07.08.2024
Das deutsch-dänische Dosen-Dilemma
Wer in Deutschland eine Getränkedose kauft, der bezahlt dafür seit Jahren ein Depot - nur in der Grenzregion zu Dänemark gibt es da eine Ausnahme. Diese sollte eigentlich schon längst behoben sein, aber die Beteiligten tun sich schwer.
Für Menschen in der deutsch-dänischen Grenzregion ist es ein gewohntes Bild: Mit leeren Anhängern am Auto fahren Dänen in die deutschen Orte Harrislee, Flensburg oder Süderlügum, und auf dem Rückweg ist der Kofferraum bis obenhin vollgepackt mit Bier- und Limonadendosen. Gekauft im Grenzhandel, ohne deutsches oder dänisches Depot für die Dosen zu bezahlen.
Dieses Kuriosum, das insbesondere Umweltschützer ärgert, sollte eigentlich schon vor Jahren beendet worden sein. Im Frühsommer 2015 schien nach jahrelangen Verhandlungen nämlich endlich eine Lösung in Sicht: Die Umweltministerien in Kopenhagen, Berlin und der deutschen Stadt Kiel unterzeichneten eine von den Dänen initiierte Vereinbarung, die diese Praxis beenden sollte.
Im Grenzhandel sollte demnach das dänische Pfand erhoben werden, das die dänischen Konsumenten in Dänemark erstattet bekommen. Voraussetzung: die Einrichtung eines flächendeckenden Rücknahmesystems auf dänischer Seite. "Wir sind sehr stolz darauf, weil es ein riesiges Umweltproblem löst", hatte die damalige dänische Umweltministerin Kirsten Brosbøl zu den Plänen gesagt.
2018, so der Plan, sollte es soweit sein. Doch auch 2020 können Skandinavier noch immer pfandfrei in den Grenzshops einkaufen, wenn sie eine Exportbescheinigung - die auch bei Schweizern bekannten "grünen Zettel" - ausfüllen.
"Das ist eine fast unendliche Geschichte", findet Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Er kritisiert, dass sich seit 2015 nichts getan hat. Seiner Ansicht nach gibt es sowohl auf deutscher als auch dänischer Seite extreme Widerstände.
Deutscher vs. dänischer Abfall
Er erklärt sich das so: "Es ist deutscher Abfall, mit dem verdient der Lebensmitteldetailhandel in Dänemark keinen Euro." Und auf deutscher Seite gebe es auch kein grosses Engagement, um einfach den deutschen Einwegpfand von 25 Cent zu erheben.
Letzteren Vorschlag favorisiert die dänische Handelskammer Dansk Erhverv, die seit Jahren Sturm läuft gegen die pfandfreien Dosen aus Deutschland. "In den Grenzhandelsgeschäften sollte deutsches Pfand auf deutsche Dosen erhoben werden - genauso wie es in allen anderen deutschen Geschäften und an allen anderen deutschen Landesgrenzen der Fall ist", sagt Lotte Engbæk Larsen von der Kammer.
Der Umsatz aller Grenzhändler in der norddeutschen Grenzregion wird der Interessengemeinschaft der Grenzhändler (IGG) zufolge auf rund 800 Millionen Euro im Jahr 2015 beziffert. Einen nicht unerheblichen Teil davon erzielten die Grenzhändler mit den Getränkedosen: Mehr als 650 Millionen Dosen gelangen Schätzungen zufolge aus dem norddeutschen Grenzhandel jährlich nach Dänemark. Die 15 Mitglieder der IGG beschäftigen in 60 Läden von Fehmarn bis Aventoft, über Heiligenhafen, Lübeck, Kiel, Flensburg, Harrislee und Handewitt insgesamt 3000 Vollzeitkräfte.
Gegen die Einführung des dänischen Pfands - wie in der Vereinbarung vorgesehen - ist die IGG nicht. Voraussetzung sei aber, dass ein solches System nicht diskriminierend für den Grenzhandel sei, sagt der IGG-Vorsitzende Erik Holm Jensen. Nach Ansicht der IGG verstösst die Entrichtung von deutschem Einwegpfand aber gegen EU-Recht. "Der Europäische Gerichtshof hat eine Pfandpflicht nur erlaubt, wenn die Kunden die leeren Flaschen und Dosen gegen Erstattung des Pfandes wohnortnah zurückgeben können", so die Interessengemeinschaft.
Erhebliche Umweltprobleme
Anders sieht es Dansk Erhverv. Es widerspreche jeglichen umwelt- und wettbewerbsrechtlichen Prinzipien, dass wenige norddeutsche Geschäfte als einzige vom deutschen Pfandsystem ausgenommen seien. Die Ausnahme verzerre nicht nur den Wettbewerb, sondern schaffe auch erhebliche Umweltprobleme: Neun von zehn Dosen, die Naturschützer alljährlich in der dänischen Natur fänden, stammten aus Deutschland.
Um die Sache zu klären, hat Dansk Erhverv 2016 bei der EU-Kommission Beschwerde gegen Deutschland eingelegt. In diesem Herbst rechnet die Kammer mit einem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs.
Von der Entscheidung hängt auch ab, wie die dänische Regierung weiter verfährt. Der Ausgang der Beschwerde könne Bedeutung dafür haben, ob es Bedarf für ein Grenzpfandabkommen gebe, teilt eine Sprecherin des Umweltministeriums in Kopenhagen mit.
Wenn die Grenzhändler zum Erheben von deutschem Pfand verpflichtet werden, sei eine solche Vereinbarung wahrscheinlich gar nicht notwendig. Zugleich befänden sich die dänischen und deutschen Behörden im Dialog, um das Umweltproblem zu lösen.
Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) drängt zur Eile: "Die dänische Regierung sollte endlich ihren Worten Taten folgen lassen und mit einem ausreichenden Netz aus Rücknahmestationen den Weg für das schon lange notwendige Pfandsystem frei machen."
Thema nicht auf Agenda
Auch das Bundesumweltministerium hat das Thema noch auf der Agenda. Man habe Gespräche mit der dänischen Regierung initiiert, um möglichst rasch zu einer Lösung zu kommen, sagt ein Sprecher. Aus BMU-Sicht sei es wichtig, dass Einweggetränkeverpackungen im Grenzhandel möglichst bald nur noch bepfandet verkauft werden.
Dass die Infrastruktur zur Rücknahme durch den dänischen detailhandel noch nicht so weit sei, hält DUH-Mann Fischer für ein Pseudoargument. Die Dänen hätten ein Pfandsystem und gerade in grossen Supermärkten eine hervorragende automatisierte Infrastruktur.
Es wäre aber aus Sicht der DUH auch nicht tragisch, wenn das deutsche Pfand erhoben würde. Fischer fordert ein Ende des Redenschwingens und konkrete Taten. Die Umwelthilfe will das Thema nun wieder stärker auf die politische Agenda setzen - notfalls auch über den Klageweg.