Datum: Branche:

Bio im Sparzwang

Biolebensmittel sind preislich unter Druck gekommen, sie finden sich immer mehr auch in den Supermärkten und Discountern. Das bleibt an der weltgrössten Messe Biofach nicht unbemerkt.

von hps

Der Biomarkt ist grossen Herausforderungen unterlegen. (Biofach)
Im Nahen Osten gute Aussichten Christoph Gsell/Jacques Bossart, Mi Adelita «Wir sehen eigentlich keine grosse Krise. Das grosse Thema sind aber die hohen Energiekosten, die sich in unserem Fall mehr als verdoppelt haben. Die Rohstoffe haben nicht so viel ausgemacht, ausser beim pflanzlichen Öl, das sich vor einem Jahr stark verteuert hat. Bei unserem Hauptrohstoff, Mais, ist der Preis nun aber schon seit längerem am Sinken. Auch in einem unserer Absatzmärkte, im Nahen Osten, hören wir keine grossen Klagen über hohe Preise. Seit der letzten Biofach haben wir unser Sortiment mit einem Chili-Chips erweitert. Dabei stellte sich heraus, dass Chili in Bioqualität, gar nicht so einfach zu beschaffen ist.» (Hans Peter Schneider)
Verantwortung für die Herkunft übernehmen Reto Wickli, Head of Sales, Chocolat Halba «Ich glaube nicht, dass wir uns in einer fundamentalen Biokrise befinden. Aber wenn die Medien über Krisen schreiben, wirkt sich dies auch auf das Einkaufsverhalten aus. Viele unserer Kunden machen sich vermehrt Gedanken über ihre Einkäufe, wollen Verantwortung. Sie fragen: Woher stammt der Kakao, mit welchen Sozialstandards wird dieser produziert, welche Lieferwege werden dabei berücksichtigt? Wir bieten diese Transparenz. Biologisch angebaute und verarbeitete Lebensmittel sind für Umwelt und Mensch förderlich. Aber nicht alle Konsumenten können oder wollen sich Bio leisten.» (Hans Peter Schneider)
Einkäufer sind zurückhaltend Marco Fischer, Nungesser «Ja, wir haben eine triste Stimmung. Aber die Schweiz hat Vollbeschäftigung und viele Arbeitnehmer haben eine Lohnerhöhung erhalten. Darum verstehe ich gar nicht, warum die Konsumentenstimmung so zurückhaltend ist. Wir werden aber den Boden finden und Bio wird wieder aufleben. Die Einkäufer sind sehr zurückhaltend und wollen bei den hohen Preisen keine Fehler machen. Wenn jetzt China die Wirtschaft hochfährt, dann wird sich auch bei uns die Konjunktur verbessern. Wir haben mit der Kanari- Nuss von der Vulkaninsel Indonesien ein ganz neues Produkt. Diese Nuss wird von den Einheimischen gesammelt und in Jakarta verarbeitet. Der Geschmack ist vergleichbar mit der Macadamia-Nuss. Seit vier Jahren sind wir im «Novel Food Application»-Prozess und stehen jetzt mit der Zulassung durch die EU-Kommission und die EFSA vor dem letzten Schritt. Dann bringen wir die gesunde Kanari- Nuss auf den europäischen Markt.» (Hans Peter Schneider)
Turbulenzen bei Rohstoffpreisen Martin Soukop, Swissgum AG, Tägerwilen. «Johannisbrotkernmehl, ein natürliches Binde- und Verdickungsmittel für die Lebensmittelindustrie, ist einer unserer Hauptrohstoffe für unsere funktionellen Stabilisierungssysteme. Die Rohstoffpreise, insbesondere bei Johannisbrotkernmehl, sind in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen. Neben Rezession und erhöhten Energiekosten führten diese hohen Rohstoffpreise zu einem veränderten Konsumentenverhalten. Wir sahen in ganz Europa einen spürbaren Rückgang im Verkauf von Bio-Produkten im vergangenen Jahr. Zwischenzeitlich hat sich der Markt und die Verfügbarkeit wieder etwas entspannt. Für 2023 könnte sich der Markt auf das alte Niveau wieder stabilisieren.» (Hans Peter Schneider)
