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Erich Windhab: «Es fehlt an der Zusammenarbeit»

Hersteller, Forscher und Politiker müssen enger zusammenrücken, um in der Schweiz Innovationen auf den Weg zu bringen. Davon ist Erich Windhab, Professor für Lebensmittelverfahrenstechnik an der ETH, überzeugt.

alimenta: Herr Windhab, welche Rolle spielt Innovation für eine wettbewerbsfähige Schweizer Lebensmittelindustrie? Prof. Erich Windhab: Eine entscheidende. Es ist ein Schweizer Konzept, über Innovation die Nasenlänge Vorsprung zu gewinnen, welche höhere Produktpreise rechtfertigt. Aber man könnte bezüglich Innovationen in der Lebensmittelindustrie wesentlich mehr tun, die vorhandenen Ressourcen werden aus meiner Sicht bislang nicht hinreichend ausgeschöpft. Wo liegt das Problem? Es fehlt die strategisch abgestimmte Aktion. Die Akteure – Industrie, Forschung und Politik – müssten besser koordiniert zusammenwirken. In der Industrie selbst könnten etwa grosse und kleine oder mittelständische Firmen viel mehr zusammenarbeiten, zum Nutzen beider Seiten. Die Schweizer Forschungsorganisationen, wie der Schweizerische Nationalfonds SNF und die Kommission für Technologie und Innovation KTI, könnten weitergehend ineinandergreifen, was zu mehr Synergien führte und zu mehr Umsetzung aus den Grundlagen heraus. Und schliesslich in der Politik, wo viele Kantone lokalen Innovationswillen demonstrieren, sei es beim Aufbau von Innovationsparks, StartUp- und Spinoff Förderung oder «seed money» Aktionen für innovative Ideen. Aber jeder Kanton schaut eher für sich und es fehlen der sichtbare politische Schulterschluss und eine übergeordnete strategische Koordination in Abstimmung mit der Lebensmittelindustrie. Wie könnten grosse und kleine Lebensmittelhersteller zusammenarbeiten? Meine Erfahrung zeigt: Wenn man die Grossen mit den KMU zusammenarbeiten lässt, dann können Letztere stark vom Weitblick und von den Forschungsaktivitäten der Grossen profitieren – und die Grossen profitieren von der Vielfalt der Ideen der KMU. Neue gemeinsam entwickelte Ideen und Problemlösungen, die KMU in lokalen oder Nischenmärkten umsetzen, können die Grossen in ihre globale Strukturen übertragen und auf Weltmarkt-Ebene umsetzen. Das ergibt eine Win-Win-Situation. Bedingung dafür ist, dass man offen miteinander umgeht, derartige Chancen identifiziert und eine Interaktionskultur zwischen Global Enterprise und Schweizer KMU entwickelt. Dieses Potenzial wird bislang leider viel zu wenig genutzt. Wieso? Es sind offensichtliche Berührungsängste vorhanden. Die KMU haben Angst, mit Ihren Interessen im Getriebe der Grossen verloren zu gehen und die Grossen sehen in aller Regel keine Notwendigkeit mit den KMU zusammenarbeiten. In diese Richtungen orientierte Argumente habe ich immer wieder gehört. Dabei sind in wenigen praktizierten Fällen zumindest teilweise offenkundigen Synergien klar nachweisbar. Für die Global Player kann die Schweiz eine echte Innovationplattform sein, es gibt hier exzellente Rahmenbedingungen für Neuentwicklungen. Da scheinen auch die Grossen manchmal zumindest auf einem Auge blind. Die Schweiz ist im internationalen Innovationsindex die Nummer Eins. Wir haben in der Schweiz eines der besten Bildungssysteme in universitären sowie Berufsausbildungsbereichen, SNF und KTI unterstützen Forschung in die «akademische Tiefe» sowie applikationsorientiert mit Möglichkeiten auch der Unterstützung kompetitiver Innovationsprojekte und die Schweiz ist weltweit eine der erfolgreichsten Entwicklungsplattformen für Startup/Spinoff Firmenentwicklungen. Darüber hinaus ist der Schweizer Lebensmittelkonsument im internationalen Vergleich an der Spitze hinsichtlich seiner Bereitschaft, für Lebensmittel entsprechender Qualität höhere Preise zu bezahlen. Das heisst, die Puzzleteile für Entwicklung einer Schweizer Lebensmitel-Innovationsplattform liegen eigentlich bereit zur Aktion auf dem Tisch. Es fehlt am Umdenken in den Köpfen, um die Puzzleteile zusammenzusetzen? Absolut. Ich habe mit vielen Beteiligten zu tun und stelle fest, man hat dort die Schlussfolgerungen nicht konsequent gezogen Deshalb habe ich mich entschieden, künftig verstärkt zu versuchen, die strategische Chance der Schweiz in diesem Kontext herauszustellen und zu bewerben. In diesem Sinne habe ich mich bereit erklärt, für die Schweizerische Akademie der technischen Wissenschaften (SATW) neu die Leitung der SATW Themen-Plattform «Lebensmittel-Technologie» zu übernehmen. Teil der SATW-Mission ist es, Politik und Gesellschaft Informationen zu relevanten technischen Zukunftsentwicklungen zu vermitteln und entsprechende Themenschwerpunkte zu forcieren. Vielleicht kann ich hier einen Beitrag im vorgenannten Sinne leisten. Sie leiten schon lange den Arbeitskreis Schokoladentechnik an der ETH, an dem grosse und kleine Schokoladenhersteller beteiligt sind. Ist die Schoggibranche bei der Zusammenarbeit einen Schritt weiter? Ja, das ist ein gelebtes Beispiel für die beschriebene Art der wünschenswerten Zusammenarbeit. Grosse und kleine Firmen arbeiten zusammen, es wird wissenschaftliche Forschung mit Tiefgang betrieben, aber auch anwendungsorientiert. Der Arbeitskreis ist auch erfolgreich darin, KTI-Projektmittel zu akquirieren, an die KMU sonst nicht so gut herankommen. Der Arbeitskreis «Schokladentechnik» ist 21 Jahre alt und hat in 23 Projekten 14 Patente, 45 Veröffentlichungen in peer reviewed Zeitschriften, 56 Vorträge und 4 internationale Preise generiert. Einige der Patente haben bei verschiedenen Firmen mit verschiedenen Teilhabern und Lizenznehmern zum Teil beträchtliche Frankeumsätze im dreistelligen Millionenbereich generiert. Damit wurde bereits ein interessantes Stück Schokoladen-Technologie Erfolgsgeschichte geschrieben. Auch Swiss Food Research (SFR) hat dieses «Industrie Arbeitskreis-Muster» aufgenommen und schlägt Brücken, etwa bei der Getreideforschung und deren Umsetzung für das Brot- und Backgewerbe. Bei Lebensmittelprodukten mit speziellem «Genusswert» sind die Margen in aller Regel deutlich höher, als bei Commodity-Produkten. Damit ist auch mehr Geld für Forschung vorhanden. Aber wir müssen in der Schweiz auch in Commodity-Bereichen mehr tun. Ich sehe zunehmend häufig und mit gewissem Erstaunen, dass mancher gute Schweizer Brand bei bestimmten Retailern zum Teil mit 30 bis 50 Prozent Rabatt