11.09.2024
Zukunft von nicht-thermischen Verfahren
Rund um das Thema nicht-thermische Haltbarmachungsverfahren drehte sich die diesjährige Wädenswiler Lebensmitteltagung des Instituts für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der ZHAW vom 17. November.
Nationale und internationale Fachleute gaben an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) vor 200 Teilnehmenden Einblick in die Chancen, aber auch die Grenzen von nicht-thermischer Verfahren zur nachhaltigen Herstellung von sicheren, gesunden und hochwertigen Lebensmitteln. Lebensmittelhersteller stehen vor der Herausforderung, die Effizienz und die Umweltauswirkungen ihrer Prozesse kontinuierlich zu verbessern und gleichzeitig die Lebensmittelsicherheit und die Haltbarkeit ihrer Produkte sowie die Produktqualität zu gewährleisten. Dabei bieten nicht-thermische Verfahren wie Hochdruckbehandlung, gepulste elektrische Felder, gepulstes Licht, kaltes Plasma, E-beam oder der Einsatz von Schutzkulturen und von Bakteriophagen neue Möglichkeiten für die Lebensmittelindustrie. Die Anwendung von nicht-thermischen Verfahren und Technologien in der Produktion ist vielversprechend, aber auch anspruchsvoll, da neben der Robustheit und der Standardisierung häufig auch neue Prozess- und Verpackungsdesigns gefordert sind. Neue Verfahren zielen verstärkt auf Erhalt von Geschmack und Nährstoffen Den Einstieg zur Tagung machte Alexander Mathys vom Sustainable Food Processing Laboratory am Institute of Food, Nutrition and Health (IFNH) der ETH Zürich. Der Spezialist in der nicht-thermischen Verfahrenstechnik bot einen Überblick über entsprechende mechanische oder elektromagnetische Verfahren. Im Vordergrund steht klar die Haltbarmachung. Dabei gelten nachhaltige Verarbeitungsmethoden als Haupttreiber für den Markt, weg von der erdölbasierten Wirtschaft hin zur «Bioeconomy», der biobasierten Wirtschaft. Während sichere Lebensmittel heutzutage als Standard gelten, zielen die neuen Verfahren verstärkt auf den Erhalt von Geschmack und Nährstoffen. Henry Jäger vom Institut für Lebensmitteltechnologie der Universität für Bodenkultur BOKU in Wien stellte das Verfahrensprinzip von gepulsten elektrischen Feldern (PEF) vor. Dabei handelt es sich um elektrische Felder von hoher Spannung, die in Form von kurzen Impulsen zielgerichtet eingesetzt werden. Im Gegensatz zur thermischen Sterilisation, bei der das ganze Produkt erhitzt wird, obwohl eigentlich nur die Mikroorganismen inaktiviert werden sollen, werden letztere im PEF-Verfahren gezielt angegriffen und zerstört, ohne Beeinträchtigung des Lebensmittels, wie zum Beispiel die Enzyminaktivierung. Zurzeit wird das PEF-Verfahren in der Industrie hauptsächlich für die verlängerte Haltbarkeit von Frischsäften und Smoothies verwendet. Nebst der Inaktivierung von Mikroorganismen kann das PEF-Verfahren auch zum Zellaufschluss von Rohstoffen wie etwa Kartoffeln verwendet werden, um die Effizienz von Verarbeitungsprozessen zu steigern. Eine weitere nicht-thermische Entkeimung von Lebensmitteln kann durch Hochdruckbehandlung (engl. High Pressure Performance, HPP) erzielt werden. Darüber berichtete Stefan Töpfl vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) in Quakenbrück. Der induzierte hohe Druck (bis zu 7000 bar) dient dabei nebst der Inaktivierung von Mikroorganismen und Enzymen auch der Strukturbildung des Lebensmittels, sodass beispielsweise die Funktionalität von Proteinen oder Stärken erhöht werden kann. Auch Viren können mittels HPP inaktiviert werden, da