Gesucht: Alternativen zum Emmentaler
Herausragende Produkte, gute Geschichten, starker Nachwuchs: Die Zentralschweizer Milchproduzenten suchten an ihrer Käsereitagung in Sempach nach erfolgreichen Konzepten für gewerbliche Käsereien.


Gewerbliche Käsereien sind das Rückgrat der Schweizer Käsewirtschaft: Sie produzieren zwei Drittel des Schweizer Käses und bilden 80 Prozent der Milchtechnologen aus. Doch sie haben einen schweren Stand. Gerade auch in der Zentralschweiz, wo viele Käsereien traditionellerweise auf Emmentaler und Sbrinz setzen, zwei Sorten, die seit Jahren zu den Verlierern im Käsemarkt gehören. Wenn die gewerblichen Käsereien weiter bestehen wollen, sind deshalb neue Ideen gefragt. Das war das Thema an der Käsereitagung 2018 der Genossenschaft Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP), die am 7. November in Sempach mit rund 100 Teilnehmern stattfand.
«Erfolgskonzepte sind gefragt», brachte ZMP-Geschäftsführer Pirmin Furrer das Problem an der Tagung auf den Punkt. Es gelte, die gewerblichen Käsereien zu erhalten, denn Käsereimilch bringe auch den Milchbauern mehr Wertschöpfung. «Dazu müssen wir Sorge tragen.» 81 Rappen pro Kilogramm erhält heute ein Bauer für seine Milch, wenn sie zu Gruyère verkäst wird. Beim Sbrinz sind es 67 Rappen, beim Emmentaler noch 63 Rappen. «Damit bin ich nicht ganz zufrieden», bilanzierte Furrer.
Der Käser als Geschichtenerzähler
Wie aber generiert man mehr Wertschöpfung? Indem man Mehrwerte schafft und konsequent kommuniziert. Das war die Botschaft von Jacques Gygax, dem Direktor des Branchendachverbandes Fromarte. «Wir müssen unsere Stärken stärken und besser verkaufen.»
Punkto Qualität seien die gewerblichen Käsereien auf einem hohen Niveau unterwegs, betonte Gygax. Angefangen bei der Milch: Grösstenteils silagefreie Fütterung, Heumilch, der neue Branchenstandard für nachhaltige Milch, der ab 1. Juli 2019 gelte, das alles seien wichtige Differenzierungsmerkmale. Bei der Käseherstellung könne die Schweiz mit dem Know-how der Käsermeister punkten, den Liebefeld-Kulturen und dem Umstand, dass grösstenteils Rohmilchkäse produziert werde. Die Käser seien auch innovativ, das hätten die Swiss Cheese Awards gezeigt. Die Branche verzichte zudem auf Zusatzstoffe bei der Fabrikation, der Affinage und der Verpackung des Käses. «Damit sind wir weltweit eine Ausnahme. Aber wir verkaufen das nicht gut genug.»
Qualität alleine reiche eben nicht aus. Als negatives Beispiel erwähnte Gygax den Sbrinz AOP. «In Blinddegusationen schneidet er regelmässig besser ab als der Parmiggiano reggiano. Trotzdem hat er sich nicht durchsetzen können.» Um den Mehrwert des Schweizer Käses besser zu verkaufen, brauche es einen Mentalitätswandel. «Wir müssen vom Grundnahrungsmittelproduzenten zum Geschichtenerzähler werden.»
Käse-Kebab und Schweinefutter
Geschichten erzählen, das kann Roland Rüegg. Käsen auch. Sein Vater, notabene ein Käser, hatte ihm zwar geraten, nicht «so etwas Blödes wie Käser» zu lernen. Also machte Rüegg eine Lehre als Stromer – und hängte dann doch noch die Ausbildung zum Käser an. Unter Strom steht der umtriebige Käser aus Ringwil im Zürcher Oberland aber bis heute. «Meine Leute verdrehen schon manchmal die Augen, wenn ich am Morgen ins Geschäft komme und sage: Ich habe da eine neue Idee», erzählte Rüegg
in Sempach. «Aber ich will eben immer etwas Neues ausprobieren.» So hat Rüegg etwa in jahrelanger Tüftelei den Käse-Kebab «Cheebab» (s. alimenta 10/2018) erfunden.
«Wenn einer während seiner ganzen Lehre nur eine Käsesorte herstellt, löscht das ab.» Roland Rüegg
Der Erfolg gibt Rüegg recht. Als er die elterliche Käserei 2002 übernahm, wurden dort pro Jahr 580 000 kg Milch hauptsächlich zu Tilsiter verkäst. Heute verarbeitet Rüegg 1,7 Millionen kg Milch, 70 Prozent davon verkäst er zu über 15 regionalen Spezialitäten, die über die Natürli Zürioberland AG vermarktet werden, den Rest zu Tilsiter. Längst ist die Käserei zu klein geworden, ein Neubau ist in Planung.Was ist sein Erfolgsrezept? Die Qualität der Rohmilch müsse stimmen, betonte Rüegg. «Da mache ich keine Kompromisse. Dafür bin ich auch bereit, einen überdurchnittlichen Milchpreis zu zahlen.» Ganz wichtig sei auch der Nachwuchs. Der Fachkräfte-Markt sei ausgetrocknet. Darum müsse man die Jungen fördern und fordern, zeigte sich Rüegg überzeugt. «Wenn einer während seiner ganzen Lehre nur eine Käsesorte herstellt, löscht das ab.» Da sei es kein Wunder, wenn viele nach der Lehre die Branche verliessen. Bei ihm im Betrieb mit seinen vier Lernenden gelte darum die Devise: «Wer etwas ausprobieren will, soll das auch können.»
