Imitate leiden unter Preisbaisse
Lebensmittel-Analoge oder -Substitutionen zu «natürlichen Produkten» wurden seit Jahren produziert, aus verschiedenen Gründen. Billigimitate, besonders bei Käse, sind mit fallenden Rohstoffpreisen weniger attraktiv.
«Was soll man auch erwarten bei 99 Cent pro Tiefkühlpizza?» Diese Aussage in einem der im Internet zahlreichen Foren zu Analogkäse bringt die Problematik der Substitutionsprodukte auf den Punkt. «Was so billig ist, kann nun einfach mal nicht ‹echt› sein», schreibt ein anderer. Und weiter: «Die Leute müssen endlich wieder verstehen, dass Lebensmittel ein kostbares Gut sind.» Obwohl das in unserer Überflussgesellschaft gar nicht so leicht ist. Die Nahrungsmittelindustrie beschränkt sich längst nicht nur auf Milchprodukte, hergestellt mit billigem Pflanzenfett. So würden mittlerweile ganze Sea Food künstlich hergestellt. Im Internet kursieren Gerüchte, wonach auch McDonald’s mit seinem FishMac, der nur 2% Fisch enthalte, Konsumenten täusche. McDonald’s-Sprecherin Nicole Schoewel widerspricht: Das Plätzli enthalte 75% Fisch. Der Rest von 25% besteht aus Panade, Maismehl, Weizenstärke usw.
Eine Frage … der Ethik?
Ist es auch eine Frage der Ethik, tierische Originalprodukte durch pflanzlichen zu ersetzen? Warum sollte dies nicht sinnvoll sein? Besonders wenn täglich über klimaschädliche, weil «furzende Kühe» zu lesen ist, finden viele Konsumenten im Internet, dass gerade bei Fleischersatzprodukten die Sache mit dem «Synthetischen» optimal sei. So gibt es Konsumenten, die in Analoglebensmitteln die Entwicklung eines gut schmeckenden Fleischersatzes – ein Kunstfleisch aus biologischen Zutaten – eine Entlastung vom Anbau für Futtermittel sehen. «Ich finde es klasse, rein pflanzlich hergestellten leckeren ‹Schafskäse› zu geniessen», schreibt etwa ein Forumsteilnehmer.
… des Preises
Laut Experten stagniert das Interesse – bedingt auch durch die mediale Präsenz – an der Produktion von Analoglebensmitteln. «Besonders bei Käseanalogen ist mit dem Ende der Preishausse auch der wirtschaftliche Anreiz gesunken», sagt etwa Eduard Hauss vom österreichischen Lebensmitteltechnolgischen Zentrum, das Firmen hilft, Analogprodukte zu entwickeln. Auch Daniel Schneider vom Milchverarbeiter Swiss Premium AG, Dietikon, sagt, dass seit Anfang Jahr das Interesse stark abgenommen habe. Die Firma hat einen letzten Herbst vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) zugelassenen Käse auf der Basis von Milch mit pflanzlichen Fetten, den Pizzabella-Spezialfrischkäse, entwickelt. Laut Schneider war dieser gegenüber herkömmlichen Mozzarellaprodukten um rund einen Franken günstiger. «‹Pizzabella Spezialfrischkäse mit pflanzlichen Fetten› war unsere Antwort auf die hohen Milchpreise», sagt Schneider. Doch auch die seit 1971 Mozzarella produzierende Käserei hat das Projekt wieder fallen gelassen, denn diejenigen Gastrokunden, welche schon vorher immer billigst
Ware nachfragten, kaufen gemäss Schneider nun auch importierte Billig-Mozzarella oder Mozzarella-Imitate, die laut dem Fachmann vollständig chemisch hergestellt werden. Ausserdem konnte, verursacht durch die fallenden Milchpreise, Pizzabella nicht mehr konkurrenzfähig hergestellt werden. Schliesslich kommt es laut Schneider nicht zuletzt darauf an, wo der Käse eingesetzt wird. Im Detailhandel werde eher noch auf die Qualität geachtet. Auch in der Gastronomie beträgt der Preisunterschied nur 15 Rappen zwischen einem hochwertigen oder einem Billigimitat-Mozzarella. Dies spricht laut dem Gastrozulieferer gegen Imitate.
