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Drei Elefanten auf einer Erdbeere

Hochdruckpasteurisierung (HPP), ein Brand in der Pommes-Fabrik als Beispiel für Krisenmanagement oder ein Crashkurs in Blockchain: Der Lebensmitteltag 2022 bot spannende Inputs. Und der Technologieexperte der Migros-Industrie stellte unangenehme Fragen.

René Eisenring, Teilbereichsleiter Lebensmittel bei SQS, begrüsste die Teilnehmenden zum Lebensmitteltag 2022. (mos)

Ein Ausfall der Produktion ist für jeden Lebensmittelhersteller ein Albtraum. Für den Langenthaler Pommes-Spezialisten Kadi wurde er am 11. Februar 2016 frühmorgens Wirklichkeit. Holzpaloxen im Vorbau der Fabrik hatten Feuer gefangen. Nach fünf Stunden hatte die Feuerwehr den Brand zwar gelöscht, aber die Statik des Vorbaus war futsch. Die darüber gelegene Produktionslinie für Pommes fiel mehr als sechs Monate aus. Kadi-Geschäftsführer Christoph Lehmann erzählte am Lebensmitteltag in Luzern (siehe «Mehr zum Thema») offen und ehrlich, wie sein Unternehmen diese «scheissbedrohliche Krise» meisterte - und was er heute besser machen würde.
«Wir wollten auf Teufel komm raus unsere Kunden beliefern - und möglichst schnell wieder produzieren können», sagte Lehmann. Um liefern zu können, kaufte Kadi Pommes von seinen Konkurrenten zu und vertrieb sie unter der Marke Kadi. Die Solidarität der Schweizer Mitbewerber sei immens gross gewesen, so Lehmann. Schon am Nachmittag nach dem Brand habe der erste Mitbewerber seine Hilfe zugesagt. «Ohne Bina und Frigemo wären wir heute nicht mehr da.» Eine Herausforderung sei es dabei gewesen, Frites und andere Kartoffelprodukte in Kadi-Qualität zu bekommen, ohne den Mitbewerbern die Kadi-Rezepte zu verraten.
«Versicherungsbroker hat uns Arsch gerettet»
Im September 2016 konnte Kadi die Pommesproduktion wieder hochfahren. Bis von allen Produkten wieder genug an Lager war, dauerte es aber noch eine Weile. Entscheidend für den schnellen Wiederaufbau sei der Versicherungsbroker gewesen, der für Kadi alle vertraglich versicherten Leistungen herausgeholt habe. «Er hat uns den Arsch gerettet.» Lehmanns Tipp: «Macht eine gute Betriebsunterbruch-Versicherung.» Der Gebäudeschaden von 2,8 Millionen sei Peanuts gewesen im Vergleich zum Schaden des Betriebsunterbruchs - «ein hoher zweistelliger Millionenbetrag».
Entscheidend sei auch die klare und transparente Kommunikation gewesen, sagte Lehmann. Mit Unterstützung einer externen Spezialistin habe man den Kunden immer offen kommuniziert, welche Folgen der Brand habe, welche Produkte verfügbar seien und dass man Pommes von Dritten zukaufe. Auch gegenüber der Versicherung, der Bank, den Investoren, Lieferanten und Bauern habe man immer transparent kommuniziert. Das habe Vertrauen geschaffen. «Unsere Glaubwürdigkeit ist gestiegen. Die Kunden merkten: Kadi kann Krise.»
Nicht stolz sei er darauf, dass es ihm nicht gelungen sei, seine Angestellten ausreichend vor der Überlastung zu schützen, sagte Lehmann. Während ein Grossteil der Belegschaft wegen des Produktionsausfalls nichts zu tun hatte, drehte das Kader wegen der Krise am Anschlag. Zwar hätten alle gesagt, sie könnten auch zwölf Stunden am Tag arbeiten. «Aber auf Dauer kann das niemand.» Dadurch habe Kadi auch gute Leute verloren. Heute würde er in einer ähnlichen Krise unbedingt zusätzliches Interimspersonal einstellen, um die Schlüsselleute zu entlasten.
