Untersuchungen im Hochpreisdschungel
Coop und Migros dominieren im teuren Schweizer Lebensmittelmarkt ganze Wertschöpfungsketten. Das hat je nach Sichtweise Vorteile oder Nachteile. Eine Seco-Studie liefert Zahlen zu Preisen, Kosten und Margen.
Schweizer Lebensmittelpreise sind gut 70 Prozent teurer als die durchschnittlichen Lebensmittelpreise in der EU. Eine gängige Erklärung dafür ist der Grenzschutz: Hohe Importzölle führen zu hohen Preisen für landwirtschaftliche Rohstoffe, das macht alles teurer.
Dass diese Erklärung zu kurz greift, zeigt eine Studie der Universität Wageningen1, die vom Staatssekretariat für Wirtschaft Seco in Auftrag gegeben wurde. In der Studie wurden die Preise, Kosten und Margen in drei Wertschöpfungsketten – Weissbrot, Naturejoghurt und Rohschinken – verglichen. Die Schweiz wurde beim Brot mit Deutschland verglichen, beim Joghurt mit Frankreich und beim Rohschinken mit Italien.
Dabei zeigte sich, dass die Schweizer Rohstoffe – Weizen, Milch und Schweine – zwar deutlich teurer sind als EU-Rohstoffe. Der grösste Teil der Mehrkosten entsteht aber bei der Verarbeitung und im Detailhandel. Diese sind je nach Produkt und Verarbeitungskanal sehr unterschiedlich. Sie sind zum Teil klar nachvollziehbar: Löhne und Mieten etwa sind in der Schweiz teurer als in der EU. Und zum Teil geht es um schwieriger quantifizierbare Effekte wie gesetzliche Anforderungen, private Anforderungen in Labelprogrammen und konzentrierte Markstrukturen. «Beim Brot und beim Joghurt treiben die Marktkonzentration im Detailhandel durch Migros und Coop sowie das Vordringen der Detailhändler in die Verarbeitungsstufe die Preise in die Höhe», heisst es in der Zusammenfassung der Studie.
Und: Der Grenzschutz schützt zwar bei Joghurts wirksam vor Importen. Beim Brot und beim Rohschinken könnte es bei den heutigen Zöllen theoretisch interessant sein, mehr zu importieren, als effektiv importiert wird. Es sind andere Gründe, die Importe im grossen Stil verhindern: Beim Brot geht es um Frische, was gegen lange Transporte spricht. Beim Rohschinken spielt eine Rolle, dass die grossen Schweizer Hersteller gleichzeitig grosse Importeure sind und zu den grossen Schweizer Detailhändlern Coop und Migros gehören. Sie haben kein Interesse daran, mit vermehrten Importen die eigenen Produkte zu konkurrenzieren.
Seco: Bestätigung der Gesamtschau
Ziel dieser und der anderen Studien (s. Kasten «Agro-Food-Märkte durchleuchtet») sei es gewesen, die verschiedenen Ursachen für höhere Preise für Lebensmittel und landwirtschaftliche Vorleistungen im Vergleich zum Ausland zu identizifieren und dabei insbesondere die Rolle des Grenzschutzes zu beleuchten, sagt Seco-Sprecher Fabian Maienfisch. «Die Ergebnisse zeigen, dass der Grenzschutz zu einer unerwünschten Rentenbildung in nachgelagerten Wertschöpfungsketten führt.» Die Ergebnisse würden weitgehend die Schlussfolgerungen des Bundesrates in der Agrarpolitik-Gesamtschau vom November 2017 bestätigen und würden «entsprechend in die zukünftige Agrarpolitik einfliessen.» Maienfisch betont ferner, dass die Ausschreibung und Begleitung der Studien in enger Abstimmung mit dem Bundesamt für Landwirtschaft stattgefunden habe.
Stefan Mann von Agroscope ist einer der Begleiter der Studien. «Bei der betreffenden Studie ging es vor allem darum, auszuschliessen, dass Missbrauch von Marktmacht besteht», sagt Mann. Das sei in der Schweiz der Fall: Migros und Coop seien zwar in den drei betrachteten Wertschöpfungsketten wichtige Player, ihre Marktmacht sei aber mit dem Markteintritt von Aldi und Lidl auch schon etwas zurückgegangen.
Grenzschutz und Strukturen im Detailhandel seien weitgehend voneinander unabhängig, sagt Mann. Offenere Grenzen würden also an der Dominanz von Coop und Migros nicht viel ändern. Anders sei es auf Verarbeitungsstufe, wo ein Grenzschutz-Abbau zu einer weiteren Konsolidierung führen könnte, etwa bei den Mühlen.
Seco-Sprecher Maienfisch bleibt allgemein: Ein möglicher Abbau von Grenzschutz sei nicht Teil der Fragestellungen gewesen. Grundsätzlich stärke ein Abbau von Grenzschutz den Wettbewerb. Ob eine geringe Zahl von Anbietern die Preise in die Höhe treibe, sei in der Praxis schwierig festzustellen. Die Studie von BAK und ZHAW zum Wettbewerb im Foodsektor2 habe aber Hinweise dafür bei den Schlachthöfen und Fleischverarbeitern gefunden.
