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«‹Nose to tail› könnte kultig werden»

Albert Baumann, CEO der Migros-Fleischtochter Micarna, über Schweineschnörrli auf dem Teller, Schweinefüsse auf dem Titlis und die Folgen der Digitalisierung für die Fleischwirtschaft.

alimenta: Vegetarismus und Veganismus sind überall. Welche Zukunft hat die Fleischwirtschaft? Albert Baumann: Grundsätzlich finde ich: Jeder soll essen, was für ihn stimmt. Vegetarische und vegane Ernährung ist ein Thema geworden. Das soll aber nicht heissen, dass künftig weniger Fleisch gegessen wird. Der Konsument will noch mehr Regionalität, Rückverfolgbarkeit, Transparenz und Tierwohl. Und wir sind an diesen Themen laufend dran, mit Labels wie Terra Suisse, Optigal oder Weidebeef. Für die überzeugten Fleischesser gibt es den Trend «Nose to tail» – Ist der Trend nachhaltig oder im nächsten Jahr schon wieder vergessen? Das interessiert die Leute sehr. Und es gibt uns neue Möglichkeiten: Knochengereifte Vorderviertel auf dem Grill, das gab es früher nicht. Oder auch Flank Steaks, das ist ein Trend hin zu Vollverwertung des Tieres. Es ist nicht nur ein Trend, es könnte kultig werden. A propos «Nose to tail»: Wir bieten heute den chinesischen Touristen auf dem Titlis und an anderen Schweizer Touristenorten Schweinefüsse nach chinesischer Rezeptur an. Ein Riesenerfolg. Wir möchten als Industrie in China präsent sein, damit wir die Produkte auch dort vermarkten können. Asiaten haben auch keine Berührungsängste mit Insekten. Welche Bedeutung hat das Thema? Insekten haben eine Bedeutung als zukünftige Eiweissträger für Futtermittel und für die menschliche Ernährung. Sie werden aber sicher nicht Schweinefleisch oder Geflügel ersetzen, sondern ergänzen. Manche Fleischgeniesser schwören auf irisches oder argentinisches Rindfleisch. Wie zufrieden sind Sie mit der Fleischqualität in der Schweiz? Wenn man das gesamte Rindfleisch betrachtet, kann ich nicht zufrieden sein. Wir haben zu viel Milch- und zu wenig Fleischproduktion. Bei der Ausbeute der Verarbeitungskühe gibt es grössere Probleme. Beim Rindfleisch konnten wir in den letzten Jahren sehr viel verbessern, auch mit den Fleischrassen und mit Einkreuzungen. Bei optimaler Ausmast und optimaler Lagerung ist das Schweizer Rindfleisch mit Irish Beef vergleichbar. Der Agrarfreihandel mit der EU ist derzeit kein Thema, wohl aber Verhandlungen mit Mercosur. Wie richtet sich Micarna auf allfälligen zusätzlichen Importdruck aus? Wenn man sieht, wie viel rotes Fleisch heute schon importiert wird, wegen der schwierigen Situation beim Kuhfleisch, können wir mit vielen Ländern gut Verträge abschliessen. Da haben wir viel Handlungsspielraum. In der Schweiz setzen wir vor allem auf Schweizer Produktion. Wir haben beim Schweinefleisch mit IP-Suisse zusammen ein Programm für die Ausrichtung auf Schweizer Rassen gestartet. Die Fleischqualität ist auf sehr hohem Niveau, wir wollen sie halten und verbessern.

