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Gas geben bei der Vorbereitung auf Engpässe

Eine Mangellage bei Gas oder Strom hätte für die gesamte Schweizer Wirtschaft gravierende Auswirkungen. Für die Lebensmittelindustrie ist noch vieles unklar.

von wy

Der Bund bereitet sich und die Wirtschaft auf eine allfällige Mangellage beim Gas im Winter vor. (Astora)
Für grosse und energieintensive Betriebe wie die Milchpulverproduktion ist eine kontinuierliche Versorgung besonders wichtig. (Hochdorf AG)
Die internationalen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg führen dazu, dass ein Gasmangel und ein Strommangel im nächsten Winter in Europa und auch in der Schweiz plötzlich eine greifbare Realität sein könnte. Russland hat unter dem Vorwand von technischen Problemen die Gaslieferungen nach Europa seit Mitte Juni stark reduziert. Deutschland hat deshalb bereits die zweite von drei Stufen des Notfallplans ausgerufen. In der Schweiz warnte der Bundesrat nun vor einer möglichen Gas- und Strommangellage im Winter, bei der Unternehmen und Dienstleister nicht mehr die Energie erhalten, die sie benötigen.
Es «geht jetzt ums Ganze», sagte Energieministerin Simonetta Sommaruga am 29. Juni, alle müssten jetzt zusammenarbeiten, um die kommende schwierige Situation gemeinsam zu meistern. Wirtschaft und Bevölkerung müssten sich darauf einstellen, dass ein Gas- und Strommangel entstehen könnte, der Bundesrat will mit zusätzlichen Importen und Appellen an die Sparsamkeit die Situation möglichst entschärfen. Für ersteres haben Verhandlungen über ein Solidaritätsabkommen mit Deutschland stattgefunden.
Die Schweiz deckt 15 Prozent des gesamten Energiebedarfs mit Gas ab, ein Drittel davon geht an Industrie und Gewerbe. Eigene Gasspeicher hat die Schweiz keine, von den Importen stammen die Hälfte ursprünglich aus Russland.
Manche Industriebetriebe können von Erdgas auf Heizöl umstellen. Diese wurden von der Gasbranche bereits vor dem Ukrainekrieg dazu aufgerufen, die Heizöllager aufzufüllen, um im Bedarfsfall umschalten zu können. Im Unterschied zum Gas hat die Schweiz beim Heizöl ein Pflichtlager, das für viereinhalb Monate reicht. Mit der Umschaltung könnten rund 20 Prozent des gesamten Gasverbrauchs eingespart werden.
Wirtschaftsminister Guy Parmelin erklärte, man wolle zum Start der Heizsaison eine Kampagne für die Bevölkerung und die Wirtschaft lancieren, um über einfache Sparmassnahmen zu informieren. Bei einer Verschärfung der Lage kann der Bundesrat Unternehmen dazu verpflichten, auf Heizöl umzusteigen oder beispielsweise anordnen, dass Hallenbäder nur noch reduziert geheizt werden. Im schlimmsten Fall kann der Bundesrat eine Kontingentierung beschliessen oder die Stilllegung von Produktionsanlagen anordnen.
Strom: Auch Abschaltungen möglich
Weil in Europa Strom auch aus Gas produziert wird, hat eine Gasknappheit auch Auswirkungen auf die Stromversorgung. Mit einer möglichen Strommangellage befasst man sich in der Schweiz schon länger, mit der Ostral (Organisation für Stromversorgung in ausserordentlichen Lagen) gibt es auch eine Behörde, die in einer Mangelsituation Angebot und Nachfrage lenkt. Die Eskalierung von Massnahmen, die für den Gasbereich erst angedacht ist, ist beim Strom bereits definiert, mit Sparappellen und Verbrauchseinschränkungen und -verboten. Neu ist auch eine Kontingentierung vorgesehen, von der in erster Linie Grossverbraucher mit einem Jahresverbrauch von über 100000 kWh betroffen wären. Die «Ultima Ratio» wären Netzabschaltungen, bei denen Unternehmen in einem Gebiet jeweils abschalten müssten, entweder nach dem Schema 4 Std. an / 8 Std. aus oder 4 Std. an / 4 Std. aus.
Die Wirtschaftsverbände sind mit den Plänen des Bundes im Wesentlichen einverstanden. Allerdings müsse die Sensibilisierung der Bevölkerung bereits jetzt und nicht erst im Herbst begonnen werden, heisst es in einer Mitteilung von Economiesuisse, Swissmem und Scienceindustries. Nur so könne im Herbst auch genug Energie eingespart werden. Eine schwere Gasmangellage wäre für die Mehrheit der Firmen existenzbedrohend, schreiben die Verbände. Es müsse deshalb alles getan werden, um dies verhindern. Wichtig sei auch, dass bei einer allfälligen Bewirtschaftung eine «volkswirtschaftlich sinnvolle und nicht die administrativ einfachste Variante» gewählt werde.
Vieles ist unklar
In der Lebensmittelindustrie, wo allenthalben getrocknet, gebacken, gekühlt und gepumpt wird, ist der Energiebedarf gross. Nach Angaben der Föderation der schweizerischen Nahrungsmittelindustrien Fial setzen mehr als ein Drittel der Mitglieder Erdgas ein, knapp die Hälfte davon könnte bei einem Mangel auf Heizöl ausweichen. Im Unterschied zur Krisenorganisation während der Covid-Pandemie gebe es keine privilegierten Branchen, die als «systemrelevant» bezeichnet würden, sagt Fial-Geschäftsführer Lorenz Hirt. Es gebe lediglich beim Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) eine Liste mit «kritischer Infrastruktur», diese sei aber geheim. Man müsse annehmen, dass auf dieser Liste wenige grosse, für die Kalorienversorgung relevante Lebensmittelbetriebe stünden.
Hirt sagt, die Fial habe das BWL darauf aufmerksam gemacht, dass es in gewissen Betrieben, etwa in einer Teigwarenfabrik oder in Milchpulverwerken, gar nicht möglich sei, nach einem Unterbruch die die Anlagen hochzufahren, um sie nach vier oder acht Stunden schon wieder abzuschalten. Dies würde unter dem Strich nicht nur mehr Energie verbrauchen als der stetige Betrieb, es wäre auch von den Zeitfenstern her teilweise gar nicht umsetzbar. Einzelne Betriebe hätten das BWL auch direkt angeschrieben, um auf ihre spezielle Situation bei der Energieversorgung aufmerksam zu machen. Die Fial stehe mit der Wirtschaftlichen Landesversorgung in einem konstruktiven Dialog, letztlich wisse man aber nicht, in welcher Form die Behörden im Ernstfall auf die Anliegen der Lebensmittelbranche Rücksicht nehmen würden.