Mit Hochdruck gegen Keime
Was entsteht, wenn drei Elefanten miteinander auf eine Erdbeere stehen? Ein hoher Druck von 6000 bar - und Erdbeerpüree. Auch bei der Hochdruckpasteurisierung HPP werden Lebensmittel und Getränke während einer bis neun Minuten mit diesem hohen Druck behandelt, um sie haltbarer zu machen - anders als bei den Elefanten bleiben die Lebensmittel dabei jedoch völlig intakt, weil der Druck von allen Seiten gleichzeitig kommt. Mit diesem eingängigen Bild erklärten die ETH-Doktorandin Rosa Heydenreich und Peter Nünnerich vom deutschen HPP-Anlangenhersteller Uhde das HPP-Verfahren.
Die Hochdruckpasteurisierung inaktiviert Hefen, Schimmelpilze und Bakterien, schont aber Vitamine, Farbstoffe und Aromen, die chemisch anders aufgebaut sind. HPP wird auch als «kalt gepresst» bezeichnet, weil die Temperatur dabei nicht über 20 Grad steigt. Dadurch verändert sich auch der Geschmack der Lebensmittel nicht. «HPP ist eine milde Behandlung, die frische und natürliche Produkte drei bis zehn Mal länger haltbar macht», sagte Heydenreich. Mit geringeren Drücken kann mittels HPP auch Muschelfleisch aus den Schalen extrahiert werden.
Die Methode hat allerdings auch ihre Grenzen: Für trockene Produkte oder Lebensmittel mit hohem Luftanteil eignet sie sich nicht. Ausserdem vernichtet sie nicht alle unerwünschten Mikroorganismen. Bakterielle Sporen und resistente Viren etwa überleben die Hochdruckbehandlung. Kühlung, ein niedriger pH-Wert unter 4.6 oder die Zugabe von Salz würden helfen, das Wachstum bakterieller Sporen zu bremsen, sagte Heydenreich. «Der HPP-Prozess muss individuell an jedes Produkt angepasst werden.»
Über 550 HPP-Produktionsanlagen sind derzeit weltweit in Betrieb, noch relativ wenig, aber der Markt wachse jährlich zwischen 15 und 20 Prozent, sagte Nünnerich. Rund 1,7 Millionen Franken kostet eine Anlage, heruntergerechnet auf ein Kilogramm Lebensmittel kostet die HPP-Behandlung rund 13 Rappen. Das sei deutlich teurer als thermische Verfahren, sagte Nünnerich. Auch können die Druckbehälter nicht beliebig gross gebaut werden, was den Durchsatz auf etwa 1600 Kilogramm bzw. Liter pro Stunde beschränke. Für frisch zubereitete, hitzesensitive und wasserreiche Premiumprodukte biete sich die Methode aber an.
Lebensmittelsicherheit als Teil der Firmenkultur
Brauchen Lebensmittelunternehmen eine eigene Lebensmittelsicherheitskultur? Nein, viel besser sei es, die Unternehmenskultur zu entwickeln und sicherzustellen, dass die Lebensmittelsicherheit dort ihren Platz habe, sagte Samuel Flückiger in seinem Referat. Er ist Leiter Supply Chain und Mitglied der Geschäftsleitung beim Getränkehersteller Rivella. Wichtig seien eine positive Fehlerkultur, ein echtes Interesse und Engagement der Leitung für alle Themen im Unternehmen, interessierte und engagierte Mitarbeitende und genügend Mittel für die Weiterentwicklung der Lebensmittelsicherheit im Betrieb.