«Geflügelfleisch boomt, und Schweizer Geflügelfleisch ist das nachhaltigste der Welt»
Das haben wir international untersuchen lassen. Wir möchten eine bäuerliche Produktion fördern, mit 600-Quadratmeter-Mastställen. Wir sehen aber auch, dass wir damit international wenig Chancen haben aufgrund der hohen Kosten. Deshalb sind wir daran, über die Firma Stauss eine Geflügelproduktion in Deutschland aufzubauen, mit Produkten für Deutschland, aber mit Schweizer Tierhaltungsstandards, unter dem Programm Alpigal. Wir beliefern auch Kindernahrunghersteller, wir beliefern Tegut mit Eigenmarken und haben einige Anfragen von mittelständischen Unternehmern, die diese Produkte suchen. Beim Geflügel gibt Micarna auch im Inland Gas. Wir haben bei Geflügel bereits den höchsten Marktanteil. Im Schnitt importiert die Schweiz rund 45 Prozent beim Geflügel, bei der Migros sind es nur zwischen 20 und 25 Prozent. Was importiert wird, muss schweizerischen Tierschutzsstandards genügen. Im Schlachthof Courtepin stossen wir an die Auslastungsgrenze, wir brauchen künftig mehr Schlachtkapazität. Deshalb planen wir in der Ostschweiz einen neuen Schlachthof. Wir sehen dort ein Potenzial für neue Betriebe und haben bereits eine Warteliste von Produzenten. Im Wallis haben wir bewusst die Elterntierstation geplant, weil dort keine Zugvögel durchfliegen und somit Seuchen kein Problem sind. Bei den Elterntierparks werden wir als Weltneuheit Wintergärten bauen. Und in Avenches bauen wir eine neue Brüterei, da möchten wir die Produktion mit besseren Technologien optimieren. Welche Pläne hat Micarna im Export? An der letzten Anuga in Köln haben wir salzreduziertes Bündnerfleisch vorgestellt, da haben wir aus Frankreich nun grössere Bestellungen. Wir sind auch dieses Jahr an der Anuga und werden gewisse Spezialitäten vorstellen.
«Aber insgesamt haben wir die Exportaktivitäten reduziert»
Im Geflügelbereich haben wir einen technologischen Vorsprung, etwa bei getrockneten Produkten, da können wir punkten. Geflügel entspricht dem Ernährungstrend und ist glaubensneutral. Wir hoffen natürlich, dass wir wieder einen Innovationspreis gewinnen. An der Anuga 2015 sorgten Ihre Chicken Gelati für Furore. Wurde das Produkt weiterverfolgt? Wir waren damit noch zu früh … Das kann man immer sagen, wenn etwas nicht funktioniert. Das wird noch kommen … (lacht) Wir haben die ersten Fleisch-Chips schon 1991 gebracht, das war damals noch kein Thema, heute läuft das gut. Die Micarnetti Mini Würstchen haben wir schon 1985 gebracht, da war die Zeit auch noch nicht reif dafür.
«Aber medial war die Chicken Gelati natürlich ein Lotto-Sechser»
Wie läuft der Bündnerfleisch-Export? Unsere Exporte gingen zurück, das war aber so gesteuert. Wir haben uns fokussiert auf Märkte, wo Qualität gesucht ist oder wo Spezielles wie salzreduziertes Bündnerfleisch gefragt ist. Strategisch wichtig ist nicht der Export, sondern die Internationalisierung des Geschäfts, wie etwa mit Stauss Geflügel.
«International vermarkten können wir Nutzprodukte wie Innereien oder Schweinefüsse, Frischfleisch aus der Schweiz sehen wir nicht»
Wie sieht es aus mit dem Schweinefüsse-Export nach China? Der ist schon seit Jahren blockiert. Die Voraudits haben stattgefunden, irgendwann im August werden die Chinesen kommen und die Audits durchführen. In einer ersten Phase werden Bell- und Micarna-Betriebe auditiert. Das wurde jetzt auch schweizweit koordiniert. Beim ersten Audit 2012 war ein Problem, dass es in den Kantonen 26 verschiedene Audit-Systeme gibt. Was bedeut Industrie 4.0 für Micarna? Vollautomatische Zerlegung? Bei Industrie 4.0 geht es um Abläufe in der Produktion, die man verbessern kann, aber auch in der Planung. Wir sind daran, die neue App für Produzenten der Micarna einzuführen. Diese wird ab Herbst bereit stehen. Mit «Micarna E-Direct» soll der Landwirt bald die Möglichkeit haben, sein Tier direkt über sein Mobiltelefon bei der Micarna anmelden. Dann können wir disponieren, den Transport organisieren und die Schlachtzeit optimieren. Wenn wir aufgrund der Schlachtdaten wissen, welche Qualität ein Tier hat, können wir bei der Bestellung wieder selektieren. Die Idee kann auch sein, dass, wenn ein Kunde im Laden eine Cervelat bezahlt, bei uns direkt die Bestellung ausgelöst wird, damit wieder nachgeliefert werden kann. Was die Automatisierung in der Zerlegung angeht: Ich war vor 12 Jahren erstmals in Neuseeland und habe mir Zerlegeroboter angeschaut. Vor vier Jahren war ich wieder da und einige Betriebe hatten diese Geräte nicht mehr im Betrieb. Die Anforderungen an das Zerlegen wurden von den Anlagen offenbar nicht erfüllt. Aber die technische Entwicklung steht natürlich nicht still.