auf bestimmte Produkte angeboten wird. Das kann der Anfang vom Ende sein. Wenn wir uns in der Schweiz auf «Commodity-Spiralen» mit Herstellern und Retailern aus anderen Ländern ernsthaft einlassen, brauchen wir in zehn Jahren in der Schweiz keine Lebensmittel mehr zu produzieren... Welche Sektoren wären prädestiniert? Die Schweiz steht für Premium bei Kaffee, Schokolade und Glacé – also häufig bei Produkten, wo «Genusswert» im Spiel ist. Auch bei bestimmten Backwaren, Snacks, Getränke- und auch Milchprodukten gib es noch Qualitätsvorsprung. Viele Schweizer Mittelständler kombinieren Know-how und Unternehmertum in gekonnter Weise und stellen Produkte her, die weltweit unerreicht und beliebt sind. Aus dem Backwarenbereich zum Beispiel die Cornu SA in in Champagne oder deren Tochter Roland AG in Murten, mit denen wir zusammenarbeiten. Cornu SA musste aber einen Teil der Produktion nach Rumänien verlagern. Natürlich, Schweizer Firmen stehen alle unter zunehmendem Druck. Die Globalisierung nimmt zu, Subventionen entfallen zunehmend oder sind schon länger nicht mehr vorhanden. Deshalb muss man den Schulterschluss für eine konzertierte Interaktion jetzt angehen, und nicht in 5-10 Jahren, wenn alle schon überlegt haben, wohin sie gegebenenfalls am besten verlagern.. Manche sagen, die ETH selber liefere zu wenige Ergebnisse, welche die Industrie verwenden kann. Das sehe ich nicht so, aber vielleicht verkaufen wir uns manchmal nicht richtig. Fakt ist: Radikale Innovationen entstehen aus neuen Grundlagenerkenntnissen heraus. Am Institut für Lebensmittelwissenschaften, Ernährung und Gesundheit (IFNH) der ETH Zürich sind wir inzwischen elf ordentliche Professoren, vor zehn Jahren waren wir noch sechs.. Wir gehen damit heute viel tiefer, aber auch breiter in die Grundlagenforschung. Der mittelständische Anwender sagt vielleicht: Das brauchen wir alles gar nicht. Andererseits haben ETH-Professoren vielleicht manchmal auch Mühe, ihre innovativen Forschungsergebnisse für die Industrie relevant zu übersetzen. Aber was die ETH in der Lebensmittelforschung an neuen Erkenntnissen bieten kann, wird in erweitertem Umfang anwendbar und nutzbar, wenn man die Transferfunktionen ausbaut. Es bedarf einer Stärkung der Übersetzerqualitäten von erweiterten innovativen Grundlagen in mögliche Applikationsfelder zum Beispiel durch umsetzungsorientierte ETH-Professuren, aber auch durch mit der ETH kooperierende Fachhochschulen und Forschungsinstitute. Muss ein Forscher auch ökonomisches Verständnis haben? Mit an Innovationsprozessen beteiligten Firmen muss ja ausgehandelt werden, wer welche Informationen wann erhält, wer welche Patente anmelden kann... Ja, das ist zum Teil anspruchsvoll, aber meines Erachtens sollten sich auch Grundlagenforscher zumindest mit möglichen Anwendungshorizonten ihrer Forschungsbereiche befassen, sonst reden die Beteiligten aneinander vorbei oder verstehen sich gar nicht, wenn es um einen gewissen Grad an ökonomischer Wertschöpfung geht, die ja schliesslich auch Voraussetzung für die Finanzierung der Spitzenforschung ist. Als ingenieurtechnisch orientierter ETH-Forscher muss ich mich umso mehr damit beschäftigen, was einen Business Case ausmacht, da ich mich als solcher verstärkt in einer «Übersetzerrolle» für die industrielle Anwendung befinde. Wir folgen als Wissenschaftler einer internationalen Spitzen-Universität, welche die ETH zweifellos repräsentiert, vielleicht etwas zu strikt einer US-amerikanisch geprägten Definition des Spitzenforschers . Diese sieht eine möglichst hohe Anzahl an Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften mit hohem Impaktfaktor sowie möglichst hoher Anzahl an Zitierungen vor. Dies stellt zunächst noch keinen volkswirtschaftlichen Nutzen dar. Um einen solchen zu generieren, muss ich als Wissenschaftler in aller Regel mit Leuten zusammenarbeiten, die verstehen, wie man daraus einen Business Case mit Markterfolgsaussichten generieren kann. Diesen Ansatz verfolgt etwa die Schweizer KTI, indem Sie für relevante Projekte die Kombination aus Innovation und Business Case fordert. Jeder, der einen Forschungsantrag bei der KTI stellt, muss neben einer innovativen Entwicklungsidee auch ein realitätsnahes Business Case Szenario entwickelt und mit Firmenpartnern abgestimmt haben. Die Vergabepraxis der KTI ist zum Teil umstritten. Werden gute Projekte aus der Lebensmittelbranche von der KTI immer bewilligt? Umstritten? – Vielleicht aus Sicht von Antragstellern, welche die Qualitätsanforderungen an die beiden Elemente einer KTI Antragstellung unterschätzen, nämlich Innovationsansatz UND Business Case. Aus meiner eigenen Erfahrungspraxis in der Begutachtung von KTI Gesuchen stelle ich fest, dass Antragsteller aus dem Agro-Lebensmittelbereich manchmal schwach in Darstellung und insbesondere Absicherung der Innovationsaspekte sind, teilweise auch  nachbesserungsbedürftig im Business Case. Mit Swiss Food Research (SFR) hat sich das um Einiges gebessert, aber es kann noch deutlich weiter verbessert werden. Was man sich in der Zusammenschau der im Lebensmittelbereich avisierten Forschungsrichtungen oft verstärkt wünschen würde, ist ein strategischer Masterplan, der neben der Verfolgung internationaler Forschungstrends eben auch Schweiz-spezifische Elemente hinsichtlich Innovation und ökonomischer Wertschöpfung gewichtet. Für die Schweiz sollten wir meines Erachtens eine Art Swiss Food System 4.0 angehen. Ein solches liesse die Agro-Food Wertschöpfungskette zielführend und innovativ integrieren. So könnte man auch die vorhandenen Spitzenkompetenzen in den Bereichen der Digitalisierung (Internet of Things (IoT), des additive Manufacturing (3D-Printing), der in-line Sensortechnik und Robotik nutzen. In diesen Bereichen gibt es global agierende Firmen mit Hauptsitz oder Entwicklungsaktivitäten in der Schweiz, aber auch höchst innovative KMU und Startups. Eine Spezialität des Swiss Food System 4.0 sollte die prominente Einbindung des Verbrauchers sein. Diesen zum Mitentwickler und Controller zu machen, könnte einen effizienten Weg zur Gewinnung des Konsumentenvertrauens darstellen. So könnte man über die Schweizer Grenzen hinaus Qualitätsmassstäbe für Lebensmittel vermitteln, Das wäre eventueller ein Weg heraus aus der Commodity-Spirale, welche für die Schweizer Lebensmittelindustrie wenig Zukunftsaussicht bietet. .

