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Schokolade aus der Kakaobohnenzelle

An der ZHAW in Wädenswil entsteht eine völlig neue Art von Schokolade: Nicht aus fermentierten und gerösteten Kakaobohnen, sondern aus
vermehrten Kakaobohnenzellen. Auf single Origin folgt single Bean.

In Wädenswil wird an der Zukunft der Schokolade geforscht. Durch eine Kooperation zweier Arbeitsgruppen unter der Leitung der Biotechnologin Prof. Dr. Regine Eibl werden seit 2005 neben pharmazeutischen Produkten auch Lebensmittel im Reaktor erzeugt. Kürzlich gab die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW bekannt, zum ersten Mal «Schokolade aus dem Labor» hergestellt zu haben, nicht aus fermentierten und gerösteten Kakaobohnen wie üblich, sondern aus Kakaobohnenzellen, die vermehrt und dann verarbeitet wurden.
Für das neue Verfahren wurden frisch geerntete, unreife Kakaofrüchte von der «Tropical Agriculture Research Station» in Puerto Rico verwendet. Ihnen wurden die Kakaobohnen steril entnommen und daraus eine in flüssigem Nährmedium wachsende Zellkultur angelegt. Diese Suspensionszellen werden in Glas- oder Kunststoffkolben bei 29 Grad Celsius geschüttelt und inkubiert, wie Prof. Dr. Regine Eibl-Schindler, Leiterin der Fachgruppe Zellkulturtechnik an der ZHAW, erklärt. «Diese Vorkultur wurde anschliessend in einem Bioreaktor von 20 Liter Volumen vermehrt. Nach 16 Tagen konnte die Kakaozellkulturmasse nach einer Filtration der Kulturbrühe geerntet werden.» Die Kakaozellmasse wurde gespült und gefriergetrocknet. Anschliessend wurde sie erneut inkubiert. Zuletzt wurde die Kakaozellmasse kurz geröstet, mit Zutaten wie Zucker und Kakaobutter vermischt, erhitzt, Lecithin dazugegeben und die Masse in Formen gegossen.
Ein neues Geschmackserlebnis
Entstanden ist daraus eine Modellschokolade, deren Geschmacksprofil von den wenigen, die davon probieren konnten, beschrieben wird als «intensiv und komplex, mit vorherrschenden Zitrus- und Beerenaromen». Darüber hinaus gebe es laktische, malzige, grünliche und pflanzliche Noten und eine leichte Säure. 
«Die Schokolade vermittelt geschmacklich und texturell neue Eindrücke, aber man erkennt, dass das Produkt den gleichen Ursprung hat wie konventionelle Schokolade», sagt Prof. Dr. Tilo Hühn, Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und -prozessdesign an der ZHAW. Sie sei weniger geröstet als konventionelle Schokolade, das könne aber variiert werden.
Mehr ursprüngliche Aromen
Schokolade aus dem Labor – ist das nötig? «Das müssen letztlich die Konsumentinnen und Konsumenten beurteilen», sagt Hühn. «Für uns ist es ein interessantes Forschungsthema.» Damit könne man möglicherweise Probleme in der Rohstoffproduktion wie den Pflanzenschutzmitteleinsatz, soziale Anstellungsbedingungen oder Kinderarbeit entschärfen.
Mit der neuen Methode wird also die Kakaobohne zur Quelle für eine neue Art der Schokoladenproduktion und ist nicht mehr der Rohstoff, der aufwendig fermentiert, geröstet und conchiert werden muss. Von diesen Prozessen, die bei der konventionellen Herstellung einen grossen Einfluss auf den Geschmack des Produktes haben, bleibt bei der neuen Methode nicht viel übrig. 
Eine Fermentation zum Beispiel sei zwar möglich, sagt Hühn. «Nach der Inkubation kann man im gleichen Tank auch eine Fermentation machen, mit gezielt gewählten Starterkulturen; die Zellkulturen als Ausgangsmaterial sind steril, man kann alles kontrollieren.» Die Frage sei aber, ob das erwünscht sei. Die Funktion, mit Fermentation die Pulpe von der Bohne zu lösen, falle schon mal weg. Und viele interessante Geschmacksnoten seien als Primäraromen in den Zellkulturen als Ausgangsmaterial schon drin. «Diese Aromen sind in der Pulpe und diffundieren auch in die Bohne hinein.» Die Zellkulturschokolade sei deshalb geschmacklich sehr nahe am Ausgangsprodukt. Durch Fermentation und Röstung hingegen gingen diese Aromen teilweise verloren, sagt Hühn. «Was wir heute Schokolade nennen, basiert eher auf Prozessaromen als auf Primäraromen.»