Brot – nicht wegen dem Weizen teurer
Ein Kilogramm Weissbrot kostet in der Schweiz im Schnitt sechs Franken, doppelt so viel wie in Deutschland. Der Weizenpreis ist in der Schweiz mit rund 50 Franken pro 100 Kilogramm zwar fast doppelt so teuer wie in Deutschland. Er macht von den sechs Franken für ein Weissbrot aber nur 41 Rappen aus.
Vielmehr sind es die höheren Kosten für Löhne, Gebäude und Marketing für die Bäckereien (1.50 Franken) und im Detailhandel (1.30 Frarnken), die das Brot verteuern. Fast vernachlässigbar sind die Mehrkosten auf Stufe der Mühlen. Bei der durchschnittlichen Gewinnmarge für den Detailhändler geht die Studie von 6 Prozent aus, beim Brot wären das 35 Rappen. Für Deutschland geht die Studie von 3 Prozent Gewinnmarge aus. Grundlage für diese Detailhandelsmargen ist die niederländische Unternehmensdatenbank Orbis. Coop und Migros bestreiten allerdings diese Grössenordnung: Sie gaben für das Jahr 2016 eine Gewinnmarge von 1,7 Prozent (Coop) und 2,9 Prozent (Migros) an.
Naturejoghurt – kompetitive Molkereien
Ein Kilogramm Naturjoghurt kostet in der Schweiz 2.22 Franken, in Frankreich umgerechnet 1.84 Franken. Hier fällt tatsächlich ein grösserer Anteil der Mehrkosten bei den Milchbauern an. Die Milch ist in der Schweiz mit knapp 60 Rappen fast 20 Rappen teurer als in Frankreich.
Auf Stufe Molkerei sind Emmi (Umsatz: 3,5 Mrd. Franken), Elsa oder Cremo zwar Knirpse im Vergleich zu den französischen Giganten wie Danone (Umsatz: 28 Mrd. Franken) oder Lactalis. Sie sind aber, trotz höherem Schweizer Kostenumfeld, offensichtlich und erstaunlicherweise wettbewerbsfähig: Die Kosten auf Stufe Molkerei liegen in der Schweiz mit 84 Rappen 15 Prozent tiefer als in Frankreich. Das hängt auch damit zusammen, dass die französischen Molkereien mit teurer Werbung für ihre Marken um die Gunst der Konsumenten und Detailhändler buhlen, während in der Schweiz die Marketingkosten für Joghurt praktisch nur auf Stufe Detailhandel anfallen. Emmi ist als Lieferant von Coop gesetzt und die Elsa ist ohnehin Teil der Migros-Gruppe. Die Gewinnmargen der französischen und schweizerischen Verarbeiter sind laut der Studie vergleichbar.
Auf Stufe Detailhandel kommt ein Mehrwert von 71 Rappen dazu, in Frankreich sind es lediglich 36 Rappen. Für den Schweizer Detailhandel nehmen die Autoren wiederum eine Gewinnmarge von 6 Prozent an, für Frankreich 3 Prozent. Der unterschiedliche Detailhandelsmarkt wird dabei eine Rolle spielen: In der Schweiz decken Coop und Migros zusammen 86 Prozent des Detailhandels ab, in Frankreich sind es sechs ähnlich grosse Händler, mit Carrefour als Nummer Eins.
Rohschinken – teure Schweizer Schlachtungen
Ein Kilogramm Rohschinken kostet in der Schweiz 65 Franken, in Italien 55 Franken. Die Preisdifferenz kommt vor allem zustande durch höhere Kosten bei der Schlachtung und bei der Reifung der Schinken. Die Schlachtung ist pro Kilogramm 7,27 Franken teurer als in der Schweiz. Die Bruttomarge des Detailhandels ist in Italien mit 25 Franken etwas höher als in der Schweiz mit 23 Franken, bedingt durch einen kleinstrukturierten Detailhandel mit hohen Fixkosten.
Als Gewinnmarge im Detailhandel werden für Italien 3 Prozent angenommen, in der Schweiz wiederum 6 Prozent. Auch hier wird vermutet, dass mehr Wettbewerb im Detailhandel in Italien zu tieferen Preisen führt und dass die vertikale Integration von Detailhandel und Verarbeitung in der Schweiz Effizienzsteigerungen und teilweise höhere Margen ermöglichen. Ebenso betont wird, dass die beiden Schweizer Kanäle praktisch die gleichen Schweinepreise bezahlen, während in Italien mehr Wettbewerb um den Rohstoff stattfindet.
1 «Factors driving up prices along the food value chain», Katja Logatcheva, Michiel van Galen, Bas Janssens, 2019, et. al. Strukturberichterstattung Nr. 60/3 Seco
2 «Eine Analyse der Food-Wertschöpfungsketten auf Basis internationaler Vergleichsdaten und Fallstudien» Raushan Bokusheva, Silvan Fischer, Michael Grass et. al. Strukturberichterstattung Nr. 60/4 Seco
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