Die Flexitarier sind nicht bereit, viel zu bezahlen Christoph Scherrer, Verkaufsleiter Züger Frischkäse AG «In Europa, wo viele Händler und Hersteller bis zu 15 Prozent Umsatz verloren, konnten wir unsere Umsätze halten. Wir spürten die Krise nicht gross, weil wir eher Produkte im unteren Preissegment herstellen. Zum Beispiel kostet unser Grillkäse die Hälfte eines Fleischstückes. Im veganen Segment haben wir sehr viel investiert und die Produkte verbessert. Diesen Sommer werden wir einige Listungen erzielen können, das Ziel ist dieses Jahr ein Prozent Vegananteil zu erreichen. Dank unserer hohen technologischen Effizienz kosten unsere veganen Alternativen nicht viel mehr als Kuhmilchprodukte. Allerdings drücken die teurer gewordenen Mandeln als Rohstoff auf die Marge. Unsere Zielgruppe, die Flexitarier, ist nicht bereit, viel mehr zu bezahlen.» (Hans Peter Schneider)
Preissensibilität wird spürbar Clemens Rüttimann, Biotta «In den Corona-Jahren wurde Bio überdurchschnittlich stark nachgefragt. Jetzt normalisiert sich die Nachfrage wieder etwas. Bio bleibt ein Wachstumstrend – auch in der Zukunft. Aber die Preissensibilität für Bioprodukte nimmt zu. Wir haben mit Biotta eine starke Marke, die grosses Vertrauen der Konsumentinnen und Konsumenten geniesst und wir bedienen eine Nische mit hochstehenden Produkten. Das ermöglicht uns neben diversifizierten Absatzkanälen auch eine gewisse Preisstabilität. Nichtsdestotrotz arbeiten wir laufend an Möglichkeiten auch zu tieferen Preispunkten attraktive Biotta-Angebote zu platzieren.» (Hans Peter Schneider)
Herausforderung bei Gesundheitsprodukten Marc-René Parravicini, SwissBioColostrum AG «Wir spüren nichts von einer Krise – im Gegenteil. Die Verkaufszahlen entwickeln sich seit Jahren in Deutschland stetig aufwärts. Unser Produkt ist sehr beratungsintensiv. Daher wird es nur im Fachhandel verkauft. Es wird aus der Kolostral-Milch von Kühen, Schafen und Ziegen hergestellt und bei chronischen Erkrankungen und zur Stärkung des Immunsystems eingenommen. Unsere Herausforderung lautet aber, dass wir keine Gesundheitsversprechen anbringen dürfen. Die Kosten für eine Genehmigung eines Health Claims sind viel zu hoch und wir als Firma zu klein. Wenn wir aber mit dem Kolostrum Mischungen, zum Beispiel mit Acerola machen, dann können wir schreiben, dass das Produkt zu einer normalen Funktion des Immunsystems beiträgt und das Kolostrum reich an Antikörpern ist.» (Hans Peter Schneider)
Wir konnten nicht profitieren Gerhard Lauber, Daniel Knill, Molkerei Biedermann (Emmi) «Wir beliefern die Discounter in Deutschland nicht. Damit konnten wir von den Käuferverschiebungen – hin in den Discount – auch nicht profitieren. Die Fachkanäle haben stark verloren. Wir versuchen uns mit innovativen Produkten eine gewisse Position zurückzuholen. Zum Beispiel mit unserem veganen Lassi, das sehr gut funktioniert.» (Hans Peter Schneider)
MascarVone von Züger. (Hans Peter Schneider)
Kesselmeister von Emmis Gläserner Molkerei. (Hans Peter Schneider)
Der Wrångebäck-Käse von Thomas Berglund. (Hans Peter Schneider)
(Hans Peter Schneider)
«Du isst Wahrheit.» Das stand an der weltgrössten Messe für Biolebensmittel, Biofach, in Nürnberg in grossen Lettern an einem Stand von Demeter. Mit «Wahrheit» verweist der deutsche Bio-Anbauverband auf den wahren Wert von Biolebensmitteln, inklusive teurerer Produktion – und damit höheren Verkaufspreisen.
Die Wahrheit am Markt ist aber eine andere. Denn im letzten Jahr waren Biolebensmittel weniger gefragt – die deutschen Konsumenten gaben für Bio im Jahr 2022 im Fachhandel 12,5% weniger aus als im Vorjahr, wie Biovista, ein Marktforscher für Biolebensmittel, herausgefunden hat. Dieser Rückgang sei einmalig in der Geschichte, hält Biovista fest. Götz Rehn, Geschäftsführer von Deutschlands Nummer zwei im Biomarkt, Alnatura, sprach in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gar vom «schlimmsten Einbruch im Biomarkt seit 35 Jahren». Ein weiterer grosser Biohändler, die Migros-Tochter Tegut, meldete einen Rückgang beim Bioanteil. Die Kundschaft kaufe zwar weiter ökologisch ein, «aber die günstigeren Varianten», wie Geschäftsführer Thomas Gutberlet in einer Meldung des Einzelhändlers zitiert wurde.