«Jeder denkt in seinem Schuhkarton, die Firmen, aber auch die Forscher.»
Was heisst das konkret? Es wird zum Beispiel über einfache Visualierung oder auch komplexe in-line Sensoren in der Produktion vermehrt Möglichkeiten geben, dass der Verbraucher etwa den Salatkopf oder das Steak, welche später auf seinem Teller landen werden, über die ganze Wertschöpfungskette verfolgen kann. Dies wäre gekoppelt mit einer Herkunftskontrolle der Rohstoffe, der Kontrolle von Inhaltsstoffen, aber auch möglichen Kontaminanten. Wir müssen mehr unabhängige Kontrolle in die Hände der Verbraucher legen, um deren Vertrauen zu gewinnen und sie zu motivieren, Genuss-, Ernährungs- und Nachhaltigkeitsaspekte von Lebensmittelprodukten und damit deren Preis-Leistungsverhältnis objektiver bewerten zu können. Dazu gehört am Ende auch, zum Beispiel mit Heim-Diagnose Messgeräte direkt kontrollieren zu können, welchen Einfluss gesunde, qualitativ hochwertige Lebensmittelprodukte auf Indikatorwerte für bestimmte Gesundheitsaspekte wie Fettleibigkeit, Diabetes, koronare Erkrankungen oder Krebsrisiko und die tägliche «Leistungs-Performance», nehmen.

