Das EU-Recht ist Futter für Juristen
Nahrungsergänzungsmittel und angereicherte Lebensmittel unterliegen in den EU-Staaten dem EU- und den nationalen Rechten. In der Schweiz fallen sie in die Kategorie «Speziallebensmittel» oder «mit Gesundheitsanpreisung».
«Die Hauptschwierigkeit bei der Anpassung des Schweizer Lebensmittelgesetzes an dasjenige der EU ist der unterschiedliche Lebensmittelbegriff. In der Schweiz sind Lebensmittel Nahrungs- oder Genussmittel, also Erzeugnisse, die dem Aufbau und dem Unterhalt des menschlichen Körpers dienen und nicht als Heilmittel angepriesen werden. In Europa hingegen sind es Stoffe oder Erzeugnisse, die vom Menschen aufgenommen werden», sagt Elisabeth Nellen-Regli, Leiterin der Sektion Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Und genau dieser Unterschied schaffe Fallstricke beim Import und Export von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) und Speziallebensmitteln, findet Marquard Imfeld, Senior Advisor bei der Bioresco AG in Basel.
Ein- und Ausfuhr ist trickreich
Die unterschiedlichen lebensmittelrechtlichen Konzepte der Schweiz und der EU erschweren Ein- und Ausfuhr von NEM und angereicherten Lebensmitteln erheblich. Unterschiede gibt es nicht nur in der Definition des Begriffs Lebensmittel, sondern auch bei der Nährwertkennzeichnung, der Definition NEM, den gesundheitsbezogenen Angaben, der Herkunftsbezeichnung, der Zulassung und den neuartigen Lebensmitteln und Zutaten. Ein Beispiel sind die Botanicals, die in der Schweiz nicht als Lebensmittel gelten, sondern eher als Gewürz oder Aroma. Wenn sie nicht dem Aufbau und Unterhalt des Körpers dienen, fallen Botanicals unter den Begriff Heilmittel. In Europa hingegen gehören sie zu den Lebensmitteln. Möchte man ein Produkt, sei es
ein NEM oder ein Lebensmittel mit Zusatznutzen, exportieren, muss man nicht nur abklären, ob es in der Schweiz zugelassen ist, es muss auch im Bestimmungsland verkehrsfähig sein. Und dort gelten sehr unterschiedliche Regeln. Mit der Übernahme des Lebensmittelbegriffs der EU kann die Schweiz den Grenzverkehr erleichtern, nur wird dies noch einige Jahre dauern.
Weiteres Warten auf Nährwertprofile
Peter Loosen, Rechtsanwalt des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) spricht von der «Grossbaustelle Health Claims», wenn er auf die Nährwertprofile und nährwert- bzw. gesundheitsbezogenen Angaben zu sprechen kommt. Er rechnet mit einer definitiven Entscheidung bezüglich der Nährwertprofile in den nächsten zwölf Monaten, das bedeutet eine Verabschiedung im Jahr 2010 und die Anwendung 2012, denn die kommissionsinterne Abstimmung steht noch aus, und ein weiteres Vorgehen ist noch nicht geplant. Der momentane Vorschlag sieht weder «positive» Nährstoffe vor noch die Berücksichtigung der Bedeutung eines Lebensmittels in der Ernährung und der «gesamten Nährwertzusammensetzung» eines Lebensmittels.
Bei den nährwertbezogenen Angaben legt die CIAA, die Europäische Vereinigung der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, eine eigene Liste vor, die bedeutend ausführlicher ist als diejenige der EU. Diese hat immerhin den ursprünglichen Anhang nährwertbezogener Angaben, z.B. um Energie (mehr, weniger) und einfach/mehrfach ungesättigte Fettsäuren, ergänzt. Aber definitiv ist noch nichts.
«Bei den gesundheitsbezogenen Angaben hingegen sieht es ganz einfach fürchterlich aus», sagt Peter Loosen. Hier wird es vermutlich 2012 werden, bis die lang erwartete Liste der gesundheitsbezogenen Angaben, Artikel 13, endlich veröffentlicht wird. Das Problem ist, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein sehr hohes Bewertungsniveau angesetzt hat, dem beinahe keine Anfrage stand hält. Um diese Anforderungen zu bestehen, müssen wissenschaftliche Nachweise erbracht werden, vor allem Humanstudien. «Die Anforderungen für Arzneimittel sind weniger streng. Solche Anträge kann
sich ein Mittelständler gar nicht leisten», sagt Andreas Hahn, Leiter Abteilung Ernährungsphysiologie und Humanernährung, Leibnitz-Universität Hannover. Das ist nachvollziehbar, denn eine Pilotstudie mit 40 bis 60 Patienten kostet zwischen 60?000 und 80?000 Euro.
Alles liegt noch in der Schwebe
Die grosse Unentschiedenheit bei der Einführung des neuen EU-Lebensmittelgesetzes und die vielen Unklarheiten machen es dem Marketing schwer, seine Produkte korrekt und trotzdem interessant und erfolgreich anzupreisen. Und genau dieser grosse Spielraum, der durch diese Nichtentscheide der EU-Kommission gegeben ist, führe dazu, dass die Mitbewerber sich untereinander anzeigten, um nicht hintenanzustehen, sagt Moritz Hagenmeyer, Krohn-Rechtsanwälte, Hamburg. «Das ergibt Juristenfutter, bringt aber weder Industrie noch Konsumenten wirklich weiter.»