Zu viel essen ist auch Food Waste
Viele Menschen verzehren mehr Kalorien, als ihr Körper wirklich braucht. Auch diese Überernährung sei Foodwaste, sagt HAFL-Dozent Matthias Meier. Er hat das Problem für die Schweiz berechnet.
Das Rüebli, das nicht geerntet wird, weil es zu krumm ist; der Teller im Restaurant, der halbvoll zurück in die Küche geht; das abgelaufene Joghurt, das im Müll landet, obwohl es noch geniessbar wäre: Dass Lebensmittel entlang der ganzen Wertschöpfungskette verschwendet werden, ist bekannt und relativ gut erforscht. Kaum ein Thema ist hingegen das Phänomen Food Waste durch Überernährung: Also Kalorien, die wir über den physiologischen Bedarf hinaus verzehren und damit eigentlich unnötigerweise zu uns nehmen.
Ein klimarelevantes Problem
Matthias Meier, Dozent für nachhaltige Lebensmittelwirtschaft an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL), hat das Phänomen zum Auftakt einer Vortragsreihe der Berner Fachhochschule zum Thema Food Waste (siehe Kasten) beleuchtet. Eine internationale Studie, basierend auf dem Bodymass-Index von übergewichtigen und fettleibigen Personen, kommt zum Schluss, dass in der EU jährlich 40 Millionen Tonnen Lebensmittel gegessen werden, die gar nicht nötig wären. «Das sind circa 50 Prozent des Food Waste, der vom Feld auf den Teller anfällt», sagte Meier. Die Datenlage sei allerdings mit Vorsicht zu geniessen, und der Fokus auf übergewichtige Menschen sei problematisch, weil diese Menschen ohnehin schon stigmatisiert seien.
Aufgrund eigener Berechnungen kommt Meier zum Schluss, dass Food Waste durch Überernährung auch in der Schweiz ein nennenswertes Problem darstellt. Je nach körperlicher Tätigkeit brauche ein Mensch im Schnitt zwischen etwa 2000 und 2500 Kilokalorien pro Tag. Durchschnittlich nähmen wir aber rund 2570 kcal zu uns. «Im Mittel essen wir jeden Tag 307 Kilokalorien zu viel», sagte Meier. Konkret bedeute das, dass durch die Überernährung zusätzliche 26 Prozent Food Waste entstünden – zu den Lebensmitteln, die bereits beim Weg vom Feld auf den Teller verschwendet werden. «Das entspricht rund 195 Kilogramm Co2-Äquivalenten pro Person und Jahr – zusätzlich zu den 482 Kilogramm, die durch den Food Waste vom Feld auf den Teller entstehen.» Meiers Fazit: Eine bedarfsgerechte Ernährung würde das Problem des überernährungsbedingten Food Waste eliminieren.
«Alle Akteure sind relevant»
«Wir verschwenden in der Schweiz und in Europa ein Drittel der Lebensmittel», sagte Claudio Beretta in seinem Referat. Beretta ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nachhaltigkeit an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) und Mitgründer des Vereins Foodwaste.ch. Food Waste falle entlang der ganzen Wertschöpfungskette an, sagte Beretta. Gewichtet nach Umweltbelastung sind die privaten Haushalte dabei mit 38% die grössten Verursacher, gefolgt von der verarbeitenden Industrie (27%), der Gastronomie (14%) und der Landwirtschaft (13%). Mit je 4 Prozent tragen Grosshandel und Detailhandel auf den ersten Blick zwar am wenigsten zum Problem bei. Doch der Detailhandel sei alles andere als unbedeutend, so Beretta. Krumme Rüebli würden auf dem Feld aussortiert, weil der Detailhandel sie nicht wolle, machte er ein Beispiel. Der Detailhandel habe sogar die grösste Hebelwirkung, um Food Waste bei Produzenten und Konsumenten zu verringern. «Alle Akteure sind relevant und hängen zusammen. Lösungen sind nur möglich, wenn alle zusammenspannen», lautete Berettas Fazit.
Weniger Food Waste auch dank Kühen
Kleie, Treber, Presskuchen von Ölsaaten, Mostobsttreber oder Zuckerrübenschnipsel: Bei der Verarbeitung von pflanzlichen Lebensmitteln fallen in der Schweiz jedes Jahr 365’000 Tonnen Nebenprodukte an, die an Nutztiere wie Kühe, Schweine oder Hühner verfüttert werden, ein grosser Teil davon in Mischfutter. «Damit bleiben die Nährstoffe in der Lebensmittelproduktion», sagte Stefan Probst, Dozent für Tierernährung an der HAFL, in seinem Referat. Er hat das für die Schweiz durchgerechnet.
Seine Zahlen zeigen, dass Hühner nur 16 Prozent der Nebenprodukte verwerten können, Schweine rund 38 Prozent, Rindvieh hingegen 46 Prozent. Der Grund: Schweine und Hühner können von ihrer Verdauung her oder aus gesetzlichen Gründen nicht alle Nebenprodukte fressen, oder nur in einem gewissen Masse. «Milchvieh trägt wesentlich dazu bei, dass alle anfallenden Nebenprodukte für die Lebensmittelproduktion verwertet werden können», sagte Probst. Ein minimaler Kraftfuttereinsatz beim Milchvieh sei deshalb unumgänglich, um die Nebenprodukte vollständig zu nutzen.
Die Frage, ob denn diese Nebenprodukte nicht direkt und besser für die menschliche Ernährung genutzt werden könnten, wurde in der abschliessenden Diskussion nur kurz gestreift. «Wenn alle nur noch Vollkornmehl essen würden, dann gäbe es praktisch keine Mühlennebenprodukte mehr. Aber das ist wohl kein realistischer Ansatz.» Nebenprodukte würden auch künftig anfallen, und solange man sie nicht verstärkt direkt für die menschliche Ernährung nutzen könne, brauche es zur Verwertung eben Tiere, sagte Probst.