Vinea-Präsident Conradin Briguet im Weinkeller.
Quelle: rho
Was hat Sie dazu bewogen, das Präsidium von Vinea zu übernehmen?
Conrad Briguet: Der Hauptgrund ist, dass ich an die Mission von Vinea, die Ziele und die Dienstleistungen, welche die Organisation dem Schweizer Weinbau zur Verfügung stellt, glaube. Diese Dienstleistungen oder ihre Mission bestehen darin, zur Förderung der Schweizer Weine beizutragen und die Schweizer Weine in der ganzen Welt und vor allem in der Schweiz in den Vordergrund zu stellen, insbesondere auch dank der Degustationswettbewerbe. Das war für mich ausschlaggebend.
Und was wollen Sie während Ihrer Zeit als Präsident umsetzen und erreichen?
Ich bin erst seit Anfang September im Amt und in einer hektischen Zeit zu Vinea gekommen. Es waren sehr viele Dinge im Gange, darunter die Gala der Schweizer Weine in Bern im Oktober und das 30-Jahr-Jubiläum sowie den «Salon Vinea». Wir hatten also noch keine Zeit, die Dinge neu zu definieren. Das Ziel ist es, bis 2025 die Strategie und auch den Geschäftsplan sowie das Geschäftsmodell von Vinea zu überarbeiten.
Ich glaube, es ist allgemein bekannt, dass Vinea einige finanzielle Schwierigkeiten hatte, die während der Covidpandemie aufgetreten sind – unter anderem aufgrund von nicht ganz angemessenen Managementsystemen und allgemeinen Schwierigkeiten in den letzten zwei, drei Jahren. Die Priorität bestand also darin, zunächst dafür zu sorgen, dass Vinea aus finanzieller Sicht überleben kann. Die Lösungen wurden gefunden, sie werden jetzt umgesetzt, aber die Entscheidungen sind getroffen, die Unterstützung ist gesichert und die verschiedenen Partnerschaften sind überarbeitet worden.
In der nächsten Phase ab 2025 geht es nun darum, die Zukunft von Vinea zu sichern. Dass wir zeigen können, dass die Organisation wieder solide ist, mit ein wenig Reserve und vor allem, um auf die neuen Herausforderungen des Weinbaus und des Sektors zu reagieren, denn das ist es, was Vinea ausmacht, das ist unsere Aufgabe und das muss sich weiterentwickeln.
Kürzlich konnte der Grand Prix du Vin Suisse verliehen werden – wie beurteilen Sie die Qualität der eingereichten Weine und allgemein der Schweizer Weine?
Die Qualität der Schweizer Weine hat in den letzten 30 Jahren stetig zugenommen. Ich zitiere immer gerne diese Anekdote aus meiner Jugend: Ich stamme aus einer Winzerfamilie und als mein Vater anfing, Wein zu keltern, nahm er mit seinen Weinen an einem Wettbewerb teil und die Ergebnisse waren gemischt. Das hat in der Familie eine ziemlich starke Reaktion ausgelöst und der Konsens war, dass man sich verbessern muss. Und dann, drei Jahre später, waren die Ergebnisse deutlich besser.
Das war vor 40 Jahren, aber ich glaube, heute ist es für jemanden, der in seinen Anfängen steckt, genauso: Es ist nicht einfach und wenn er sich nicht mit seinen Kolleginnen und Kollegen vergleicht, wird er nie wissen, wo er steht. Das ist der Verdienst dieser Wettbewerbe.
Daneben gibt es heute enorme Anstrengungen gerade auch was neue Produkte betrifft. Es gibt viele Kellereien, die beginnen, andere Weintypen anzubieten, die insbesondere die jungen Leute suchen – beispielsweise «Orange Wine», Naturweine oder Bioweine.
Ich denke, das ist eine gute Sache. Man muss wirklich die gesamte Palette öffnen, um weiterhin die Qualität der Schweizer Weine hervorheben zu können und auch den Bedürfnissen der jungen Leute entsprechen, die natürlich die neue Generation sein werden, die sich an den Schweizer Weinen erfreuen wird.
Sie haben den Stolz und Ehrgeiz der Schweizer Winzerinnen und Winzer angesprochen – inwiefern sind diese Eigenschaften eine Stärke des Schweizer Weinbaus?
Ich glaube, dass die Mehrheit der Produzentinnen und Produzenten, die ein durchschnittliches oder negatives Ergebnis erhalten, sich sagen, dass sie reagieren und Dinge ändern müssen, denn das ist wichtig. Die grosse Mehrheit ist sich bewusst, dass in den Jurys dieser Wettbewerbe nicht nur Önologen sitzen, sondern auch Konsumenten und Journalisten. Es geht also auch darum, herauszufinden, ob man den Geschmack der Konsumentinnen und Konsumenten trifft. Und das ist wichtig und ich denke, dass es hier wirklich um die Herausforderung und den Ehrgeiz geht, sich zu sagen, dass man sich weiterentwickeln muss.
