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Patisserie neu gedacht

In seinem «g’nuss»-Laden in St. Gallen verkauft Stefan Bischof Patisserie mit weniger Zucker, weniger Fett und mehr Geschmack. Damit stellt er die herkömmliche Patisserie-Herstellung auf den Kopf.

von Roland Wyss

Mit seinen Patisserien hat Bischof ein begeistertes neues Kundensegment gefunden.
«Baba Koa», Bischofs neue Kreation mit Kakao­fruchtsaft.
Voller Geschmack, weniger süss und mit weniger Fett: Die Kreationen in Bischofs Vitrine.

Stefan Bischof ist Praktiker, durch und durch. Ihn interessiert das Handwerk, das Pröbeln an den Rezepturen, das Optimieren von Geschmack und Textur. Vor knapp drei Jahren hat er sein komplettes Patisserie-Sortiment – mit viel Rahm, Zucker und Eiern – auf das sogenannte «B-Concept» umgestellt (s. Kasten), mit Zutaten wie Inulin, Pektin oder Zitronenfasern.
Wenn man ihn danach fragt, wie diese Umstellung konkret abgelaufen sei, dann erzählt er, wie er ein halbes Jahr lang mit der neuen Methode herumexperimentiert hat – und landet dann gleich wieder bei der sehr praktischen Frage, was denn in eine Haselnusscreme rein muss, wenn der Haselnussgeschmack möglichst intensiv sein soll. Für die Antwort darauf nimmt er den Schreibenden mit nach unten ins «Labor»: «Ich zeigs dir am besten direkt.»

Dort legt Stefan Bischof gleich los, wägt, mischt und rechnet vor: «Haselnuss hat fast 50 Prozent Fett. Noch mehr Fett – etwa in Form von Rahm – brauche ich nicht. Mit 30 Prozent Haselnuss habe ich 15 Prozent Fett, genug für den Geschmack.» Bischof rechnet immer in Prozent, nicht in Gramm, wie er es in der Lehre gelernt hat – obwohl, auf 100 Gramm sind die Zahlen natürlich die Gleichen. Die Prozent­zahlen ergeben sich aus den aufwendigen Pröbeleien, die Bischof hinter sich hat. Zu den 30 Gramm mischt Bischof nun 7 Gramm Kokosblütenzucker, ein bräunliches Pulver mit ganz leicht karamellig-malzigem Geschmack. Das Resultat: lecker. Und süss genug. «Mehr Süsse braucht es nicht», sagt Bischof. Und: «Ich will hier auch keinen Laktosegeschmack drin». Wenn er Rahm und Butter einsetze, dann gezielt für den Geschmack. Emulgieren könne man auch mit Zitrusfasern. Und so kommt zuletzt Zitrusfaser – sie ist völlig geschmacklos – dazu, damit die Haselnusscrème stabil bleibt. Und säurefreies Pektin für die Gelierung.

Inulin, Oligofruktose, Zitronenfaser, Eiweisspulver, Pektine oder auch Johannisbrotkernmehl sind Zutaten, die Bischof häufig anstelle der traditionellen verwendet. Immer mit dem Ziel: Mehr Geschmack, weniger Zucker und weniger Fett. Die neuen Zutaten erfüllen die gleichen alten Funktionen: Sie sollen das richtige Volumen, die richtige Textur, das richtige Verhältnis zwischen Trockenmasse und Flüssigkeit liefern.

Zucker ersetzt Bischof nicht nur mit Kokosblütenzucker, sondern je nachdem mit Oligofructose oder Inulin, beides wird aus der Chicoree-Wurzel gewonnen. Inulin etwa
ist zehnmal weniger süss als Zucker und gibt eine cremige Textur. Es ist ein Ballaststoff und belastet den Blutzuckerspiegel nicht.

Komplett umgestellt

Und wie lief das nun genau mit der Umstellung auf «B Concept»? Bischof führt die Konditorei «g’nuss» schon seit acht Jahren in St. Gallen, wie er erzählt. Vor drei Jahren hat er beim Schokoladenhersteller Felchlin einen Kurs des spanischen Patissiers Jordi Bordas besucht. Bordas hat mit «Concept B» eine neue Art der Patisserie-Produktion mit weniger Zucker und weniger Fett entwickelt. «Das hat mich extrem fasziniert, ich hab mich gemeinsam mit ein paar Kollegen gleich angemeldet für einen Wochenkurs bei Bordas in Barcelona.» Als Bischof zurückkam, war für ihn klar: Die traditionelle Patisserie interessierte ihn nicht mehr. Er liess das Sortiment auslaufen, hatte ein paar Tage lang gar keine Patisserie in der Vitrine und begann dann seine eigenen «Concept B»-Produkte zu verkaufen. Bis heute mit grossem Erfolg.  «B-Concept braucht 100 Prozent Aufmerksamkeit», sagt Bischof, «wenn man damit mal begonnnen hat, dann wird die klassische Herstellung plötzlich sehr schwierig.» Wer in tra­ditionellen Rezepturen einfach Zucker und Rahm ersetzen wolle, komme nicht weit. Am Anfang steht für Bischof immer ein Haupt­geschmack, dann fragt er sich, was als Ergänzung dazu passt, und schliesslich geht es um die Konsistenz: Crème, Mousse, Gelée oder Kompott?