diese druckempfindlich sind. Obschon es sich derzeit noch um ein Nischenprodukt handelt, stösst die produktschonende Haltbarmachung mittels HPPVerfahren auf hohe Konsumentenakzeptanz. Claims wie «cold pressed» oder «cold pasteurised» lassen sich im Gegensatz zur Bestrahlung gut vermarkten. Aktuell wird das HPP-Verfahren hauptsächlich zur Fleischverarbeitung und zur Konservierung von frischen Fruchtsäften verwendet. «Pulsed Light»-Technologie. Lichtblitze zur Desinfektion von Lebensmitteln Gepulstes Licht (engl. Pulsed Light, PL) stellt eine «Weiterentwicklung» der UV(C)-Verfahren dar, erläuterte Marija Zunabovic-Pichler vom Institut für Lebensmittelwissenschaften der Universität für Bodenkultur BOKU in Wien. Dabei werden Hochspannungsimpulse mittels Xenon-Lampen in Lichtimpulse von hoher Intensität und kurzer Dauer übersetzt und dienen somit als Dekontaminationstool. Die Forscherin betonte jedoch, dass das PL-Verfahren nicht als Haltbarmachungsverfahren, sondern vielmehr als letzter Schritt zur Beseitigung allfälliger prozessbedingter Kontaminationen gesehen werden sollte. Für das Verfahren besteht noch viel Forschungsbedarf. Erika Georget von der Bühler AG in Uzwil stellte in ihrem Referat die Hochdruck-Homogenisierung (engl. Ultra High Pressure Homogenisation, UHPH) vor. Während herkömmliche Homogenisierungsprozesse bei ca. 500 bar ablaufen, reden wir bei UHPH von über 2000 bar. Die Referentin betonte, dass die Homogenisierung an sich kein neues Thema ist, die UHPH jedoch sehr komplex sei und noch immer viel Forschungsbedarf bestehe. So sind beispielsweise Details der Sporeninaktivierung durch die mechanische Belastung der Homogenisierung bis heute nicht verstanden. Erika Georget kommt zum Schluss, dass die Herausforderung und damit die Effizienz bei der Sporeninaktivierung hauptsächlich am Design der Ventile liegt und dem daraus resultierenden Zusammenspiel von Temperatur und Druck. Bis zur kommerziellen Anwendung von UHPH besteht noch einiger Investitionsbedarf. Weiter wies die Referentin darauf hin, dass neben der Inaktivierung von Mikroorganismen bei der Behandlung von Lebensmitteln auch andere wichtige Aspekte wie z.B. Mykotoxine oder Chemikalienrückstände nicht vergessen werden sollten. Ein «Plasma» ist in der Physik sozusagen ein reaktiver Cocktail aus Ionen, Radikalen, Elektronen und neutralen Atomen und Molekülen. Dieses Gemisch emittiert elektromagnetische Wellen in Form von Licht und Wärme. Von einem «kalten Plasma» spricht man bei niedriger Energie. Michael Beyrer vom Institut Life Technologies der Fachhochschule HES-SO in Sion zeigte auf, wie solche «kalte Plasmen» erzeugt werden können und erläuterte deren keimtötende Wirkung am Beispiel von aktuellen Forschungsergebnissen an Lebensmitteln. So konnten beispielsweise Bacillus-Sporen auf der Oberfläche verschiedener Materialien durch den Einsatz von «kaltem Plasma» inaktiviert werden. «Wir befinden uns derzeit noch in der frühen Phase der Entwicklung» so Michael Beyrer, «bis zu einem Scale-Up ist deshalb noch viel Forschungsarbeit erforderlich». Bakterien unschädlich machen mittels E-beam Behandlung David Drissner von der Forschungsgruppe Lebensmittelmikrobiologie und -analytik der Agroscope in Wädenswil stellte die E-beam Technologie vor. «Dies ist eine nicht-thermische und chemikalienfreie Technologie zur Inaktivierung von Mikroorganismen, die eine effiziente, wirtschaftliche und nachhaltige Alternative zu konventionellen Desinfektionsmethoden darstellt», so David Drissner. Die Technologie