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«Es darf nach Cashew schmecken»

Der gelernte Polymechaniker Freddy Hunziker macht aus Cashewkernen veganen «Käse» – aus Überzeugung und mit Erfolg. Den Veganismus sieht der junge Unternehmer aus Thun auch als Chance für Schweizer Bauern.

von Stephan Moser

Das Handwerk hat sich Freddy Hunziker weitgehend selbst beigebracht. (Bild Manuel Lopez/zvg)
Der Cashew-Käse. (Bild Manuel Lopez/zvg)
Die Co-Gründerin Alice Fauconnet kümmert sich ums Marketing. (Bild Manuel Lopez/zvg)

Eine Mitarbeiterin mit Haarnetz und Mundschutz füllt Ricotta in kleine Plastikbecher und im Kühlraum reifen Camemberts: Auf den ersten Blick sehen die Produktionsräume der Firma «New Roots» aus wie eine normale Käserei. Doch hier liefert kein Bauer seine Milch ab. Denn der Käse, der im Erdgeschoss einer Liegenschaft zwischen Spital und Schloss Thun produziert wird, ist vegan. Hergestellt wird er aus Cashewkernen.

«Kuhmilch ist für Kälber, nicht für Menschen», sagt Freddy Hunziker bestimmt. Der 25-Jährige ist der Chef der veganen Käserei und lebt seit Jahren vegan. «Das ist besser für die Gesundheit, wesentlich besser für die Umwelt und fügt keinem Tier Leid zu.» Aus dieser Überzeugung heraus ist der gelernte Polymechaniker zusammen mit seiner Partnerin Alice Fauconnet, auch sie eine Veganerin, zum Unternehmer geworden.

Der Anlass sei die Reaktion der Kollegen auf ihre vegane Lebensweise gewesen. «Viele fanden das toll, sagten aber, auf Käse könnten sie nicht verzichten», erzählt Hunziker. Das stachelte seinen Ehrgeiz an. Er begann, an Käsealternativen aus Pflanzenmilch zu tüfteln. 2015 gründete er schliesslich zusammen mit seiner Lebenspartnerin New Roots. Die beiden wurden damit zu den Pionieren der veganen Käseherstellung in der Schweiz.

Coop holte Produkte ins Regal

Seit der Gründung ist das Unternehmen rasant gewachsen. Anfänglich produzierten Hunziker und seine Partnerin auf 16 Quadratmetern in einem alten Bauernhaus 100 vegane Käsealternativen pro Woche. Heute stellen 13 Leute in einer 500 Quadratmeter grossen modernen Produktionsanlage jede Woche 10000 Produkte her. Pro Monat sind das rund sechs bis acht Tonnen.

Durch die Decke ging das Geschäft, als Coop im November 2018 drei Produkte von New Roots ins Sortiment aufnahm. «Unser Umsatz hat sich auf einen Schlag verdoppelt.» Hektische Zeiten für das Unternehmen, aber auch eine Chance, das Team zu vergrössern und die Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen.

Coop ist heute der wichtigste Absatzkanal für New Roots, der Rest wird grösstenteils in Bioläden in der Schweiz und in England verkauft. In England sei man erst einige Monate aktiv, aber es laufe sehr gut. Nur ein kleiner Teil wird über den eigenen Online-Shop abgesetzt. Dieses Jahr will New Roots das Vertriebsnetz im In- und Ausland weiter ausbauen.

Alte Tradition neu erfunden

Grundlage der veganen Alternativen zu Käse sind Cashewnüsse. 50 bis 60 Tonnen Bio-Cashewkerne importiert Hunziker pro Jahr in grossen Schiffs­containern aus Vietnam. In Thun werden die Kerne mit Wasser vermischt und zu «Cashew-Milch» vermahlen. Pflanzliches Lab bringt die Nussmilch zum Gerinnen. Bakterienkulturen, wie sie auch in der «normalen» Käseproduktion zum Einsatz kommen, sorgen für den Geschmack oder zum Beispiel die gewünschte Schimmelbildung. Diese Kulturen beziehen die Thuner von einem weltweit tätigen Kulturenhersteller, der sie auf pflanzlicher Basis produziert.

Die Cashewmilch wird roh verarbeitet und nicht pasteurisiert, lediglich der «Ricotta» und die Produkte für Coop werden bei 65 Grad thermisiert, um sie länger haltbar zu machen. Das Verarbeiten des Bruchs, das Abfüllen in Formen, das Lagern und Pflegen der Produkte – das traditionelle Käsehandwerk kommt auch bei den veganen Produkten zum Zug. «Abgesehen vom Rohstoff produzieren wir gleich wie eine herkömmliche Käserei», betont Hunziker. «Wir erfinden quasi eine Tradition neu.» Daher auch der Name New Roots, neue Wurzeln.

Eine Ausbildung als Käser hat Hunziker nicht. Das nötige Rüstzeug holte er sich in Gesprächen mit Käsern und Kulturenspezialisten, vieles brachte er sich selber bei. Seit gut einem Jahr arbeitet jetzt ein diplomierter Käser bei New Roots. Auch er ist übrigens inzwischen Veganer, so wie das ganze Team.