Die Röstung, die Prozessaromen ins Produkt bringt, ist angebracht, wenn es um Schokolade geht, kann aber auch weggelassen werden. «Durch die ausgeprägte Fruchtigkeit der Zellkulturen ist etwa der Einsatz in anderen Lebensmitteln wie Smoothies denkbar», sagt Hühn.
Das Conchieren der Schokoladenmasse fällt weitgehend weg. «Da im Ausgangsmaterial - den Zellkulturen - keine unerwünschten Mikroorganismen vorkommen wie bei Kakaobohnen vom Feld, entsteht im Prozess auch keine flüchtigen Essigsäure, die mit dem Conchieren wieder entfernt werden muss.» Das sei ein grosser Vorteil.
Das Ausgangsmaterial Kakaobohne ist also für den neuen Prozess noch entscheidender als bei konventioneller Schokolade. Auswahlkriterium für die ZHAW war hier aber vor allem die Verfügbarkeit und der Schutz der genetischen Ressourcen. Hühn sagt, man habe mit Staaten in Südamerika kooperiert, die signalisiert haben, dass sie das Nagoya-Protokoll unterzeichnen wollen. Dabei geht es darum, dass Biopiraterie eingedämmt wird und dass Herkunftsländer für die Verwendung von genetischen Ressourcen entschädigt werden. «Für uns als öffentlich-rechtliche Institution ist das wichtig. Es spielt für die Forschung weniger eine Rolle, da keine Veränderungen vorgenommen werden, aber falls es zur Kommerzialisierung des Proezesses kommt, wird das natürlich sehr wichtig.»
Apropos Kommerzialisierungsphase – wie stehen die Chancen, wie geht es weiter? «Wir führen im Moment Gespräche mit Umsetzungspartnern. Voraussichtlich benötigen wir 18 Monate, um die noch offenen Fragen zu beantworten», sagt Hühn. Ziel sei die Herstellung einer grösseren Menge von Zellkulturen, damit über die Herstellung eines Kakaoproduktes der proof of concept gelingen könne.
Knackpunkt Wirtschaftlichkeit
Die grösste Herausforderung ist die Wirtschaftlichkeit. Die Kosten für die Nährlösung, mit Zucker, Aminosäuren, Spurenelementen und Phytohormonen, sind hoch und müssen gesenkt werden. Auf der anderen Seite ist es schwierig, das Marktpotenzial abzuschätzen. «Klar gibt es Menschen, die sagen, sie würden Schokolade aus dem Labor niemals essen», sagt Hühn. Aber man sehe heute, was die kleine Gruppe von Veganern auf der Welt schon bewirkt habe, und wie viele Flexitarier es heute schon gebe. Unter dem Stichwort plant-based sehe er deshalb grosse Chancen, das notwendige Produktverständnis zu vermitteln. «Das Thema Klima und Umwelt können wir nicht einfach ignorieren, das Bewusstsein dafür wächst bei den Menschen – und damit auch die Akzeptanz der Konsumentinnen und Konsumenten.»
Hühn sieht auch die Schweiz als Forschungsstandort in der Verantwortung. «Wir müssen diese Themen aufgreifen und können nicht einfach zuschauen, wie Start-ups in anderen Ländern aktiv werden.» Bei der Kommerzialisierung sei ebenfalls das Ziel, dass sie in der Schweiz stattfinde. 
Letzteres immerhin hat Hühn schon einmal geschafft: In Freienbach SZ entsteht eine neue Schokoladenfabrik von Yello-Sänger und Unternehmer Dieter Meier. Auch dort kommt eine neue Art der Schokoladenherstellung zum Zug, die unter der Federführung von Tilo Hühn entstanden ist. Dazu will er aber nicht viel sagen. «Dieter Meier entscheidet, wann und wie er darüber informiert. Das dauert nicht mehr lange, die Produktion wird in diesem Jahr starten – und man wird davon hören.»

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