Wie konsumieren wir im Jahr 2030?

Das Rindssteak ist Tabu, unser Essen wächst in der Stadt und teilen ist geiler als selbst besitzen: Der Marktforscher Mintel sagt voraus, welche Trends unseren Konsum in den nächsten zehn Jahren bestimmen werden.

Prognosen sind bekanntlich schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft bertreffen. Das weltweit tätige Marktforschungsunternehmen Mintel wagt trotzdem den Blick nach vorne. In dem letzten Dezember veröffentlichten Bericht «Verbrauchertrends 2030»* identifiziert Mintel sieben zentrale Treiber des Verbraucherverhaltens, die in den nächsten zehn Jahren die globalen Märkte beeinflussen werden. Diese sieben Treiber sind Wohlbefinden, Umfeld, Technologie, Rechte, Identität, Werte und Erlebnisse. Mintel macht dabei jeweils Prognosen, was uns 2020, 2025 und 2030 erwartet. Behält Mintel recht, wird in den nächsten zehn Jahren auch die Ernährungswirtschaft grosse Veränderungen erleben. Die Prognosen sind allerdings mit Vorsicht zu geniessen. Simon Moriarty, Mintel-Trendforscher und Co-Autor der Studie, räumte im Mintel-Podcast «Little Conversation» (nachzuhören auf Youtube) freimütig ein, man liege wohl mit der Mehrheit der Prognosen für 2030 falsch. «Niemand weiss, was morgen passiert», sagte er wörtlich.