Fachhandelsgeschäfte schliessen
Schlimm erwischte es laut Biovista den deutschen Fachhandel, Reformhausketten und Bio-Grosshändler – bekanntestes Opfer ist die Biofachhandelskette Basic AG, die im Dezember 2022 ein Insolvenzverfahren beantragte. An der Biofach sagten einige Akteure zwar, der Rückgang habe nur den Corona-Boom von 2020 und 2021 ausgeglichen und die Absätze seien wieder auf dem Niveau von 2019 gelandet. Dennoch hat der Preisdruck, durch die Abwanderung eines grossen Teils des Biokonsums in den Supermarkt und sogar in den Discount, im Fachhandel ein Debakel angerichtet. In der Schweiz musste die Reformhauskette Müller, Konkurs anmelden (foodaktuell berichtete).
«Ja, die Schliessung einer solchen Anzahl an Detailhandelsgeschäften trifft uns schon», sagte Ruedi Lieberherr an der Biofach. Der Firmenchef in dritter Generation beim Bio-Lebensmittelverarbeiter Morga in Ebnat-Kappel hat seit 70 Jahren die Müller-Reformhäuser beliefert. In diesen Geschäften sei die Kundenberatung an erster Stelle gestanden und darum hätten die Konsumenten dort verstanden, wofür ein Label stehe. Doch intensive Kundenbetreuung sind zeit- und kostenintensiv und mit der sinkenden Bereitschaft der Konsumenten, sich gesund zu ernähren, habe der Fachhandel ein Problem. Die höheren Standards von Biolebensmitteln würden, trotz höheren Kosten unter anderem für Zertifizierung und Kontrollen, von den Konsumierenden zu wenig anerkannt, sagt Lieberherr weiter. Ausserdem habe der Fachhandel kein Argument mehr, wenn die Sortimente im Supermarkt zu finden seien.
Achterbahn der Preise
Der Preisdruck auf Bio betrifft nicht nur den Handel, auch die vorgelagerte Industrie mit Grundstoffen und die Landwirtschaft erleben eine Achterbahnfahrt der Preise. Ein Aussteller, der Proteine herstellt, erklärte, es würden jetzt alle abwarten und auf fallende Preise spekulieren. Doch irgendwann müsse man sich mit Ware eindecken und auch langfristige Kontrakte abschliessen können. Ein wichtiger Grundstoff für die Herstellung von Biolebensmitteln ist Johannisbrotkernmehl. Die Preise dafür seien jetzt wieder gefallen, nachdem sie sich innert kürzester Zeit verzehnfacht hätten, sagte ein Verarbeiter an der Biofach.
Druck auf «gesunde» Produkte
Preisdruck herrscht insbesondere bei «gesunden», teureren Produkten, da die Kunden zwar noch oft biologisch einkaufen, doch innerhalb des günstigen Segments. Das spürt Heribert Strobl. «Der Absatz von Dinkel ist im letzten Jahr um 20 Prozent gefallen», sagt der Einkäufer der gleichnamigen Mühle in der Nähe von Linz in Österreich. Das habe Auswirkungen auf den Produzentenpreis, der im Sommer 2022 noch bei 50 Euro/100kg lag und nun auf 24 Euro gefallen sei. Auch bei anderem teurerem Getreide, wie etwa Kamut, wo der Preis auf über 100 Euro liege, sei der Absatz zurückgegangen. Das Gleiche gelte auch für spezielle Getreide, wie Einkorn, Emmer, Waldstaudenroggen, oder Purpur-Weizen, die preislich unter Druck stehen würden, so Strobl. Die Mühle mahlt, flockt, schrotet, entspelzt oder schleift Getreide und Ölsaaten zu über 400 Produkten für Bäckereien und Müeslihersteller. Mit 13000 Tonnen stelle Soja, wofür 90 Euro bezahlt werde, den grössten Anteil dar.
Positive Aussichten für Knospe-Absatz
In der Schweiz erwartet die Branche, dass trotz Preisdruck der Bioanteil über den gesamten Detailhandel betrachtet steigen wird. Migros hat im letzten Jahr angekündigt, das Biosortiment künftig auf Knospe-Standard zertifizieren zu lassen. Bis Ende 2022 hat der Grossverteiler 50 bis 60 Knospe-Produkte gelistet. Die Umstellung sei anspruchsvoll, lässt Bio Suisse verlauten. In diesem Jahr soll die Zahl der Knospe-Produkte aber stark steigen.