Drehscheibe für Neues und Wichtiges
Dank einer Plattform für die Lebensmittelsicherheit soll die Milchproduktbranche die Sicherheit ihrer Produkte belegen und die Akzeptanz von Schweizer Rohmilchkäse sichern. Neue Fragestellungen werden angegangen.
Die Lebensmittelsicherheit ist für die Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP seit langem ein Thema. So auch 1984, als nach dem grossen Listerien-Ausbruch in Vacherin Mont-d’Or der Bundesrat den Auftrag erteilte, ein Listeria-Monitoring-Programm aufzubauen. Ebenfalls für die zahlreichen Betriebsberatungen in Käsereien und Verarbeitungsbetrieben mit Fragen zu mikrobiologischen Risiken oder zur Kontaminationen von Käse durch Lösungsmitteldämpfe.
Veränderte Rahmenbedingungen in der Lebensmittelsicherheit, die zunehmende internationale Vernetzung und Angleichung von Standards (bilaterale Verträge, ISO 22?000) und neue potenzielle Risiken (emerging risks) führten zu einer neuen Initiative bei ALP. Projektübergreifend wurde 2008 die Lebensmittelsicherheitsplattform ins Leben gerufen. Sie ist Drehscheibe für alle Informationen zum Thema, dient der Beantwortung von Kundenanfragen durch Spezialisten und der Planung von Forschungsarbeiten.
Aus der Fülle von Themen hat eine Arbeitsgruppe das Schwergewicht auf die Gefahren/Produkte-Kombinationen gelegt, die wegen ihrer Häufigkeit und gesundheitlichen, finanziellen und imageschädigenden Wirkung am bedeutungsvollsten sind. Dies sind die mikrobiologische Sicherheit von Schweizer Rohmilchkäse, die Reduktion von Rückständen in Futtermitteln, Milch, Käse und Honig sowie die Vermeidung der Kontamination durch Verpackung und Zusatzstoffe. Diese Schwergewichte sind immer noch zu umfangreich und benötigen eine weitere Verfeinerung. Ziel ist das Zurverfügungstellen von aktuellem Wissen, damit die Branche die Sicherheit ihrer Produkte mit international akzeptierten Systemen belegen kann und so die Akzeptanz von Schweizer Rohmilchkäse und dessen Export gesichert sind.
Brennende Themen
Seit 2007 ist die Gruppe der Verotoxin-/Shigatoxin-bildenden Coli-Bakterien (VTEC, STEC) in Rohmilchkäse ein wichtiges Thema. Vertreter dieser Keimgruppe sind verantwortlich für schwere, blutige Durchfallerkrankungen, die vor allem bei Kindern zu akutem Nierenversagen führen können. Stichprobenartige Kontrollen durch die Lebensmittelbehörden sind nötig, gerechtfertigt und finden statt. Positive Befunde können einen Eintrag in
das europäische Schnellwarnsystem RASFF (Rapid Alert System for Feedstuff and Food) zur Folge haben. VTEC wurden in Deutschland und der Schweiz auch im Rahmen der nationalen Monitoringprogramme untersucht (siehe Kasten). Auch wenn das Risiko als klein eingestuft wird, ist die imageschädigende Wirkung genauso ernst zu nehmen wie die gesundheitsschädliche. Betroffene Betriebe wurden von ALP beraten, die Situation mit einem Intensivmonitoring geklärt und Empfehlungen zur Verbesserung der Produktsicherheit abgegeben. Die Branche wurde mit einem Workshop zu VTEC, dem RASFF und zur Risikokommunikation im Spätherbst 2008 informiert. Ab 2010 wird im Rahmen einer Dissertation an unbeantworteten Fragen gearbeitet.
Dass solche und ähnliche Fragen nicht nur Schweizer Forschende interessieren, wurde am von ALP zusammen mit dem SAFE Consortium im Dezember 2008 organisierten internationalen Workshop «Safety Issues of Raw Milk Cheese» klar. Das Interesse an Lebensmittelsicherheitsthemen in Rohmilchkäse ist in Europa und in Übersee brennend. Aus dem Workshop konkretisieren sich erste Forschungskooperationen.