Welches sind die vielversprechendsten Forschungsprojekte an Ihrem Institut? Wir haben in den letzten 15-20 Jahren ein recht umfassendes mechanistisches Grundlagenenwissen zu funktionalen Strukturbildungen in Lebensmittel-Herstellungsprozessen unter mechanischen, thermischen und nicht-thermischen Prozessbedingungen erarbeitet. Hierzu konnten wir beispielsweise am Paul Scherrer Institut (PSI), wo ein Partikelbeschleuniger steht, diesen nutzen, um hochauflösende Strukturuntersuchungen an Lebensmitteln unter industrieprozessnahen Bedingungen mittels Röntgen- und Neutronenstrahlen vorzunehmen. Dies betrifft Strukturaufklärungen auf verschiedenen Längen- und Zeitskalen, etwa zum Aufbau von molekularen und Kristallstrukturen sowie zur Stabilisierung der Grenzflächen von Mikrokapseln oder Mikroblasen, die in Fluidsystemen erzeugt werden. Solche Strukturen bedingen Eigenschaften von Lebensmittelsystemen, welche zum Beispiel unter sensorischen oder nutritiven Gesichtspunkten präferiert sind. Derartige Grunderkenntnisse haben wir übersetzt in industrierelevante Lösungen zur Fragestellung wie Lebensmittelrohstoffe besser - schonender, funktioneller - strukturiert und entsprechende Herstellungs-/Verarbeitungsverfahren besser designed oder optimiert werden können. Eines unserer bekanntesten Beispiele hinsichtlich erfolgreicher industrieller Umsetzung bezog sich auf die Herstellung definierter Fettkristalle in Schokoladeprodukten um deren Qualität, Stabilität und nutritive Aspekte zu verbessern. 2000-2003 haben wir dazu als Prozesstechnologie gemeinsam mit der Bühler AG den sogenannten «Seedmaster» entwickelt, der inzwischen weltweit rund 200 Mal weltweit verkauft wurde. In den ersten drei Jahren nach KTI-Projektabschluss wurde den Schweizer Schokoladenfirmen Camille Bloch SA, Maestrani AG, Max Felchlin AG und Nestlé SA das Vorkaufsrecht für diese Technologie zugesprochen und damit ein Schweizer Technologie- und Zeitvorsprung gewährleistet.