Wohlbefinden: Nachhaltigkeit trifft auf Convenience
Das Streben nach körperlichem und geistigem Wohlbefinden ist laut Mintel einer der ersten Schlüsselfaktoren, um zukünftiges Konsumverhalten zu verstehen. Unternehmen würden künftig für ihre Kunden zu Partnern in puncto Wohlbefinden werden. Zwei gegensätzliche Themen bestimmen dabei laut Mintel ganz klar die Zukunft: Nachhaltigkeit und Convenience. Auch ganz wichtig seien personalisierte Produkte: Zwar werde der Massenmarkt auch in Zukunft seine Daseinsberechtigung haben. «Aber es wird immer mehr Individualprodukte geben, die auf die unterschiedlichsten Verbraucherbedürfnisse zugeschnitten sind.» Die Nachfrage nach individuellen Lösungen werden auch das klassische Essverhalten verändern. «Personalisierte Essensboxen und Mahlzeitenersatz-Shakes werden gesellschaftsfähig und bewusste Bewegungs- und Achtsamkeitsübungen erhalten dieselbe körperliche Anerkennung wie körperliche Fitness», heisst es im Bericht. Schon ab diesem Jahr erwartet Mintel, dass junge Menschen bei Getränken ein anderes Konsumverhalten an den Tag legen: Weniger Alkohol, dafür steige die Nachfrage nach Getränken mit funktionalen Eigenschaften. Was erwartet uns 2025? «Rotes Fleisch wird vom Mainstream- zum Luxusgut und schliesslich zum Tabu», schreiben die Autoren. Bei Kosmetik, Essen und Trinken seien Blutgruppen-basierte Lösungen verbreitet und es gebe DNA-Test-Kits für zu Hause, für individuell abgestimmte Ernährung sowie Haut- und Haarpflege.
Umfeld: Klimakrise und 8,5 Milliarden Menschen
Aufgrund der Klimakrise und des prognostizierten Bevölkerungswachstums (8,5 Milliarden bis 2030) sieht Mintel grosse Herausforderungen auf uns zukommen: «Wir müssen unseren Konsum, unsere Abfallproduktion wie auch unseren Energieverbrauch einschränken.» Auch neue Wohnformen - kleinere Räume, Mikrohäuser, geteilte Wohnungen - seien nötig. Sonst müssten die Städte weiter expandieren, was landwirtschaftliche Flächen zerstören würde. Damit würden die Kosten für den Anbau, die Bewässerung und den Transport von Lebensmitteln steigen. Mintel sieht aber in den nächsten zehn Jahren auch positive Entwicklungen: lokale Kleinstunternehmen, Gemeinschaftsgärten und kollektive landwirtschaftliche Nutzung sowie soziale, disruptive Unternehmen, die neuen Wohlstand auf lokaler Ebene generieren.
Technologie: Gegen unbemannte Läden
5G-Standard, virtuelle und erweiterte Realität (VR/AR), autonome Fahrzeuge, smarte Wohnungen: Die Digitalisierung werde die Art, wie wir leben, arbeiten und uns vergnügen grundlegend verändern, prophezeit Mintel. Doch es werde auch eine Gegenbewegung geben: Da die Konsumenten beim Einkaufen auch menschliche Interaktion suchten, würden sie sich etwa gegen personallose Geschäfte zur Wehr setzen; unbemannte Läden würden sich nur bei Discount- und Lebensmittelläden etablieren. Auch das bargeldlose Zahlen werde sich zwar in den nächsten fünf Jahren verbreiten, dann aber wieder zurückgedrängt, weil die Menschen ihre Privatsphäre schützen wollten, so Mintel. Kommunale Wirtschaftsstrukturen, darunter Urban, Vertical und Micro Farming, würden die Menschen künftig vor Ort mit dem versorgen, was sie zum Leben brauchen. Bereits im Jahr 2030, so die gewagte Prognose von Mintel, sollen solche neuen Farms den Grossteil unserer Lebensmittel produzieren.
Rechte: «Konsumenten verschaffen sich Gehör»
Laut Mintel fühlen sich Verbraucher mehr und mehr dazu berufen, Unternehmen, Marken und Menschen, mit denen sie nicht einverstanden sind, an den (digitalen) Pranger zu stellen. Konsumenten wünschten sich, dass auch Unternehmen nach gewissen Prinzipien und Werten handeln und diese einhalten. In den nächsten zehn Jahren würden sich die Konsumenten in der digitalen Welt noch vestärkt Gehör verschaffen, so Mintel. Bis 2030 werde diese Gegenbewegug allerdings wieder abflachen, da die Menschen den endlos scheinenden Kreislauf des reaktiven Diskurses zunehmend ermüdend finden. Bei der Kontrolle über die persönlichen Daten wird es laut den Prognosen von Mintel es zu einer grundlegenden Änderung kommen. «Der Konsument wird die Macht über die Erhebung, Speicherung und Weitergabe seiner Daten erlangen.»
Identität: Es droht eine «Epidemie der Vereinsamung»
Die Definition von Identität befindet sich im Umbruch, immer mehr Menschen rücken ab von starren Definitionen von ethnischer Herkunft, Geschlecht und Sexualität und entscheiden sich für eine selbstbestimmtere, flexiblere Definition der eigenen Identität. «Diese Fluidität wird sich in den nächsten zehn Jahren in vielen Aspekten weiterentwickeln und auch im Handel neue Produktkategorien mit sich ziehen», sagt Mintel voraus. Ein Beispiel ist genderfluide Mode. Düster sind die Prognosen für die soziale Interaktion. «Die Menschheit ist vernetzter als je zuvor, dennoch nimmt das Gefühl von Einsamkeit und Ausgrenzung zu und wird bis zum Jahr 2030 epidemische Ausmasse erreichen.» Mehr gemeinschaftliches Leben und alternative Therapieformen (etwa mit VR-Technologie) könnten gegen die Vereinsamung helfen.
Werte: Sharing und Second-Hand
Fast Fashion, exzessiver Konsum, Wegwerfmentalität: was heute unsere Wirtschaft bestimme, sei in zehn Jahren weitgehend passé, sagen die Trendforscher von Mintel. Die Konsumenten von morgen würden sich bewusst für umweltfreundlichen Konsum und für preisgünstigere, gebrauchte Produkte entscheiden. Das neue Konsumverhalten sei langsamer und minimalistischer (durch die rasante Urbanisierung wird Wohnraum knapp, da ist es praktischer, weniger Kram zu kaufen). Im Vordergrund stünden Langlebigkeit, Strapazierfähigkeit und Funktionalität. Das führe zu einem Aufschwung des Second-Hand-Handels und der Sharing Economy. Aber auch der Absatz von Luxusprodukten werde steigen, weil Verbraucher sich für langlebigere, qualitativ hochwertigere Produkte entschieden. Besonders gefragt seien künftig einzigartige Produkte aus handwerklicher Herstellung. Eine Chance für die (klein-)gewerbliche Nahrungsmittelproduktion?
Erlebnisse: Immer mehr Haustiere
Die Jagd nach neuen Stimuli werde künftig zum starken Treiber unseres Verhalten, prophezeit Mintel. «Wir sind permament auf der Suche nach dem Neuen und dem Bruch mit der Tradition.» Manche würden sich immer grössere Herausforderungen suchen, während andere sich für die «Kunst des Nichtstuns» entschieden. «Das Abschalten zum Vergnügen wird immer wichtiger.» Die Technologie bestimme immer mehr, wie wir Dinge erfahren und erleben. Gerade weil sich aber jedes Erlebnis online teilen lasse, wachse die Sehnsucht nach Offline-Interaktionen. Wegen der zunehmenden Zahl der Single-Haushalte würden Haustiere immer beliebter. Gleichzeitig wachse der Markt für smarte Technologien, um sich um sein Haustier zu kümmern. * Eine Kurzfassung des Bericht kann auf der Mintel-Website runtergeladen werden. Die Langfassung ist Mintel-Kunden vorbehalten.

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