wird bereits erfolgreich an Lebensmittel- und Pharmaverpackungen angewendet. So sind heute zum Beispiel Tetra-Packungen standardmässig mit E-beam behandelt. Wie der Name «E-beam» schon andeutet, beruht die Technologie auf der Behandlung durch Elektronen, im Vergleich zu Röntgenstrahlen jedoch in viel niedrigerem Energiebereich. Mit Hilfe dieses Hygienisierungsprozesses können beispielsweise pathogene Keime wie Colibakterien oder Salmonellen erfolgreich inaktiviert werden. Erfolgreiche Forschung mit Schutzkulturen Neben den zahlreichen neuen Technologien, welche die «bösen» Keime bekämpfen, gibt es auch Möglichkeiten, die «guten» Mikroorganismen zu nutzen, um diesen Job zu übernehmen. Susanne Miescher Schwenninger von der Fachstelle Mikrobiologie am ZHAW-Institut für Lebensmittel- und Life Sciences und Facility Management Getränkeinnovation ILGI ist Expertin im Einsatz von Schutzkulturen, die zur Kontrolle von Verderbsorganismen und pathogenen Keimen in Lebensmitteln eingesetzt werden. Schutzkulturen sind mit den Starterkulturen von fermentierten Lebensmitteln verwandt, jedoch erzeugen sie zusätzlich Stoffwechselprodukte mit antimikrobiellen Eigenschaften. Die Forscherin erklärte in ihrem Vortrag die Wirkmechanismen solcher Schutzkulturen und erläuterte das hohe Potenzial von antifungalen Schutzkulturen in der «Bio-Control» von Lebensmitteln. Damit kann beispielsweise das Hefewachstum in Joghurt oder das Wachstum von Schimmel oder fadenziehenden Bazillen in Backwaren erfolgreich unterdrückt werden. Auch Kontaminationen mit Listerien in tierischen Lebensmitteln stehen immer wieder in den Negativschlagzeilen. Aktuell arbeiten die ZHAW-Expertin und ihr Forschungsteam auch an der Entwicklung von spezifischen Anti-Listeria-Schutzkulturen für Fleischprodukte, die im Labor bereits erfolgreich getestet wurden. Gerade in der heutigen Zeit zunehmender Antibiotikaresistenzen gegen pathogene Lebensmittelkeime,allen voran die Salmonellen, spielt der Einsatz von alternativen Methoden zur «Bio-Control» eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang stellte Lars Fieseler, Leiter der ZHAW-Fachstelle Mikrobiologie am ILGI, eine weitere natürliche «Waffe» zur Kontrolle pathogener Bakterien in Lebensmitteln vor: die Bakteriophagen. Phagen sind natürliche Nanopartikel aus Protein und kommen in grosser Zahl überall auf der Erde vor. Bakteriophagen sind «gute» Viren, die ganz spezifisch Bakterien infizieren. Lars Fieseler und sein Forschungsteam haben sich auf die Suche nach der Nadel im Heuhaufen begeben, um Bakteriophagen zu identifizieren, die spezifische Eigenschaften besitzen, um gezielt die unerwünschten Keime anzugreifen. Einige der Phagen werden bereits erfolgreich in Lebensmitteln eingesetzt. Zukunftsweisend ist auch ein Forschungsprojekt an der ZHAW, bei dem intakte Phagen in Verpackungsmaterialen integriert und dann über die Zeit nach und nach ans Lebensmittel abgeben werden. Aktuelle Forschungsarbeiten von jungen Studierenden Im Beitrag «Young Scientists» gaben Master-Studierende sowie ETH-Doktorandinnen und Doktoranden, die unter Co-Betreuung an der ZHAW ihre Dissertation schreiben, einen Einblick in ihre aktuellen Forschungsarbeiten. Die Themen reichten von einem Aufbereitungsprozess zur Proteingewinnung aus Mikroalgen, über den Einsatz von Hochdruck zur Sporeninaktivierung bis hin zur Vorstellung eines Schweizer Start-up-Unternehmens, das durch den schonenden Einsatz von HPP schon bald Babybreiprodukte mit erhöhter Qualität auf den Markt bringen möchte. ZHAW