An der Optimierung von Schokoladenstrukturen und diese erzeugenden Prozessen arbeiten wir systematisch weiter. Zum Beispiel mit dem Ziel, in eine Schokolade Wassertröpfchen oder Gasbläschen einzubauen, so dass eine weitergehende Kalorienreduktion resultiert, und man trotzdem Premium-Qualität schmeckt. – Oder um bei der Schokolade zu bleiben: Eines unserer jüngsten Ergebnisse in der Schokoladentechnologie-Entwicklung sind energetisch optimierte Kühltunnel, in welche in Formen gegossene Schokolade gekühlt und verfestigt wird. Die Optimierungsergebnisse zeigen Potenzial für Einsparungen an Kühlenergie von bis zu 40 Prozent verglichen mit herkömmlichen Kühltunnelkonstruktionen auf. Gleichzeitig lassen sich die Produkte gleichmässiger und somit mit verbesserter Qualität verfestigen.

Wir entwickeln derzeit auch neue Konzepte für Ernte- und Nacherntetechniken zum verbesserten Erhalt natürlicher Funktionalitäten, Wenn es beispielsweise gelänge, bei der Mangoernte die typischen Nachernteverlustanteile von bis zu 60 Prozent durch eine Erntetechnologie zu minimieren, welche die Mangos bereits bei der Ernte zum Beispiel in strukturierte Pulver umwandelt, dann könnten diese verbessert und ohne hohen Wasseranteil unter Umgebungsbedingungen transportiert und gelagert werden. Das bedeutete eine deutliche Reduktion von Rohstoffverlusten, von Abfall und von Energiekosten.

Aber der Schweizer Konsument will doch eine Mango kaufen, nicht Mangopulver! Genau! – Die Herausforderung ist in einem weiteren Schritt, über die Möglichkeiten des 3D-Printing eine Rekonstitution dieser Mangopulver zum Beispiel in Form eines Mango-Fruchtwürfels zu realisieren, welcher die vom Konsumenten geschätzten typischen «Frischeeigenschaften» einer Mangofrucht hinsichtlich Saftigkeit, Textur und Konsistenz aufweist. Der Verbraucher soll selbstverständlich nicht im Glauben gelassen werden, es handle sich um eine frische Mango. Vielmehr muss zur Produktgeschichte umfassend informiert und diese nachverfolgbar dokumentiert werden. Wenn die Premium-Qualität für das neue Produkt aus Verbrauchersicht stimmt, zu den Produkten umfassend informiert wurde und der Verbraucher sich dann aus Nachhaltigkeitsgründen für das neue Produkt entscheidet, haben wir unsere Aufgabe gelöst. Bis dahin ist noch ein gut Stück Weg zurückzulegen. Dies wird nur befriedigend gelingen, wenn wir den Konsumenten über unsere Strategie und Methoden zur Verbesserung der Nachhaltigkeit klar informieren und ihn zum Mitschöpfer und Kontrolleur unseres Vorgehens machen.

Man müsste im 3D-Drucker also auch die Faserigkeit der Mango konstruieren? Ja, das ist ein echter Challenge, aber genau daran arbeiten wir. Wir wollen das, was die Natur synthetisiert hat, die Aromastoffe, die Vitamine, die Mineralstoffe, aber auch die Zellstrukturen, bei der strukturierten Pulvererzeugung möglichst erhalten. Mit einem tiefen Einblick in die Biomaterialwissenschaften und den zu entwickelnden Techniken wollen wir so regenerieren, dass der Verbraucher ein frisch schmeckendes und gesundes Produkt erhält.

