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Eine Reise der Hoffnung im Jura

Bundesrätin Leuthard reiste in letzter Zeit oft. Von Japan über Südkorea bis Brasilien. Alles im Namen des Freihandels. Eine Reise für die ­Sache der Milchwirtschaft führte sie in die Hügellandschaft des Juras.

von Alimenta Import

11.35 Uhr, Grenzregion Bern/Jura: Der Akt ist schnell vollzogen. In der Stille der ­waldigen Hügel hallen knappe Anweisungen, kurze Worte mit klaren Gesten durch den ­monotonen Landregen. Polizisten des Kantons Bern übergeben eine bundesrätliche Delegation ihren jurassischen Kollegen.
12.15 Uhr, Abbatiale de Bellelay: Geschäftiges Treiben in der altehrwürdi­gen ­Kirche. 120 Juroren aus dem In- und Ausland be­gut­ach­ten, fühlen, riechen, ver­kosten aus 15 Kate­go­rien 631 Sorten Berg­­käse. Plötzliche Hektik. Die Bundesrätin trifft ein. Der Präsident der Caseus montanus, Gerar­do Beneyton, nimmt Frau Leuthard in Em­pfang. Jacques Gygax, Direktor von Fromarte, erklärt die Bedeutung der olympischen Spiele, und Franz Birchler, Chef der Jury, führt die Magistratin in die Geheimnisse der Sensorik ein.
12.50 Uhr, Domaine de Bellelay: Ein sauberer Schnitt trennt das Band. Das Tête-de-Moine-Museum, in dem mit schweren tanni­gen Bal­ken gebauten Raum der Domaine de Bellelay, ist durch die Schere Doris Leuthards eröffnet. Die Sicherheitsleute mit schwarzen Regenschirmen mahnen zur Weiter­fahrt.
13.45 Uhr, Landstrasse Bellelay?–?Saignelégier: Schwarze Limousinen fahren in erhöhtem Tempo auf der nassen Landstrasse. Nebelschwaden steigen aus den Klüften des schroffen Kalksteins auf und legen sich über die mit massigen Tannen durchsetzten Weiden, wo Freibergerpferde ruhig im strömenden ­Regen weiden. Jetzt, irgendwo, überqueren
die Limousinen die Wasserscheide zwischen Nord­see und Mittelmeer. Plötzlich taucht am Strassenrand eine Skulptur aus weissen Siloballen auf. Ein Mahnmal der Unzufriedenheit der Milchbauern mit der Preissituation.
14.55 Uhr, Saignelégier: Der Konvoi fährt in der Pferdehauptstadt ein. In schwarzen Lettern steht ein weiteres Mahnmahl –138!– an einer Hauswand. Es geht um die Loslösung des Kanton Juras von Bern. Doch die Bundesrätin ist hier, um der Olympiade, dem Käse und auch der Milchwirtschaft die Ehre zu erweisen.
15.15 Uhr, Olympisches Dorf: Der Duft von Fondue hängt in der Luft. In 70 Chalets präsentieren Bergkäsehersteller ihre Delikatessen. Die Bundesrätin bleibt da und dort stehen, lässt sich eine besonders gelungene Spezialitätenkreation erklären.
15.35 Uhr, Festzelt Saignelégier: Ein Novum: Zum ersten Mal tritt eine Frau in die Confrérie du Gruyère ein. Nach Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz ist es der zweite Bundesrat. Leutnant Philippe Bardet im hohen, schwarzen Zylinderhut lässt Doris Leuthard den Treueschwur leisten. Sie würdigt den Gruyère als Qualitätsprodukt.
16.30 Uhr, Eröffnung der Olympiade: Auf der Käsemarktbühne erhält Doris Leut­hard das olympische Feuer.
16.49 Uhr, Käsemarktbühne: Der Eklat. Plötzlich fliegen Stiefel. Schwarze Regenschirme spannen sich blitzschnell auf und beschützen die Rednerin. Der Griff eines Leibwächters mit der rechten Hand in die Westentasche. Eskaliert die Szene? Doris Leuthard erinnert die erhitzten Gemüter von Uniterre, dass es sich hier um eine Olympiade handelt – Pfiffe, Buhrufe –, die immense Arbeit der Organisatoren  drohen durch diese Aktion zunichte gemacht  zu werden– wieder fliegen die Stiefel –, mit weiteren 28 Millionen Franken wird die Milch­wirtschaft gestützt – Pfiffe –, immerhin erhalten die Schweizer Milchproduzenten 30 Rappen mehr als ihre ausländischen Kollegen. Die Uniterre-Milchproduzenten lassen sich nicht beruhigen. «On veut la parole», skandieren sie. Polizisten schwärmen durch einen Nebeneingang ins Zelt, bahnen sich ihren Weg durch die 28 Wurfgeschosse und stellen sich vor die Bühne. Die Bundesrätin will die Olympiade eröffnen. Jetzt gelingts noch halbwegs. Enttäuschung und Wut bei vielen Organisatoren. Die Bundesrätin verlässt den Raum.
17.10 Uhr, Saignélegier:
Rotoren dröhnen. Der Superpuma mit der Bundesrätin hebt ab, dreht noch eine letzte Runde über dem olympischen Dorf und entschwindet Richtung Bundeshauptstadt. Nach ein paar Stunden herrscht Stille in den Weiten der Jurazüge. Es hat aufgehört zu regnen. Nur in der Ferne, aus dem olympischen Dorf, dringen Musikfetzen der Alpinvagabunden durch die jetzt sternklare Nacht.