«Die Lebensmittelindustrie hat die Chance, transparenter zu werden»
Bei der Initiative «Du bist hier der Chef!» in Deutschland bestimmen Verbraucher über Herstellung, Tierwohl und den Preis verschiedener Produkte. Dabei sollen die Produzenten «gerechter» entlöhnt werden. Was treibt Nicolas Barthelmé, den Initianten der Bewegung an?
Nicolas Barthelmé, für Sie sind Lebensmittel, die für einige Euros zu haben sind, ganz schlimm. Warum?
Die Preiseinstiegsprodukte wie zum Beispiel Milch für 70 Cents pro Liter sind Massenware. Von der Kalkulation her sind diese Produkte nur möglich, weil sie auf einem ausbeuterischen System beruhen. Ausbeuterisch für die Landwirte und für die Tiere, denn es ist klar, dass die Landwirte zuerst schauen müssen, dass sie ihre Rechnungen bezahlen, um überleben zu können. Damit kommt das Tierwohl zu kurz. Diesen Zustand wollen wir nicht mehr unterstützen. Wenn es am Markt nicht von alleine funktioniert, dann machen wir es selber. Wir sichern über unsere Produkte eine Vergütung, die fair und transparent ist und die den Landwirten ein Auskommen sichert.
Dreht der Wind nicht sowieso, wenn sogar der neue deutsche Agrarminister Cem Özdemir fordert, dass die Fleischpreise erhöht werden sollten?
Das sind beim Amtsantritt einfach einmal die ersten Töne. Aber es ist ein klares Signal. Letztlich wird er genau wie seine Vorgänger daran gemessen, was er alles umsetzen kann. Das Problem der Dumpingpreise bei Lebensmitteln ist nicht einfach zu lösen, wenn die Politiker sagen: «Ihr müsst…» – sondern es muss überall zu einem Umdenken kommen. Die ganze Wertschöpfungskette muss sich zusammentun und insbesondere der Handel muss schauen, wie er die höhere Qualität verkaufen kann.
Will die Lebensmittelbranche das?
Ich hoffe es. Das Wirtschaften auf Kosten der Natur, Tieren und von Menschen, das ist vorbei. Alle Grossen befassen sich mit dem Thema, weil sie es müssen.
In Frankreich gibt es die Marke «c’est qui le patron». Lehnt sich ihr Projekt an das französische Modell an?
In Frankreich ist das Projekt mit 3000 Landwirten, die für das Label «c’est qui le patron» produzieren, deutlich weiter. Wir wollen einfach zeigen, dass faire Preise auch in Deutschland möglich sind, ohne aber dabei die Mitbewerber platt zu machen. Wir wollen ihnen aufzeigen, dass Transparenz für Lebensmittel möglich ist.
Wo im Einzelhandel findet man Ihre Produkte?
Wir arbeiten mit Rewe, mit Alnatura, mit Hit, mit Edeka und mit Transgourmet zusammen. Das sind aber alles nur regionale Listungen. Die nächsten Schritte sollen zentrale Listungen sein, damit die Produkte flächendeckender angeboten werden können.
Wie laufen die Gespräche mit dem Handel?
Wir sprechen mit allen. Wenn zum Beispiel Aldi und Lidl sagen, sie wollen die faire Milch listen, dann ist das in Ordnung. Grundsätzlich ist es für den Handel neu, dass der Verbraucher bestimmt, was er will. Der Handel ist es sich nicht gewohnt, mit Verbrauchern zusammen zu sprechen und zu akzeptieren, dass ein Produkt von anderen als von ihm bestimmt und entwickelt wurde. Das Ziel ist einfach, eine gute Transparenz der Produkte zu gewährleisten, sodass eine faire Vergütung auf die Höfe kommt.
Gerade in Deutschland ist ja die «Geiz ist geil-Mentalität» immer noch populär. Ausserdem können sich viele Konsumenten teurere Lebensmittel gar nicht leisten. Es braucht doch den Billigfood?
Es gibt aber auch ganz viele, die sich viel mehr leisten könnten. Ich bin überzeugt, dass die Wertschätzung für Lebensmittel steigt und dass viele Menschen sehen, dass die Landwirtschaft nicht nur für die Lebensmittelproduktion zentral, sondern auch für viele andere wichtige Dinge wie etwa Landschaftspflege wichtig ist. Die Zielgruppe der bewussten Verbraucher wird immer grösser und beträgt heute ungefähr 20 Millionen Leute – ein Viertel der deutschen Konsumenten.
Wie machen Sie auf Ihre Produkte und Ihr Label bekannt?
Die Entwicklung verläuft gut, aber es besteht natürlich immer Luft nach oben. Unser Vorhaben läuft nur, wenn alle mit anpacken – die Verbraucher, die Landwirte und der Handel. Wir haben auch einen Milch-Display erstellt, um im Handel auf die Produkte aufmerksam zu machen. Die Kommunikation läuft hauptsächlich über die Social-Media-Kanäle, denn wir haben kein Marketingbudget.
Was wollen die Leute?
Die Leute entscheiden sich stark für einen biologischen Anbau, somit sind unsere Betriebe auch biologisch geführt. Nach der fairen Milch und den Eiern, arbeiten wir an verschiedenen Produkten, zum Beispiel an Mehl und an Joghurts. Jetzt haben wir mit Kartoffeln das erste vegane Produkt im Angebot. Obwohl viele Konsumenten nicht unbedingt an Fleisch interessiert sind, suchen wir nun auch Fleischprodukte, weil viele Verbraucher sehen, dass die wirtschaftliche Not bei den Landwirten im Fleischbereich gross ist.
Die Marke «Du bist hier der Chef» fordert Mitbestimmung. Funktioniert dies noch, wenn so viele mitbestimmen?
Über die Online-Abfrage können alle sagen, was für sein Produkt wichtig ist und wie es erzeugt wird. Alle Produkte werden von allen mitgestaltet und die Entscheidung zum Produkt und zum Preis wird demokratisch gefällt.
Wie viele Höfe machen mit?
16 Milchviehbetriebe und ein Eierproduzent. Das ist noch sehr wenig und exklusiv. Letztes Jahr haben wir im Milliardenmarkt Milch eine Million Liter Milch verkauft. Die Mengen möchten wir nach und nach ausbauen, um weitere Betriebe ins Programm aufnehmen zu können und auch ihnen einen höheren Preis zu garantieren.
Wie viel erhält der Bauer für die Milch?
Wir garantieren 58 Cents pro Liter Milch. Auf diesen Preis haben sich die Verbraucher in unseren Online-Abfragen geeinigt. Diesen Preis haben wir auch vertraglich mit den Molkereien vereinbart. Für den Verbraucher bedeutet das eine unverbindliche Preis-Empfehlung von 1.45 Euro pro Liter. Die Preise zwischen den Molkereien und dem Handel kennen wir aber nicht, weil wir sonst mit dem Kartellrecht in Konflikt kommen würden.
Wo sehen Sie Ihre Mission in fünf Jahren?
Im Bereich Grundnahrungsmittel muss das Thema faire Vergütung überall präsent sein. Mein Wunsch wäre es, dass man aufhören würde, einfach nur die Preise zu drücken, nur weil ein Produkt von irgendwoher aus dem Ausland billiger bezogen werden kann.
Werden Nahrungsmittelkonzerne dann ein Auslaufmodell sein?
Sie haben die Chance, transparenter zu werden. Für die Konzerne gibt es ausserdem die reale Gefahr, dass die Rohstoffe für sie irgendwann von viel weiter herkommen müssen, wenn zu viele einheimische Bauern aufgegeben haben.