Eine seiner neuen Kreationen ist «Baba Koa», mit dem Hauptgeschmack Kakaofruchtsaft, genannt «Koa». Kakaofruchtsaft wird aus der Kakaopulpe gewonnen, die nach der Kakaofermentierung üblicherweise weggeworfen wird. «Baba Koa» hat einen Gelée-Kern aus dem Kakaofruchtsaft Koa, eine gebackene Koa-Mousse-Umhüllung, eine Glasur und einen knackigen Boden mit Vollkornreismehl und Kokosfasern. Mit dem komplett neuen Rohstoff Koa, geschmacklich am ehesten mit Litschi vergleichbar, musste Bischof selber herausfinden, wie die richtigen Konsistenzen erzielt werden können – ein aufwändiger Prozess, der ihm einiges Kopfzerbrechen bereitete.

Wichtiges Instrument ist für Bischof der Tiefkühler. Seine Kreation entstehen über mehrere Tage, 70 bis 80 Stück pro Charge, indem zuerst die Kerne in Silikonbackformen produziert und eingefroren werden, anschliessend kommen die Kerne in die Umhüllungen, das Ganze wird wieder gefroren. Zuletzt kommt die Glasur und die Dekoration, dann das erneute Einfrieren. Dabei ist wichtig, dass er das Verhalten der Zutaten beim Tiefkühlen kennt. Wasser muss vollständig ein­gebunden werden, damit es nicht auskristallisiert und die Strukturen zerstört. Für den Kern eignet sich Fruktose als Zucker, weil sie schneller auftaut und so die ganze Patisserie gleichmässiger auftaut.

Ebenso wichtige Instrumente sind für Bischof das pH-Messgerät und das Refraktometer, um die Süsse zu messen. Der Säuregehalt ist wichtig, weil er je nachdem unterschiedliche Pektine verwenden muss, um das Wasser zu binden. Stabilisieren kann er die Säure mit Zitronensäure oder Natron.

Ein Exot in der Branche

«Wir als ausgebildete Fachpersonen müssen doch ein Interesse haben, wie wir unsere Produkte von Grund auf möglichst gut produzieren können», findet Bischof. Allerdings ist er ein Exot in der Branche, und weit und breit der Einzige, der «B-Concept» derzeit kommerziell umsetzt. Bei den Jungen, die er an Kursen weiterbildet, stellt Bischof zum Teil ein Interesse fest, bei vielen etablierten Kollegen eher weniger. «Viele führen ein Geschäft mit langer Tradition und tun sich schwer damit, die Erdbeerrahmtorte und die Cremeschnitte ganz weg­zulassen», sagt er. Da sei er vielleicht un­belasteter gewesen. Bischof hat ein paar Berufskollegen, mit denen er sich austauscht, die ebenfalls mit «Concept B» pröbeln und wohl irgendeinmal den Wechsel machen würden, sagt er.
Für Bischof ist klar, dass die Jungen immer weniger an der traditionellen Patisserie interessiert sein werden: «Wer Proteinshakes trinkt und auf Instagram seinen Sixpack zeigt, isst keine Schwarzwäldertorte.» Es sei die grosse Herausforderung, junge Kunden zu gewinnen. Die Tatsache, dass seine Produkte nicht nur weniger Zucker und Fett enthalten, sondern teilweise auch laktosefrei, glutenfrei oder vegan sind, hilft natürlich auch.

Das Ganze hat einen stolzen Preis: Bischofs Kreationen kosten zwischen 8 und 9 Franken. Sind es nur die teureren Rohstoffe, oder wird da eine grosszügige Marge draufgeschlagen? «Es geht nur um die Rohstoffe», sagt Bischof. «Kokosblütenzucker kostet 10 bis 15 Franken pro Kilogramm, Inulin 11 Franken, das ist deutlich teurer als Zucker mit 1.10 Franken.» Auch Rindsgelatine oder Fischgelatine sind deutlich teurer als die übliche Schweinegelatine.

Und natürlich schlägt der erhöhte Anteil an den eigentlichen Hauptaromen – Beeren, Früchte, Schokolade oder Nüsse – zu Buche. Bischofs Mangodessert hat doppelt so viel Mangopüree wie ein herkömmliches – mit den entsprechenden Folgen für Geschmack und Kosten.

Klein und flexibel bleiben

Bischof arbeitet mit einer analytischen, eigentlich industriellen Denkweise, aber im handwerklichen Massstab. Will er nicht wachsen, Kollegen oder die Gastronomie beliefern, um Produktkosten zu senken? «Nein, ich bin mit Leib und Seele Handwerker, gross werden ist nicht mein Ziel», sagt Bischof. Man habe dann rasch nicht mehr alles unter Kontrolle, das sei ihm aber wichtig. «Ich bin lieber klein und flexibel.» Es sei auch nicht so, dass er die Rezepte unverändert reproduziere. «Die Rezeptentwicklung ist nie fertig, man kann immer noch etwas verbessern. Und es gibt noch so viele Geschmäcker, die man kombinieren kann.» Gerade eben habe er eine Patisserie aus Macadamia und weissem Pfirsich entwickelt, erzählt er begeistert, die habe er aus der Produktion direkt in den Laden gestellt, wo sie laufend verkauft wurde. Bischofs Kunden wissen, dass im «Labor» immer etwas läuft und dass immer mal wieder etwas Neues in der Vitrine steht. «Das macht Spass – für die Kunden und für mich.»
roland.wyss@rubmedia.ch