Das klingt futuristisch. In welchem Zeitraum wird so etwas möglich sein? Kleine, einzelne Objekte könnte ich Ihnen heute schon zeigen, die Ihnen vermutlich ein «Wow» entlocken würden. Erfahrungsgemäss dauert es von der Erarbeitung der neuen Grundlagen bis zu einem neuen marktfähigen Produkt nach unseren Erfahrungen rund acht bis zehn Jahre. Das war im Übrigen auch beim «Seedmaster» so. Und wann wird man die Schokolade kaufen können, die nicht dick macht? (Lacht) Die Schokolade wird immer dick machen, wenn sie nach Schokolade im gewohnten sensorischen Sinne schmecken soll. Entscheidend ist immer die Balance zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch, etwa durch Bewegung. Aber mit der kalorienreduzierten Schokolade werde ich gleich viel Schokolade essen können und weniger wegtrainieren müssen. Gibt es auch Misserfolge am Institut? Klar, viele Dinge, die man anfängt, bleiben auf dem Wege stecken. Von den neuen Ideen, die man entwickelt, setzen sich, wenn man Glück hat, fünf Prozent durch. Jede neue Idee hat Durststrecken in der Umsetzung – einer der Partner kriegt weiche Knie, das Geld geht aus oder der Markt ist nicht reif und vieles mehr an Hürden sind denkbar. Aus Ihrem Institut kam auch die Idee für ein Spinnmilchpulver, dessen stäbchenförmige Struktur in einer Milchschokolade zu besserem Fliess- und Schmelzverhalten beitragen könnte. Dieses Milchpulver wird bis heute nicht produziert. Was war das Problem? Derzeit ist normal produziertes Milchpulver viel preisgünstiger, als man Spinnmilchpulver produzieren könnte. Man müsste auf einen Hersteller von Sprühtürmen zugehen, um das Verfahren, das bei uns im Prototyp vorhanden ist, als industrielle Technik umzusetzen. Aber diese Firmen haben natürlich auch kein Interesse, ihre eigenen Anlagen zu konkurrenzieren. Von vielen Firmen vernehmen wir den Ruf nach disruptiven Technologien. Und wenn wir dann eine solche Technologie abliefern, kann es schon passieren, dass diese Firmen weiche Knie bekommen. Dies gilt in aller Regel dann, wenn befürchtet wird, dem bislang erfolgreichen herkömmlichen, eigenen Produkt den Markt abzugraben. In solchen Fällen verschwindet eine Innovation dann oft leider in der Schublade, Manchmal ungeachtet der Tatsache, dass man für das neue Produkt exklusive Rechte haben würde, wohingegen man sich für das herkömmliche Produkt den Markt mit einigen oder vielen anderen teilt.

Kürzlich wurde bekannt, dass das Kakaoverarbeitungsverfahren, das Prof. Thilo Hühn an der ZHAW entwickelt hat, mit Geld des Popsängers und Agrounternehmers Dieter Meier und von den Banken mit einer neuen Schokoladenfabrik industriell umgesetzt werden soll. Fuchst Sie sowas? Nein, natürlich nicht. Ich habe mit meinem ETH-Team hinsichtlich der Entwicklung neuer Verfahren unter anderem im Schokoladenbereich schon viel Lorbeer ernten dürfen und freue mich über Mitstreiter und Miterfinder für die Branche. Herrn Kollegen Höhn und seinem Team wünsche ich, dass die aus meiner Sicht nicht unerheblichen «Resthürden» für die industrielle Umsetzung des avisierten neuen Verfahrens gut und in absehbarer Zeit überwunden werden können. Aus Schweizer ökonomischer Sicht ist es ohnehin wichtig, dass Innovation im Lebensmittelbereich, jedoch nicht auf diesen beschränkt, eine gemeinsame «Massenbewegung» von Forschenden, Umsetzenden und Business Kreierenden wird, damit die gesamte Schweizer Branche die im internationalen Geschäft wichtige Nasenlänge Vorsprung auch künftig generieren, erhalten oder ausbauen kann.

roland.wyss@rubmedia.ch

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