Viele bekannte Schweizer Weine kommen aus der Westschweiz – aber auch in der Deutschschweiz wird Weinbau betrieben. Wo sehen Sie Unterschiede zwischen den Westschweizer und Deutschschweizer Weinen und Weinbau?
Im Allgemeinen ist die Qualität der Weine in der Schweiz ziemlich homogen geworden, es gibt keine enormen Unterschiede mehr wie vor 40 oder 50 Jahren zwischen der Deutschschweiz, Neuenburg, Genf und dem Wallis. Die Fortschritte diesbezüglich waren beträchtlich. Man muss sagen, dass die globale Erwärmung ebenso dazu beiträgt, Regionen beispielsweise zu begünstigen, in denen es bis anhin klimatisch etwas ungünstiger war. In einigen sehr gut exponierten Regionen kann es sogar zu Problemen kommen, weil dort vielleicht zu viel Alkohol oder zu viel Reife vorhanden ist.
Aber es gab früher schon Unterschiede: Die Deutschschweiz war früher vor allem für Riesling-Sylvaner und Blauburgunder bekannt. In den letzten 40 Jahren hat die Deutschschweiz aber unglaubliche Fortschritte in der Kelterung von Rotweinen gemacht.
Dazu habe ich auch eine Anekdote: Beim ersten «Mondiale du Pinot», der von Vinea organisiert wurde, waren die Walliser sicher, dass sie gewinnen würden. Aber es war dann ein Pinot Noir aus Graubünden, der gewann, und das war ein Schock. Während die Deutschschweiz wusste, dass die Bündner Herrschaft seit sehr langer Zeit Pinot-Noir-Weine von hoher Qualität produziert, war es für die Romandie ein Schock. Und ich glaube, die Romandie ist sich bewusst geworden, dass es in der Deutschschweiz eben auch aussergewöhnliche Weine gibt.
Schlussendlich kann man heute nicht mehr sagen, dass das Wallis oder die Waadt überdurchschnittlich gut sind und Genf oder die Deutschschweiz hinterherhinken. Ich denke, dass wir in Bezug auf die objektive Qualität der Weine wirklich sehr homogen sind. Leider gibt es dann noch die subjektive Wahrnehmung, so hat Genf, obwohl sie aussergewöhnliche, qualitativ hochstehende Weine produzieren, immer noch ein etwas schlechteres Image. Es sind Überbleibsel, die 30 Jahre zurückliegen und die nach wie vor fortbestehen.
Einen wichtigen Unterschied zwischen der Deutschschweiz und Westschweiz gibt es aber, der für die Deutschschweizer Produzentinnen und Produzenten im Vergleich zu den Westschweizer Produzenten aber auch eine enorme Chance ist: Sie befinden sich im Herzen des Verbrauchermarktes, der ausserdem die gleiche Sprache spricht. Ich will nicht sagen, dass es für sie einfacher ist, aber es ist sicherlich einfacher auf der Ebene des Verkaufs.
In der Romandie muss man sich wirklich sehr anstrengen, um Märkte zu erobern. Entsprechend ist die Marketingstrategie in der Westschweiz sehr stark auf die Deutschschweiz ausgerichtet. Denn wir exportieren praktisch keinen Schweizer Wein ins Ausland – wir haben nicht das Volumen dafür leider. Ich bin ein grosser Befürworter des Exports ins Ausland, aber bis jetzt haben wir es noch nicht geschafft. Die Strategie ist also wirklich, Marktanteile in der Deutschschweiz zu gewinnen.
Der deutschsprachige Konsument, so habe ich den Eindruck, ist auch viel weniger empfindlich, was die Herkunft des Weins betrifft. Er trinkt nicht Schweizer Wein, weil er Schweizer ist – er trinkt Schweizer Wein, weil er gut ist. Der Wettbewerb ist also hart, aber wenn die Westschweizer in der Deutschschweiz Marktanteile gewinnen, geht das meiner Meinung nach eher auf Kosten der ausländischen Weine als auf Kosten der lokalen Produzenten.
Sie haben den Export angesprochen, den Sie gerne etwas höher sehen würden. Sie haben aber auch die dafür nötigen Mengen angesprochen, welche die Schweiz aktuell noch nicht hat – kann man an diesem Hebel überhaupt gross schrauben?
Es ist sehr wichtig, dass wir Schweizer Weine exportieren, denn damit schafft es der Schweizer Weinbau, internationale Anerkennung zu erlangen. Das ist auch für den Verkauf innerhalb der Schweiz sehr positiv. Allerdings haben wir nur 15’000 Hektar Reben und beim Export werden oft grosse Mengen verlangt. Selbst wenn sich Winzerinnen und Winzer zusammenschliessen oder eine Kooperation eingehen, um die Mengen zu liefern, wird das schwierig und es ist immer zu sehr niedrigen Preisen und mit einer enormen Konkurrenz.
Die Lösung, die ich vorschlagen würde, ist, dass wir uns auf die gehobene Gastronomie konzentrieren, indem wir einige Länder anvisieren und uns auf diese Länder und die grossen, bekannten Restaurants konzentrieren. Da würde es sich um Mengen handeln, die wir durchaus liefern können. Ein gezielter Export von bis zu 5 Prozent wäre durchaus zu erreichen.
Über Qualität haben wir schon gesprochen und Qualität ist ja auch das Schlagwort für erfolgreiche Exportgüter in der Schweiz. Die Schweiz ist in Bezug auf Qualität grundsätzlich berühmt – warum ist die ausserordentliche Qualität der Schweizer Weine nicht bekannt?
Im Ausland wissen die allermeisten Leute nicht, dass in der Schweiz Wein produziert wird – das Image ist also nicht schlecht, es ist einfach nicht vorhanden. Die Schweiz ist nicht als Weinland bekannt, sondern für Käse, Schokolade, Uhren und so weiter.
Aber genau bei der Qualität müssen wir ansetzen, um den Bekanntheitsgrad unserer Weine zu steigern und der ganzen Welt klar machen, dass es in der Schweiz eben auch Wein gibt, und zwar qualitativ hochwertigen Wein.
Was denken Sie, warum ist die Schweiz nicht als Weinland bekannt – unter anderem die Rebberge des Wallis oder der Lavaux werden von Tourismusorganisationen ja mit schönen Bildern in die ganze Welt hinausgetragen?
Ich denke, es gibt mehrere Gründe, aber der wichtigste Grund aus historischer Sicht ist, dass der Schweizer Weinbau immer für das eigene Land Wein produziert hat. Und man darf auch nicht vergessen, dass beispielsweise der Walliser Weinbau noch sehr jung ist, wenn man ihn mit Bordeaux oder dem Burgund vergleicht.
So exportiert das Weinbaugebiet Bordeaux seine Weine schon seit langer Zeit und die Weine sind seit Jahrhunderten berühmt. Der Weinhandel war bereits im 18. und 19. Jahrhundert hyperentwickelt. Bei uns in der Schweiz war das überhaupt nicht der Fall. Und wie erwähnt, haben wir auch die Mengen dafür nicht – wir werden es immer schwer haben, auf dem Exportmarkt zu konkurrieren, denn wir sind wirklich nur ein winziges Weinbauland.
Wie werden sich die Schweizer Weine künftig gegen die internationale Konkurrenz schlagen?
Wir müssen kämpfen und daran arbeiten, die Verkaufskurve zu halten oder sogar ein wenig zu steigern. Wir produzieren Weine von hoher Qualität und wir müssen daran arbeiten, mit diesen Weinen Marktanteile bei ausländischen Weinen zurückzugewinnen und versuchen, die Kurve zu halten. Das ist in sich schon eine Anstrengung, denn wir wissen, dass der Pro-Kopf-Konsum sinkt und er wird weiter sinken.
Die Schwierigkeit ist, dass wir nicht auf demselben Preisniveau arbeiten. Aber es gibt auch viele ausländische Weine, die in der Schweiz zu relativ hohen Preisen verkauft werden. Und diesen Platz im Verkaufsregal müssen wir einnehmen. Mit einem italienischen Wein für 6 Franken die Flasche, der ausgezeichnet ist, werden wir nie konkurrenzieren können – mit einem italienischen Wein für 25 Franken aber schon.
Und das ist es auch das, was mich bei Vinea motiviert, dass wir dazu beitragen können, die Verkaufskurve stabil zu halten: Man muss nicht so viel Wein wie möglich trinken, sondern man muss guten Wein trinken, der Spass macht. Und solchen Wein gibt es in der Schweiz zuhauf.
Sie leiteten während fast 20 Jahren die Fachhochschule für Weinbau und Önologie in Changins bei Nyon. Wie hat sich die Ausbildung während dieser Zeit verändert?
Die Nachfrage der Schülerinnen und Schüler nach mehr Nachhaltigkeit war und ist deutlich zu spüren. Wie können Pestizide reduziert oder ganz eliminiert werden? Wie kann man den Weinbau wirklich nachhaltiger gestalten? Das sind Fragen, die beschäftigen und das war, glaube ich, die grosse Veränderung in den letzten 20 Jahren.
Als ich vor 18 Jahren angefangen habe, war die integrierte Produktion bereits Normalität. Und schon damals gab es eine Nachfrage nach Bio. Die Fachhochschule musste diesen Veränderungen auch nachkommen.
Was ich auch beobachtet habe, ist die Entwicklung des wettbewerbsorientierten und sehr rationalen Anbaus. Hecken und Büsche verschwanden aus den Rebbergen, um besser mit Maschinen arbeiten zu können. Aber bereits heute ist diese Entwicklung wieder überholt und man ist eher dabei, wieder ein wenig Vegetation einzuführen. Und es handelt sich dabei nicht nur um verrückte Ideen von idealistischen Winzern. Ich denke, in 20 Jahren wird man erkannt haben, dass, wenn man Pestizide reduzieren will, auch eine gezielte Fauna und Flora in unseren Rebbergen uns helfen wird, beispielsweise mit Schädlingen zu konkurrieren.
Decken sich die Entwicklungen in der Ausbildung also mit den allgemeinen Entwicklungen im Schweizer Weinbau der letzten Jahre?
Ich würde sagen, dass die Fachhochschule sehr eng mit den Winzerinnen und Winzern und allgemein mit dem Berufsstand verbunden ist. Ich habe vorhin aber erst die Technik und den Weinbau angesprochen – dies ist die Basis. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass es in der Ausbildung zum Winzer immer auch einen Teil Wirtschaft und Marketing gab und dieser Teil wurde verstärkt.
Denn eine Schwierigkeit des Schweizer Weinbaus ist eben, dass die Qualität gestiegen ist, gleichzeitig die Verkäufe aber eher stagnierend oder sogar leicht rückläufig sind. Dieses Problem müssen wir lösen, denn wir können noch so gute Weine herstellen und die Qualität noch so sehr steigern, wenn wir die Weine nicht verkaufen können, haben wir versagt. Also wurden die Anstrengungen auf diese Ebene verlagert, und zwar auch ein wenig gegen den Willen der Studentinnen und Studenten.
Wir haben immer wieder Rückmeldungen, dass zu viel Wirtschaft und Marketing gelehrt wird. Wenn wir die Absolventen aber nach ein paar Jahren wiedersehen, heisst es oft, zum Glück wurden wir gezwungen, das zu studieren und uns damit auseinanderzusetzen, weil es so wichtig ist.
Wie stellt sich die Nachwuchssituation in der Weinbranche dar?
Wenn man die Periode zwischen 2010 bis etwa 2020 betrachtet, war der Nachwuchs steigend. Dann folgte aber leider ein ziemlich brutaler Rückgang und so haben wir heute ganz klar einen Nachwuchsmangel.
Es fällt uns etwas schwer, das zu erklären. Aber wenn man sich mit anderen Branchen unterhält, haben sie das gleiche Problem. Ich bin aber überzeugt, dass es sich um eine vorübergehende Situation handelt, denn wenn man sich die Entwicklung der Kurve der Auszubildenden der letzten 50 Jahren ansieht, ist es immer so gewesen. Ich denke, die Schwankungen sind auch ein wenig generationsbedingt. So ging es in den letzten 15 Jahren bergauf und jetzt geht es bergab. Dann wird es sich hoffentlich stabilisieren und wieder bergauf gehen.
Aber man muss schon daran arbeiten und den jungen Menschen Lust auf den Beruf machen. Wir müssen positive Botschaften vermitteln und in den Vordergrund stellen – Botschaften wie mehr Nachhaltigkeit und im Einklang mit der Natur arbeiten. Wenn der Berufsstand sich bemüht, ein positives Image zu vermitteln, glaube ich, dass es wieder aufwärts gehen wird.
Was in dieser Hinsicht noch besonders erwähnenswert ist, dass es in der Landwirtschaft und im Weinbau viele Zweitausbildungen gibt. Dass ist sehr erfreulich, ich beobachte aber auch, dass diese Leute dann oft keine höhere Ausbildung in Weinbau und Önologie machen. Es gibt also einen Rückgang beim traditionellen Nachwuchs und gleichzeitig Leute, die in die Landwirtschaft oder den Weinbau zurückkehren, nachdem sie eine andere Ausbildung oder eine andere berufliche Tätigkeit gemacht haben. Das ist positiv, aber mit der Gefahr, dass es sicherlich gute Fachleute sind, die aber nach der Ausbildung keine weitere höhere Ausbildung anstreben, die sie allenfalls benötigen würden.