Anders schätzt eine Studie des europäischen Milchhandelsverbandes (Eucolait) die Situation ein. Obwohl darin der Absatzmarkt für Analogkäse in Deutschland für das Jahr 2008 auf ungefähr 20?000 Tonnen geschätzt wird, was nur gerade 1% des tatsächlichen Käsemarktes entspricht, wird die Menge an Käseimitaten, die für die Verarbeitungsindustrie verwendet wird, als wachsende Konkurrenz auf dem Markt gesehen. Dieses Marktvolumen würde im 2008 für Portugal, Spanien, Italien, Frankreich, Grossbritannien und Deutschland auf 1,3 Mio. Tonnen geschätzt. Noch vor vier Jahren betrug das Marktvolumen 1,2 Mio. Tonnen.
… des Geschmackes
Schon 2001 schrieb Hanspeter Bachmann von der Forschungsanstalt Agroscope ALP, dass der negativste Aspekt am Substitutionskäse sein Geschmack sei, der nicht an denjenigen von echtem Käse herankomme.
Doch über Geschmack lässt sich nicht nur streiten, sondern der lässt sich auch übertünchen. So sagt Daniel Schneider, dass gerade bei Pizza mit scharfem Öl und Pfeffer nachgeholfen werden kann. Dennoch lasse sich feststellen, ob der Mozzarella darauf echt und von guter Qualiät ist oder nicht. Denn wenn der «Käse» nach dem Erkalten kompakt wie eine Platte wird und keine Fäden mehr zieht, liegt der Verdacht nahe, dass wohl ein Günstigprodukt oder gar ein Käseersatz zum Zug gekommen ist. Laut Daniel Wechsler von der Forschungsanstalt Agroscope ALP wird in den nächsten Jahren das Bedürfnis, solche Imitate auch analytisch nachzuweisen, an Bedeutung gewinnen.
… der Gesundheit
Nicht aus preislichen Überlegungen, sondern aus gesundheitlichen hat Nestlé das Sunny-
Joghurt auf den Markt gebracht. Auch Emmi hat neben dem Benecol-Drink einen Käse, den Minicol, der vollständig aus pflanzlichen Komponenten besteht, entwickelt. Laut Klaus Kühefuss wird dieser ausschliesslich in England über die Emmi-Tochter Emmi UK vertrieben und wirkt sich positiv auf einen erhöhten Cholesterinspiegel aus. Kühefuss betont, dass die pflanzlichen Sterole, die die cholesterinsenkende Wirkung haben, deutlich teurer als Milchfett sind. Emmi stellt im Inland sonst nur noch Magerkäse bis zu einem Fettgehalt von 5 Prozent F.i.T. für die Industrie her, bei dem die Technologie jedoch nicht chemisch ist.
Das Bedürfnis des Konsumenten nach tierfettfreien Produkten hat Nestlé schon vor fünf Jahren aufgenommen und ist auf den Substitutionszug aufgesprungen. Eine neue Generation von Milchprodukten sollte es werden. Das erste Joghurt mit pflanzlichen Fetten aus Sonnenblumen, das trotz weniger Fett gleichwohl herrlich cremig munden sollte. Heute sagt Rouven Lochmüller vom Nestlé-Marketing, dass damals die Produkte sowie die Geschmackstests sehr positiv ausgefallen waren. Doch die Produktelinie, mit welcher die Innovationsführerschaft der Marke Hirz hätte unterstrichen werden sollen, hatte keinen Erfolg.
Speiseeisproduzenten sind in den letzten Jahren vermehrt wieder dazu übergegangen, auch Glace mit Rahm, da besser auslobbar im Hinblick auf Swissness, anzubieten.
… oder der Kontrollen
In Bayern wurden in 30 von 78 Fällen Imitate statt des angeblichen Schinkens gefunden.
Der Berner Kantonschemiker Otmar Deflorin hat trotz der allgegenwärtigen Imitatthema-tik keine Zunahme der Verletzungen von lebensmittelrechtlichen Bestimmungen festgestellt. Wenn es klar deklariert ist, ist es nicht unerlaubt, und er erwähnt als Beispiel die Deklaration «Fleischerzeugnis gekocht», die für rekonstruiertes Fleisch korrekt ist, oder «Pizza Prosciutto», auf welcher zwingend Schinken und zwar vom hinteren Stotzen, sein muss. Für Otmar Deflorin stellen Dauerbrenner wie Heilanpreisungen für Functional- oder Wellnessfood immer noch das grössere Problem dar.