«Wir haben eine Anlage, die automatisch Pouletschenkel zerlegt. Das hilft uns, weil wir da Personal dafür gar nicht hätten»
Die Automatisierung kann die Mitarbeitenden in der Zerlegerei entlasten, die arbeiten wie Spitzensportler. Aber wir werden weiterhin sehr viele Fachleute brauchen. Das Thema Ausbildung und Rekrutierung ist bei Micarna sehr wichtig. Weshalb? Wir wollen unser Berufsbild in ein gutes Licht setzen. Wir haben zu wenige Fachleute. Unser Projekt Mazubi ist erfolgreich, damit können die Lernenden schon in der Lehre Verantwortung übernehmen und sich mit dem Unternehmertum auseinandersetzen. Wir haben auch ein Flüchtlingsprojekt. Wir wissen, dass viele Flüchtlinge hier bleiben werden, viele davon haben einen Stolz und möchten etwas leisten. Wir bieten ihnen eine Anlehre als Grundausbildung an, in verschiedenen technischen Berufen oder im Fleischbereich. Für die Zukunft haben wir auch noch das eine oder andere geplant, das ich im November an der Tagung «Brennpunkt Nahrung» präsentieren werde. Micarna hat in den letzten Jahren kleinere Fleischfirmen übernommen. Auch Bell wächst. Bleiben zuletzt nur ein paar ganz Grosse? Nein. Durch diese Übernahmen haben wir regionale Produkte mit überregionaler Bedeutung nun ziemlich gut abgedeckt: Walliser Spezialitäten mit Gabriel Fleury, jurassischen Speck mit Maurer, Bündner Trockenfleisch mit dem Betrieb Tinizong.
«Aber mittlere und kleinere Betriebe werden in Zukunft ein Chance haben»
Es gibt in der Branche auch Kooperationen, von denen kleine und mittlere profitieren. Etwa der gemeinsame Nutzprodukte-Export über die Centravo. Oder der gebündelte Import über die GVFI. Die grösste Herausfoderung wird für viele Betriebe sein, eine Nachfolge zu finden. Ich habe noch nie so viele Gespräche über die Ausrichtung innerhalb der Branche geführt wie in den letzten vier Jahren. Welche Pläne gibt es im Bereich Seafood? Wir haben im ostdeutschen Kirschau einen Elterntierpark für Egli und sind auf guten Wegen, dort das ganze Jahr Setzlinge zu produzieren. Wir möchten für Fisch eine ähnliche Wertschöpfungskette aufbauen wie beim Geflügel. Das Ziel ist, dass wir diese Setzlinge in Zukunft in der Schweiz ausmästen. Die Fischproduktion wird oft unterschätzt. Sie ist nicht ganz einfach, Fische brauchen eine Rundumbetreuung. Wir möchten das in Kreislaufanlagen betreiben.
«In der Schweiz gibt es bisher keine Aquakulturen, die wirklich schwarze Zahlen schreiben – wenn man alle Kosten mit einrechnet»
Die Proviande will künftig mit DNA-Analysen eine Kontrolle für Schweizer Fleisch bieten. Ist das nötig? Wenn jemand Schweizer Fleisch kauft, soll er auch Schweizer Fleisch erhalten. Mit der DNA-Analyse kann man das sicherstellen. Ich war der Initiant und bin der Meinung, dass es der richtige Weg ist, um dem Konsumenten die Sicherheit zu geben. Man wird jedem Tier, das geschlachtet wird, eine DNA-Probe nehmen, die kommt ins Labor und in eine Datenbank. Wenn man bei einem Fleischstück die Gewissheit haben will, kann man dieses testen, und wenn die Ergebnisse übereinstimmen, kommt es vom gleichen Tier. Das System bietet Ausbaumöglichkeiten, um etwa auch Label zu überprüfen. Wer bezahlt die zusätzlichen Kosten? Die Idee ist, dass diese nach vorne an die Konsumenten weitergegeben werden. Das Schweizer Fleisch wird also noch teurer? Da geht es um Rappen für ein Fleischstück. Wenn wir so mehr Fleisch verkaufen können, ist das sehr gut. Interview: Roland Wyss-Aerni

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