Im Rahmen einer Semesterarbeit an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft (SHL) wurde die zuverlässige mikrobiologische Untersuchung des Bruchs analysiert. Sie ist bedeutend für die korrekte Ermittlung der Prozesshygienekriterien für koagulasepositive Staphylokokken. Die Resultate zeigen, dass bei der Untersuchung von zehn Gramm Bruch eine genügend grosse Probemenge vorliegt, um nach dem Abtropfen während zehn Minuten aussagekräftige Resultate zu erbringen. Entscheidend ist eine genügend lange Abtropfzeit, damit der Bruch nicht mit Sirte verdünnt wird.
Kontamination durch Lactobacillus buchneri?
Bei einer Rohmilchkäse produzierenden Käserei kam es zu Reklamationen wegen Magen-Darm-Beschwerden. Messungen der biogenen Amine ergaben 532 mg/kg Histamin und
407 mg/kg Tyramin. Die Untersuchung weiterer betroffener Produkte zeigte, dass die Konzentrationen bis 1500 mg/kg ansteigen können. Im Rahmen laufender Forschungsarbeiten wurden die Gehalte an biogenen Aminen in diversen Sortenkäsen untersucht und die Ursachen für die teils erhöhten Gehalte an Histamin und Tyramin vertieft abgeklärt. Als Ursache für hohe Gehalte wurden Enterokokken (Tyramin) und Lactobacillus buchneri (Histamin) identifiziert. Es wurde festgestellt, dass die Käse einzelner Käsereien systematisch erhöhte Gehalte an Histamin aufweisen. Aus solchen Käsen mit hoher Belastung an Histamin konnte wiederholt Lactobacillus buchneri isoliert werden. Dieser Keim wird einerseits in der Literatur oft als wichtiger Verursacher von erhöhten Histamingehalten genannt und ist andererseits auch klassischer Bestandteil der mikrobiellen Flora von Silagen. Es konnte inzwischen gezeigt werden, dass die in Silierkulturen eingesetzten Stämme von Lactobacillus buchneri kein Histamin bilden. In weiteren Arbeiten soll nun versucht werden, die Kontaminationsquellen von Käsereimilch mit Lactobacillus buchneri ausfindig zu machen.
Anfragen zum Eintrag von Pyrrolizidinalkaloiden (Stichwort Jakobskreuzkraut) in tierische Lebensmittel gab es schon 2008. Die Sichtung der Literatur und grobe Abschätzungen zeigen, dass ein Eintrag in Lebensmittel möglich ist. Betroffen sind Honig, Getreide und Milch. Zusammen mit anderen Bundesstellen und im Rahmen des Agroscope- Forschungsprogramms NutriScope wird das Thema weiterbearbeitet.
Die Unterstützung der Branche in der Vermeidung von unerwünschten Zusatzstoffen wurde bereits vor einigen Jahren in Angriff genommen. Die Methode zum Nachweis von Lysozym in Milch und Milchprodukten ist weitgehend entwickelt und wird vorerst als ISO/IDF Technical Specifications publiziert. Das ist bedeutungsvoll, da der Standard dann in der Lebensmittelkontrolle verwendet werden kann. Dieser sollte 2010 publiziert werden.
Bleibt weiterhin aktuell
Lebensmittelsicherheit wird ein relevantes Thema bleiben. Dies umso mehr, als das geltende Hygienerecht die Inverkehrbringer von Lebensmitteln mit der Eigenverantwortung in die Pflicht nimmt. Nicht jeder Betrieb verfügt aber über die personellen Ressourcen, um sich intensiv mit diesen Fragen auseinandersetzen zu können. Umso wichtiger sind funktionierende Netzwerke und Kontakte, wenn unerwartet Fragen auftauchen. Die ALP Arbeitsgruppe Lebensmittelsicherheits-Plattform verfügt über ein grosses Experten-Netzwerk und eigene Erfahrungen.
*?Die Autoren arbeiten an der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP.
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