Die Krux mit den Kleinstteilchen
Wenn die Technologie der Zukunft in der Gegenwart angelangt ist, ergeben sich Probleme. Die Akzeptanz in Einsatzgebieten wie den Nahrungsmitteln ist hierzulande gering. Aber sie birgt auch ein riesiges Potenzial.
Eine Pizza, die bei unterschiedlichen Mikrowellenfrequenzen ihren Geschmack ändert, gehörte vor einigen Jahren zu den Vorzeigebeispielen der Nanotechnologie. Reine Phantasie, jedenfalls bislang. Inzwischen präsentieren sich die möglichen Anwendungen im Bereich der Nahrungsmittel etwas realistischer. Eine bessere Aufnahme von Inhaltsstoffen durch Nanoemulsionen gehört ebenso dazu wie das Ersetzen von Cholesterin in Fleisch durch pflanzliche Steroide. «Schöner, frischer, gesünder», so fasst eine im letzten Jahr publizierte Studie von TA-Swiss, dem schweizerischen Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung, die Verheissungen von Nano-Nahrungsmitteln zusammen.
Nano kaum in Lebensmitteln eingesetzt
Doch zur Aufbereitung von Lebensmitteln werden nanotechnische Verfahren bisher kaum eingesetzt. Zwar laufe die Forschung auf Hochtouren. «Aber das Risiko des Imageverlustes ist den Verarbeitern derzeit noch zu gross», sagt Markus Widmer von der St.?Galler Innovationsgesellschaft. Das renommierte Nano-Beratungsunternehmen befasst sich seit langem mit der nachhaltigen und sicheren Nutzung neuer Technologien – schwergewichtig mit der Nanotechnologie. In diesem Zusammenhang berät die Firma Industriekunden und Behörden in Fragen des Risikomanagements. Dabei ist der Umgang mit Unsicherheiten immer eine zentrale Herausforderung.
Die Innovationsgesellschaft befürchtet, dass synthetische Nanomaterialien, Materialien also, deren Bestandteile durch menschliche Bearbeitung auf eine Grösse von 1 bis 100 Nanometer reduziert wurden, im Herstellungsprozess zu einer «Black Box» werden. Dies deshalb, weil bislang wichtige Informationen über das Verhalten dieser Stoffe fehlen oder nicht der Lieferkette entlang weitergegeben werden. Konsumentenschützer fordern denn auch eine obligatorische Auszeichnung dieser Produkte beim Endkunden.
EU: Nano-Food-Label im Entstehen?
In der EU ist eine obligatorische Deklaration im Bereich der Kosmetika bereits beschlossen. Ab 2013 müssen sämtliche Produkte, die synthetische Nanopartikel enthalten, angemeldet und deren Vorhandensein auf der Verpackung ausgezeichnet werden. Derzeit handelt es sich dabei zum Beispiel um den UV-Filter Titandioxid. Die Innovationsgesellschaft geht davon aus, dass eine ähnliche Regelung auch
bei Nahrungsmitteln kommen wird. Das entsprechende Verfahren befindet sich aktuell beim Europäischen Parlament in der zweiten Lesung.
Vorerst will das EU-Parlament aber gar keine Lebensmittel mit Nanopartikeln zulassen. Anfang Mai hat dessen Umweltausschuss entschieden, keinen «Nano-Food» auf die Liste der zugelassenen neuartigen Lebensmittel (Novel Food) zu setzen. Die Innovationsgesellschaft diskutiert diese Fragen in ihren Beratungen mit betroffenen Firmen. Viele Unternehmen wollen wissen, was die Zukunft bringt und wohin die Reise geht.
In der Schweiz ist vorderhand zwar nicht vorgesehen, ein generelles Zulassungsverfahren einzuführen. Hingegen könnten auch hier mittelfristig Bewilligungen für nanoskalige Lebensmittelzusatzstoffe oder Bestandteile kosmetischer Mittel (UV-Filter) anstehen, wie es beim Bundesamt für Gesundheit heisst.
Der Effekt ist umstritten
Eine Deklaration und vor allem deren tatsächlicher Informationsgehalt sind umstritten. Besonders die Produzenten und Verarbeiter von Nanomaterialien befürchten, dass sie von den Konsumenten als Gefahrensymbol missverstanden werden könnte und dadurch eine unbegründete Angst geschürt wird.
Eines der wichtigsten Ziele von Forschern und Entwicklern ist es, nicht dieselben Fehler zu wiederholen, die einst bei der Einführung gentechnisch veränderter Organismen, vorwiegend bei der grünen Gentechnik, gemacht wurden. Damals wurden die meisten Bedenken, die von Konsumenten geäussert wurden, von den Entwicklern negiert. Die Folge davon war, dass die Akzeptanz der neuen Technologie weitgehend fehlte oder immer noch fehlt und sich daraus eine breite Opposition bildete. Bei der Nanotechnologie hingegen ist die Risikodiskussion ein Teil der Entwicklungsarbeit. «Sämtliche Betroffene stehen in einem intensiven Dialog», sagt Markus Widmer.
Verpackungsindustrie ist voraus
Im Verpackungsbereich sind Forschung und Entwicklung viel weiter fortgeschritten als bei den Lebensmitteln. In gewisser Weise ist dies ein Spiegel der Akzeptanz in der Bevölkerung. Hauchdünne Nanoschichten aus Aluminium oder Aluminiumoxid schirmen eingepackte Snacks oder Schokoriegel gegen Sauerstoff, Wasserdampf oder UV-Licht ab. Oder die Sperreigenschaften von PET-Flaschen werden verbessert, indem sie mit Nanopartikeln beschichtet werden. Die neuseeländische Jenkins-Gruppe bietet eine Nanofolie an, die mit Aromastoffen reagiert, die von reifen Früchten freigesetzt werden. Je nach Reifegrad der Frucht nimmt die Folie eine andere Farbe an.
In europäischen Laboratorien wird versucht, umweltfreundliche Verpackungen aus Naturfasern, besonders aus Holzfibern, zu entwickeln und sie durch Schichtsilikat möglichst undurchlässig zu machen, wobei gleichzeitig ihre mechanischen Eigenschaften verbessert werden sollen. Die EU investiert in das Forschungsprojekt Sustain Pack 36 Mio. Euro.