Ihm sei es ausserdem ein Anliegen, die Milchbauern ins Unternehmen einzubinden und sie am operativen Geschäft zu beteiligen. «Mit dem Melken ist es nicht getan. Jeder sollte sich auch damit befassen, was mit seiner Milch passiert», sagte Rüegg. «Ich wünsche mir, dass die Bauern auch gegenüber den Konsumenten mit einem gewissen Stolz sagen: Da steckt meine Milch drin.» Auch bei der Vermarktung könnten die Milchproduzenten mithelfen, führte Rüegg aus. So würden heute bereits zwei Bauersfrauen seine Käsespezialitäten mit Promo-Degustationen in grösseren Verkaufsfilialen bekannt machen. Die Milchbauern müssten aber auch bereit sein, ihrem Käser die Möglichkeit zu geben, zu experimentieren.
Eine Umstellung brauche aber Zeit, gab Rüegg zu bedenken. Eine Käserei, die jährlich fünf bis acht Millionen Kilogramm Milch zu Emmentaler verarbeite, könne nicht von heute auf morgen die Hälfte der Produktion auf neue Käse umstellen. «Da muss man mit kleinen Mengen anfangen.» Und man müsse auch Rückschläge einstecken können. «Ich habe auch schon Käse aus misslungenen Experimenten an die Schweine verfüttert. Dann gibts halt Fleisch aus der Milch. Auch gut.»
Von der Käserei ins «Chäs-Hüüsli»
Beim Verkauf des Käses spielt der Detailhandel eine wichtige Rolle. Roland Frefel, Leiter Beschaffung Frischprodukte bei Coop, stellte die verschiedenen Mehrwertprogramme von Coop im Bereich Käse vor. Unter dem Label «Miini Region» verkauft Coop zum Beispiel 280 Käseprodukte. «Damit bieten wir auch kleinen Produzenten die Chance, ihr Produkt unter ihrem eigenen Namen ins Coop-Regal zu stellen», sagte Frefel. Nachhaltigkeit, Regionalität, Qualität würden von den Kunden stark nachgefragt, artisanale Produkte seien gesucht. «Die Konsumenten sind bereit, für Mehrwerte auch mehr zu bezahlen, wenn sie echt und glaubwürdig sind.» Vor allem im Premiumsegment gebe es noch Wachstumspotenzial, sagte Frefel. Deshalb sein Tipp ans Publikum: «Kopieren Sie nicht einfach Ihren Nachbarn, sonst verschwindet Ihr Produkt in der Masse. Heben Sie sich ab. Haben Sie den Mut, innovativ zu sein.» Denn die Kunden wollten neben Altbewährtem auch immer wieder etwas Neues.
Dabei sei auch der Detailhandel gefordert: «Ein hochwertiges Produkt kann man schlecht anonym im Kühlregal verkaufen», sagte Frefel. Dazu brauche es eine spezielle Präsentation und eine fachkundige Beratung. Als Beispiel nannte er die «Chäs-Hüüsli», die in neueren Coop-Filialen eingerichtet werden: Rustikal anmutende Verkaufspunkte, in denen ganze Käse offen auf Holzregalen präsentiert werden. «Das läuft gut», sagte Frefel, betonte aber auch, dass es auch künftig günstigen Käse im Kühlregal geben werde. «Weil es auch ein Kundensegment gibt, das danach verlangt.»
Einheitliche Auslobung gefordert
Einen kritischen Blick warf Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, auf den «Labelsalat» bei den Milchprodukten. «Mehrwerte müssen glaubwürdig, verlässlich und vor allem einheitlich ausgelobt werden», forderte die Konsumentenschützerin. Nur so hätten die Konsumenten den Durchblick. Der «grüne Teppich», also der verbindliche Branchenstandard für nachhaltige Milch, sei ein Schritt in die richtige Richtung. Sie setze allerdings ein Fragezeichen hinter das Kriterium, dass jede Kuh ab Geburt einen Namen tragen müsse. «Das bringt vielleicht fürs Marketing etwas, aber für den Konsumenten ist das kein Mehrwert.» Ausserdem brauche es eine faire Preispolitik für die ganze Wertschöpfungskette. Und die Schweizer Landwirtschaft müsse ökologischer und nachhaltiger werden. Dazu seien auch staatliche Anreize nötig. Punkto Einsatz von Pestizid oder Antibiotika habe die Schweizer Landwirtschaft nämlich noch Aufholbedarf, sagte Stalder.
Dieses Votum Stalders provozierte einige Nachfragen aus dem Publikum. Auch die angeregten Gespräche beim Stehlunch zeigten: Die Zentralschweizer Milchproduzenten haben mit ihrem Tagungsthema einen wunden Punkt getroffen und anregende Impulse gegeben.