Nestlé entwickelte sich zuletzt unterdurchschnittlich (im Bild der Firmenhauptsitz in Vevey).
Quelle: Nestlé/zVg
Dass Mark Schneider per sofort gehen muss, ist für den weltgrössten Lebensmittelkonzern ziemlich ungewöhnlich: Die meisten hohen Topmanager von Nestlé sind oder waren viele Jahre für die Firma tätig - teilweise ihre gesamte Karriere.
Schneiders Vorgänger Paul Bulcke beispielsweise verbrachte fast sein ganzes Berufsleben bei Nestlé. Und heute ist der Schweiz-Belgier Verwaltungsratspräsident, obwohl das Unternehmen zum Ende seiner Amtszeit als CEO auch nicht immer so erfolgreich war.
Anders bei Schneider: Er durfte am heutigen Analysten-Telefonat zwar noch ein paar Worte sagen, sein Nachfolger Laurent Freixe hat aber bereits das Steuer übernommen. Warum es zum Bruch mit Schneider kam, wurde aber nicht kommuniziert. Entsprechend wird an der Börse spekuliert: «Er könnte einen grossen Schnitt vorgehabt haben, worüber ein Streit ausgebrochen sein könnte», meinte ein Händler.
Klar ist: Die Entwicklung bei Nestlé war zuletzt unterdurchschnittlich. Die Aktie fiel diesen Monat erstmals seit 2019 wieder unter die Marke von 90 Franken. Die Investoren sind unzufrieden mit der operativen Leistung des Unternehmens. Nestlé konnte nicht mehr an den Erfolg während der Coronakrise anknüpfen.
Ein Chefwechsel war darum in Analystenkreisen nicht ganz überraschend. Es erstaune jedoch, wie schnell dieser nun erfolgte.
Fragezeichen in Analystenkreisen
Dass mit dem bisherigen Lateinamerikachef Freixe nun wieder ein langjähriger Nestlé-Mitarbeiter an die Spitze aufrückt, überrascht hingegen wenig. Der 62-jährige Franzose war schon 2017 als Kandidat für den Posten gehandelt worden, nun klappt es für ihn doch noch. Die Wahl des externen Schneider, der als Hoffnungsträger angetreten war, hatte 2017 hingegen alle überrascht.
Seit 38 Jahren ist Freixe im Konzern, davon seit 16 Jahren in der Geschäftsleitung, und schon drei geografische Sparten lagen in seiner Verantwortung. Mit seiner Ernennung kehre Nestlé somit «zurück zu den Wurzeln», so ein Analyst. Und das Unternehmen setze damit auf Kontinuität.
Unter Analysten sorgt die Nachricht jedoch auch für viele Fragezeichen. Sie finden, ein 62-jähriger Konzernchef könne doch nur als Übergangslösung gedacht sein. Ausserdem sei nicht klar, welche Massnahmen der neue Chef konkret treffen werde, «um die kränkelnden Ergebnisse von Nestle zu verbessern».
Nachdem das Unternehmen bereits die Erwartungen für das Gesamtjahr gesenkt habe, sorge der CEO-Wechsel nun ausserdem für weitere Ungewissheit in Bezug auf das Geschäftsjahr 2024.
Die Konzernspitze gibt sich noch bedeckt zu den genauen Zielen des neuen Chefs. Freixe und Bulcke sagten dazu in ersten Telefonaten mit Medien und Analysten, das Unternehmen werde sich voll auf seine Kernmarken und -produkte konzentrieren und auf organisches Wachstum setzen. Das heisst, dass Freixe sich mit Übernahmen und Verkäufen zurückhalten dürfte, auch wenn er solche nicht komplett ausschloss.
Ausserdem wurde am Telefonat klar, dass Freixe voll und ganz auf der Linie des Präsidenten ist. Manche Experten sprechen sogar davon, dass Nestlé nun quasi eine Doppelspitze habe, bestehend aus Freixe und Bulcke.
Aktienkurs schwächelt
Der Wechsel verunsichert den Markt, wie der Aktienkurs am Freitag zeigt. Die Nestlé-Papiere sind kurz nach dem Mittag um gut 1,5 Prozent im Minus und halten wegen ihres schweren Gewichts auch den Gesamtmarkt gemessen am Leitindex SMI im Minus.
Kurz nach der Börseneröffnung waren die Aktien jedoch noch um über 4 Prozent gefallen. Die grösste Aufregung hat sich also inzwischen bereits wieder gelegt.
Doch nun muss der neue CEO den Anlegern erst einmal zeigen, dass er es schafft, den Konzern wieder auf Kurs zu bringen. «Auch mit einem neuen CEO wird Nestlé seine Herausforderungen nicht in kurzer Zeit lösen können», so ein Analyst. «Das Unternehmen muss mit seinen Marken wieder in Schwung kommen, um Marktanteile zurückzugewinnen und die Effizienz weiter zu steigern.»
Grosse Ziele
Das will er denn auch tun. Sein Fokus liege darauf, die Marktanteile zu vergrössern. Mit organischem Wachstum wolle er die Mittel schaffen, um in Forschung und Entwicklung, aber auch in die Produktivität zu investieren, sagte er.
Er sei sich aber auch bewusst, was da für eine grosse Aufgabe auf ihn zukomme. «Das alles ist nicht einfach, denn Nestlé ist ein komplexes Unternehmen.» Es sei gleichzeitig der globalste und der lokalste Konzern der Welt, so Freixe.