Als Gegenmodell zum Nutri-Score schlägt Italien die Kennzeichnung Nutrinfo vor, die den Anteil am Tagesbedarf von Fetten, Zucker und Salz aufzeigt.
Um die Nährwertkennzeichnung Nutri-Score war es länger still. Die Änderung des zugrunde liegenden Algorithmus Anfang Jahr - die wohl dazu gedacht war, Ruhe in einige Diskussionen zu bringen, die hinter den Kulissen geführt wurden - führt nun aber dazu, dass der Nutri-Score plötzlich wieder grundsätzlicher in Frage gestellt wird.
So hat die Migros am 22. Mai erklärt, künftig auf den Nutri-Score bei Eigenmarkenprodukten zu verzichten. Der Kundennutzen sei zu klein, die Kosten - nicht zuletzt wegen der jüngsten Änderungen - zu hoch, lautete die knappe Begründung.
Kein Mehrwert beim Caffè Latte
Auch Emmi gab kurz darauf bekannt, auf den Nutri-Score verzichten zu wollen. Das Unternehmen begründete den Schritt damit, dass Caffè Latte das einzige Kaffee-Milchmischgetränk mit Nutri-Score sei und dass keine europäische Harmonisierung beim Nutri-Score in Sicht sei. So hätten auch die Konsumenten keinen Mehrwert.
Ein weiterer Grund ist wahrscheinlich, dass mit dem neuen Algorithmus Caffè-Latte-Produkte von Emmi und Eigenmarkenprodukte der Migros schlechter bewertet würden. Dieser legt nämlich einen verschärften Massstab bei Zucker, Süsstoffen und Salz an. Emmi und Migros erklärten gegenüber dem «K-Tipp» hingegen, die Änderungen seien nicht ausschlaggebend gewesen für den Entscheid.
Die Stiftung für Konsumentenschutz und die welsche Fédération romande des Consommateurs bedauern die Entscheide von Migros und Emmi, sie halten den Nutri-Score weiterhin für ein sinnvolles Instrument, um die Konsumentinnen und Konsumenten zu einer gesünderen Ernährung zu inspirieren.
Kampf auf politischer Ebene
Unter Beschuss war der Nutri-Score seit einiger Zeit im eidgenössischen Parlament. Mitte März nahm der Nationalrat die Motion «Problematischen Einsatz von Nutri-Score unterbinden» der zuständigen Kommission an, die verlangt, dass der Bundesrat im Lebensmittelgesetz den Einsatz des Nutri-Scores näher definiert, um problematische Effekte dessen Anwendung zu verhindern. Der Ständerat hatte die Motion schon vor einem Jahr deutlich angenommen.
In einer emotionalen Debatte kritisierte Mitte-Nationalrat Alois Huber, dass beim Nutri-Score Coca-Cola Zero besser bewertet werde als Apfelschorle und dass auch die meisten traditionellen Käsesorten nur mit einer C-Wertung (orange) gekennzeichnet werden könnten, obwohl sie wertvolle Proteine und Mineralstoffe enthielten. Sein Statement gipfelte im Ausruf: «Wenn 'Goggi Zero' besser ist als Süssmost, dann, muss ich Ihnen sagen, ja trinken Sie es halt und sterben daran!» Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider wies vergeblich darauf hin, dass der Bundesrat die Anwendung der Nutri-Score gar nicht beeinflussen könne, weil es eine privatrechtliche Kennzeichnung sei.
Italenische Offensive
Worum es bei der Motion eigentlich geht, erklärte Benedikt Würth, Mitte-Ständerat und Präsident der Schweizerischen Vereinigung der AOP-IGP, an einem Informationsanlass der italienischen Botschaft am 5. Juni im Berner Hotel Bellevue: Man wolle hier ein Signal setzen. «Die Motion hat dazu beigetragen, den medialen Mainstream etwas zu verändern.» Die kritischen Stimmen würden jetzt wohl mehr gehört. Ferner gebe es Kreise, die eben wünschten, dass der Nutri-Score verpflichtend werde und man so die Gesellschaft umerziehen könnte. Diesen wolle man entgegentreten.
Im Bellevue vermittelten italienische Ernährungsexperten den anwesenden Vertreterinnen und Vertretern von Branchen, Bundesämtern und Medien wortreich, weshalb Italien den politischen Kampf gegen den Nutri-Score aufgenommen hat: Dieser sei «suggestiv», weil weder Portionengrösse noch Verarbeitungsgrad noch unterschiedliche Proteinarten unterschieden würden. In Italien ist sogar eine Verfassungsänderung geplant, um den Nutri-Score verbieten zu können. Das Land wirbt stattdessen für die eigene, «objektive» Nutrinform-Kennzeichnung, bei der mit einer Art Batterie-Kennzeichnung für Energie, Zucker, Salz und Fett der Anteil am täglichen Bedarf angezeigt wird.
Mediterran und deshalb gut
Darüber hinaus wurde ausführlich für die mediterrane Ernährung geworben, die eine jahrhundertealte Tradition sei und deshalb gar nicht falsch sein könne. Immerhin, eines muss man den Italienern zugestehen: Das Land hat innerhalb der EU mit einem Adipösen-Anteil (Body-Mass-Index von über 30) von 17,3 Prozent den zweittiefsten Wert. Spitzenreiter ist Malta mit 32,3 Prozent.
Ob und wann Nutri-Score und Nutrinform auf europäischer Ebene wieder ein Thema werden, hängt von vielem ab: vom Ausgang der EU-Parlamentswahlen etwa, und vom Gewicht, das Giorgia Meloni danach in der EU haben wird.