Ein «neues Geschmackserlebnis»

Zwölf verschiedene Sorten in EU-Bio-Qualität bietet New Roots an: einen camembertartigen Weiss­schimmelkäse, Ricotta, ver­schiedene Streichkäse und Frischkäse mit verschiedenen Kräutermänteln. Schluss soll damit noch lange nicht sein: Die Macher von New Roots tüfteln an weiteren Sorten. Ziel sei es, zur ganzen Palette an Milchprodukten eine vegane Alternative anzubieten, sagt Hunziker: «Joghurt, Butter, Halbhart- und Hartkäse.»

Die vegane Alternative zu Käse komme bei überzeugten Veganern, ökologisch bewussten Konsumenten und bei Flexi­tariern gut an, sagt ­Hunziker. Und wie schmeckt der vegane Käse, den die Macher übrigens nicht unter dem Namen Käse verkaufen (siehe Kasten)? «Es ist ein neues Geschmackserlebnis.» Es sei nie die Absicht gewesen, mit Zusatzstoffen wie Aromen oder Stabilisatoren den Geschmack und die Konsistenz von klassischem Käse möglichst genau zu imitieren, erklärt Hunziker. «So wie ein Geissenkäse nach Geiss schmeckt, darf unser Produkt nach Cashew schmecken.»

Wie reagieren Käser auf die pflanzliche Käsealternative? Sie hättten viel positives Echo von Milchtechnologen gehabt, die sich für ihre Produktion interessierten, sagt Hunziker. Es habe aber auch gehässige Reaktionen gegeben, bis hin zu Morddrohungen.

«Viel effizienter als Milch»

Obwohl die Cashew-Nüsse aus Vietnam kommen, schneiden die veganen Produkte ökologisch besser ab als die traditionellen Käse, ist Hunziker überzeugt. Denn Cashewkerne seien viel effizienter als Milch. «Aus einem Kilo Nüssen können wir bis zu zwei Kilo Käsealternativen produzieren», rechnet er vor. «Bei der Kuhmilch braucht es bis zu zwölf Liter für ein Kilogramm Käse.» Zudem sei der Import von Futtermitteln für die Nutztierhaltung ein ökologischer Irrsinn. Letztes Jahr habe die Schweiz rund 1,5 Millionen Tonnen Futtermittel importiert, grösstenteils aus dem Amazonas. «Würden wir die gleiche Menge Cashew-Nüsse importieren, könnten wir damit fast drei Millionen Tonnen Käsealternativen herstellen – genug für halb Europa.»

Verglichen mit herkömmlichem Käse sind die veganen Produkte deutlich teurer. 120 Gramm des veganen Camembert kosten bei Coop rund neun Franken, fast dreimal so viel wie der Bio-Camembert aus Kuhmilch. New Roots produziere in kleinen Mengen, das meiste sei Handarbeit und der Rohstoff teuer, erklärt Hunziker diesen hohen Preis. Ausserdem sei ein Umdenken nötig. Konsumenten müssten einsehen, dass hochwertige Lebensmittel auch ihren Preis hätten.

Zu Buche schlagen übrigens auch die ökologischen Verpackungen, die rund 15 Prozent mehr kosteten als herkömmliche Verpackungen. Der Karton bestehe zu 100 Prozent aus Abfällen aus der Zuckerrohrproduktion, erklärt Hunziker. Und die Plastikbecher bestünden zu 30 Prozent aus Pflanzenabfällen, könnten aber trotzdem als PET recycelt ­werden.

Den Grossen Jahre voraus

Längst mischen auch Multis wie Nestlé oder grosse Fleischproduzenten wie Bell im veganen Geschäft mit. Hunziker sieht das kritisch. «Denen geht es nur um den Profit.» Bis ein grosser Milchverarbeiter auf den Geschmack an veganem Käse kommt, ist wohl auch nur eine Frage der Zeit. Angst, dass ein Grosser ihm das Geschäft kaputt macht, hat Hunziker jedoch nicht. «Mit unserem Know-how sind wir der Industrie ein paar Jahre voraus», ist er überzeugt. So hat das Unternehmen neben den Rezepturen etwa auch die Geräte für die Verarbeitung der Cashewkerne selber entwickelt; dabei kam Hunziker seine Ausbildung als Polymechaniker zugute.

Um die 80 Tonnen vegane Alternativen zu Käse produzieren Hunziker und sein Team im Jahr. Beachtlich für ein Jungunternehmen, aber ein Klacks verglichen mit den fast 190000 Tonnen Käse, die 2018 in der Schweiz hergestellt wurden. «Es wird auch in zehn Jahren noch Käse aus Milch geben», sagt Hunziker. «Unser Ziel ist es aber, einen Teil des traditionellen Käsemarktes zu erobern.» Dass das nicht einfach wird, weiss er. «Milch ist fest in den Köpfen drin.» Alternativen brauchten Zeit, um sich durchzusetzen.

Zentral ist es für Hunziker, längerfristig die Schweizer Bauern ins Boot zu holen. So könnten die benötigten pflanzlichen Proteine in der Schweiz angebaut werden, etwa Soja, Hülsenfrüchte, Buchweizen oder Nüsse. Und die Bauern würden damit mehr verdienen als mit der Milchproduktion, sagt Hunziker.
stephan.moser@rubmedia.ch