungsprozesses ist dagegen im Gehalt des ß-Lactoglobulins feststellbar. Beim indirekten Verfahren werden zwei Drittel des Molkenproteins denaturiert, während das direkte Verfahren schonender ist. Doch auch hier ­werden rund 50% des ß-Lactoglobulins de­naturiert. Molkenproteine sind sehr reich an ­essenziellen Aminosäuren, die der Mensch für den Aufbau und den Erhalt der körpereigenen Proteine benötigt, aber nicht selber herstellen kann. Durch die Denaturierung wird die Struktur der Proteine verändert, wobei sie ihre biologische Aktivität verlieren können. Auch werden sie leichter verdaulich, was für unseren Stoffwechsel sogar von Vorteil sein kann.
Die Hocherhitzung hat also aus Sicht der Ernährung nur einen kleinen Einfluss auf
die Verfügbarkeit der Nährstoffe in der Milch, der Verlust bei den Vitaminen ist gering und die Denaturierung der Molkenproteine führt möglicherweise sogar zu einer verbesserten Verdaubarkeit. Damit stellt die ESL-Milch in Bezug auf die Nährstoffversorgung für den Konsumenten eine gleichwertige Alternative zur Pastmilch dar.
*Die Autorin arbeitet an der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP).