Die EU-Kommission will die Bestimmungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung lockern.
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Demnach sollen nur noch grosse Firmen - und damit 20 Prozent der bislang verpflichteten Betriebe - Bericht über ihre Nachhaltigkeit erstatten müssen, wie aus einem Vorschlag der Brüsseler Behörde hervorgeht. Damit will die Kommission vor allem kleine und mittlere Unternehmen entlasten.
Mit dem Vorhaben soll Europas Industrie, die unter hohem Wettbewerbsdruck, hohen Energiepreisen und strengen bürokratischen Vorgaben ächzt, zukunftsfähig werden. Neben den Vorschriften zur Nachhaltigkeitsberichterstattung will die Behörde auch das EU-Lieferkettengesetz sowie Vorgaben zu nachhaltigen Investitionen lockern.
Die EU-Länder und das Europaparlament müssen nun über die vorgeschlagenen Lockerungen geltender Gesetze beraten, bevor sie umgesetzt werden können.
Auch Entlastung für Schweizer Unternehmen
Laut Philipp Aeby, CEO des Zürcher ESG-Datenspezialisten RepRisk, wird die Berichterstattung für grosse Schweizer Unternehmen, die ebenfalls unter die EU-Regulierungen fallen, jetzt einfacher. «Anstatt tausende Lieferanten zu befragen, können Unternehmen sich auf diejenigen konzentrieren, die tatsächliche Risiken darstellen», sagt er.
Zudem hätten Finanzinstitute und Grossunternehmen von der EU-Kommission im Vorfeld keine Abschwächung, sondern Transparenz und Verantwortung bei Sorgfaltspflichten und Risikomanagement gefordert.
NGOs empört
NGO (Nichtregierungsorganisationen) hingegen reagieren pikiert. Statt die Klarheit zu verbessern, zersetze der Vorschlag zentrale Elemente der verantwortungsvollen Geschäftstätigkeit, schreibt das Europäische Umweltbüro in einer Stellungnahme.
Laut der Organisation ist die «Vereinfachung» nur ein «Vorwand für eine aggressive Deregulierung». Die EU-Kommission habe gehandelt, ohne einen Beweis dafür zu erbringen, dass die noch nicht umgesetzten Regeln die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen würden.
Dies sieht auch die europäische Dachorganisation für einen nachhaltigen Verkehr T&E so. «Die Vorschläge gefährden die Fortschritte der letzten zehn Jahre», schreibt sie. Wenn die Verordnung in Kraft trete, müssten sich nur 0,02 Prozent der Unternehmen in Europa an die neuen Vorschriften für die Nachhaltigkeitsberichterstattung halten. «Dies birgt die Gefahr, dass in der gesamten Region eine katastrophale Lücke bei ESG-Daten entsteht», heisst es.
Die Organisation Global Reporting Initiative, die einen verbreiteten Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickelt hat, schreibt: «Die Reduzierung auf noch weniger Unternehmen untergräbt das für ein nachhaltiges Wachstum erforderliche Niveau an Chancengleichheit.»
Unternehmen wollen an Strategien festhalten
Schweizer Unternehmen zeigen sich auf Anfrage der Nachrichtenagentur AWP erst einmal gelassen. Der Lebensmittelriese Nestlé will etwa an seiner Nachhaltigkeitsstrategie festhalten: «Nestlé handelt stets mit einer langfristigen Perspektive», sagt ein Sprecher. Dazu gehörten das Engagement für Klimaziele, die Förderung der regenerativen Landwirtschaft sowie Programme für nachhaltigen Kaffee und Kakao.
Ähnlich klingt es beim Schliesstechnikkonzern Dormakaba. Als multinationales Unternehmen bleibe man seiner Strategie treu, unabhängig von den regulatorischen Entwicklungen. «Wir setzen uns für eine starke Nachhaltigkeitspraxis ein, um Risiken und Chancen, die sich aus Umwelt- und Sozialthemen ergeben, zu bewältigen und unsere langfristige Geschäftstätigkeit zu stärken», sagt Nachhaltigkeitschefin Stephanie Ossenbach.
Schweiz liegt «meilenweit» zurück
Aus Sicht der Koalition für Konzernverantwortung sei die Entwicklung aus Schweizer Perspektive nicht besonders relevant, da die Schweiz beim Thema sowieso «meilenweit» zurückliege, teilte die Koalition auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit. Zahlreiche Nachbarländer hätten bereits Konzernverantwortungsgesetze.
Die Koalition für Konzernverantwortung lancierte Anfang dieses Jahres eine Volksinitiative, die fordert, dass Schweizer Konzerne und ihre Tochterfirmen im Inland und im Ausland Menschenrechte und Umweltschutz respektieren müssen. Dabei solle sich die Schweiz an internationalen Leitlinien und EU-Vorschriften orientieren.