Kultur und Werte vermittelten sich dabei nicht über Reglemente, sondern über Symbole, Kulturinitiativen, Erlebnisse, Geschichten, Vorleben und Führungskultur, betonte Flückiger. Bei Rivella, dieses Jahr übrigens zum besten Arbeitgeber der Schweiz gekürt, kümmert sich ein Steuerkreis Kultur um die Firmenkultur. Feste, gemeinsame Arbeitseinsätze für soziale Zwecke oder ein Blinddate, bei dem Mitarbeitende aus den unterschiedlichsten Bereichen der Firma zusammentreffen, sorgen laut Flückiger bei Rivella für den nötigen Kitt.
Rückverfolgbar dank Blockchain
Die Blockchain-Technologie ist eine Möglichkeit, um in der Lebensmittelbranche die Rückverfolgbarkeit entlang der ganzen Wertschöpfungskette sicherzustellen. Ueli Steiner, Geschäftsführer bei bio.inspecta, gab auf der Bühne im Hotel Schweizerhof einen Blockchain-Crashkurs und stellte World-Trace vor, eine Blockchain-Applikation, die bio.inspecta entwickelt hat. Sie kommt unter anderem bei Bio-Legehennen in der Schweiz und dem «Orang Utan Coffee» in Indonesien zum Einsatz.
Steiners Fazit: Anders als der Stromfresser Bitcoin bräuchten solche End-to-End-Lösungen wenig Strom und verursachten nur geringe externe Kosten. World-Trace etwa braucht für 10'000 Transaktionen nur gerade 1,7 kWh, das entspricht Stromkosten von rund einem Franken. Nicht zu unterschätzen ist laut Steiner aber der Aufwand, um sämtliche Lieferanten einzubinden und zu schulen. «Wählen Sie eine begrenzte Anzahl Artikel aus Ihrem Sortiment, um zu starten.»
Fragen - aber keine Antworten
«Wer von Ihnen hat schon einmal selber ein Tier getötet? Und was ist besser: eine Kuh zu schlachten, die uns 180 Kilogramm Fleisch liefert oder doch lieber die klimafreundlicheren Mehlwürmer essen, von denen wir aber 750'000 umbringen müssen?» Mit solch provokanten Fragen und unangenehmen Fakten sorgte Edouard Appenzeller für einen nachdenklichen Abschluss der Fachtagung. Appenzeller ist Senior Experte Technologie & Innovation bei der Migros-Industrie. In Luzern trat er jedoch nicht in erster Linie als Migrosmann auf und plauderte auch nicht aus dem Nähkästchen, sondern gab sich als Mahner, der sich Sorgen um die Enkeltauglichkeit unserer Erde macht.
Klimawandel, Hunger, Ressourcenverschleiss, Hochleistungstierhaltung und industrieller Fischfang - Appenzeller tippte viele Probleme an. Sind alternative Lebensmittel eine Chance oder eine Scheinlösung, lautete die Leitfrage seines Vortrages. Eindeutige Antworten gab Appenzeller nicht, sondern stellte auch hier bewusst Fragen in den Raum: Woher bekommen wir all die Erbsen für unsere Fleisch- und Milchalternativen? Ist es sinnvoll, dass Okara - ein Nebenprodukt der Tofuproduktion - als Tierfutter endet, oder müsste es nicht für die menschliche Ernährung genutzt werden? Die Präzisionsfermentierung mit gentechnisch veränderten Organismen sei faszinierend, «aber wissen wir wirklich, was wir da tun? Oder ist unser Forscherdrang grösser als die Risikoabschätzung?»
Genug Fragen für das abschliessende Apéro bot Appenzeller mit seinem Auftritt auf alle Fälle. Viele Teilnehmer der Fachtagung hätten aber vom Migros-Insider wohl gerne gewusst, wie sich denn die Migros - die an Laborfleisch forscht und verschiedene Ersatzprodukte herstellt - in diesen schwierigen Fragen konkret positioniert.

Milchwirtschaftliches Museum

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