«Wir müssen auf den technologischen Stärken aufbauen, auf die Bereiche mit hoher Wertschöpfung.» Hochdorf-CEO Ralph Siegl. (wy)
Der Milchverarbeiter Hochdorf scheint unter dem neuen CEO Ralph Siegl langsam, aber sicher einen Weg aus den jahrelangen finanziellen Problemen heraus zu finden. Im letzten Jahr resultierte zwar ein erneuter Verlust von knapp 16 Millionen Franken. Dank neu ausgehandelten Verträgen und Sortimentsbereinigungen konnte Hochdorf aber im zweiten Halbjahr ein leicht positives operatives Ergebnis vor Steuern (EBITDA) von 0,6 Mio. Franken aufweisen, wie Siegl bei der Bilanzmedienkonferenz am 23. März erklärte. Insgesamt drückten hohe Energie-, Rohstoff- und Logistikkosten, aber auch Währungsschwankungen das Ergebnis. Und Altlasten: Pharmalys, die zeitweilige Tochter und heutige Vertriebspartnerin, schuldet Hochdorf immer noch rund 40 Millionen Franken. Hier habe man neue Zahlungskonditionen ausgehandelt und die operative Zusammenarbeit verbessert, hiess es. Das operative Geschäft habe sich sehr gut entwickelt.
Herr Siegl, die erste Priorität von Hochdorf unter Ihrer Führung ist nicht ein grosses Milchvolumen, sondern eine hohe Bruttomarge. Trotzdem haben Sie hier in Sulgen grosse Anlagen, die Sie auslasten müssen. Wie geht das zusammen?
Ralph Siegl: Milch bleibt der wichtigste Rohstoff, wir bleiben der viertgrösste Milchverarbeiter. Aber Hochdorf hat in den letzten Jahren überinvestiert und dann Milchvolumen «gejagt». So kann man das Unternehmen langfristig nicht wirtschaftlich führen, man muss auf den technologischen Stärken aufbauen, auf die Bereiche mit hoher Wertschöpfung. Für den Turnaround denken wir deshalb in Franken und nicht in Tonnagen. In Sulgen haben wir mit dem Turm 9 einen der modernsten Sprühtürme in Europa, allerdings würde man heute nicht mehr in diesen Dimensionen bauen. Aber wir schauen nach vorne und sind bestrebt, auf diesen Anlagen Geld zu verdienen. Das ist ein Philosophiewandel von «rohstoffgetrieben» zu «nachfrageorientiert».
Hochdorf war lange ein wichtiger Teil der Marktregulierung im Milchmarkt.
Ursprung der Firma war ja auch die Milchsiederei, wo man Milch haltbar gemacht hat. Derzeit gibt es drei bis vier Prozent zu viel Milch - der Milchpreis ist hoch, das Futter ist gut und die Käselager sind voll. Eigentlich eine Situation für Milchregulierung. Früher hätten wir das ohne weiteres gemacht, und damit Geld verloren. Heute produzieren wir mit erster Priorität Babyfood, dann Milchpulver für die Schokoladenindustrie, und wenn die kommerziellen Bedingungen erfüllt sind, in letzter Priorität auch Magermilchpulver für den Export.
Aber es gibt immerhin einen Rohstoffpreisausgleich aus der Branche?
Schon, aber die Richtpreise in Europa fallen jetzt stark, in der Schweiz ist der Richtpreis bis Mitte Jahr fixiert. Das ergibt eine Zeitverzögerung, und wir müssen vorfinanzieren, bei angespannter Liquidität. Solche Risiken müssen wir minimieren.
Was sagt die traditionelle Partnerin ZMP dazu, dass Milchvolumen nicht mehr so wichtig sind?
Die ZMP liefert uns keine Milch mehr, denn sie liefert jetzt viel in die neue Emmi-Käserei in Emmen. ZMP ist aber weiterhin ein wichtiger Investor bei uns. Unsere Milch stammt von Mooh, Arnold und anderen Lieferanten. Wir machen neu auch viel Rahm als Lohnauftrag, also ohne selber Milch zu kaufen. Der Rahmpreis wäre jetzt zwar gut, aber das Magermilchpulver muss man auch loswerden. Diese Lohnaufträge werden wir ausdehnen, sie tragen zwar nicht zum Umsatz bei, aber zur Bruttomarge.
Und wieso hat Hochdorf das nicht schon früher gemacht?
Ich bin erst seit Ende Januar 2022 zuständig... Um fair zu sein, es ist administrativ nicht ganz einfach, weil die Fett- und Proteingehalte in den verschiedenen Lagerbeständen bewertet werden müssen.
Hochdorf hat im letzten Jahr aufgrund der volatilen Märkte und vor allem der steigenden Preise viele Verträge neu ausgehandelt. Werden die Verträge generell kurzfristiger?
Man muss unterscheiden zwischen Kunden-Lieferanten-Beziehungen und Partnerschaften. Bei ersteren will man möglichst kein Risiko. Bei Partnerschaften wie derjenigen mit Pharmalys oder ausgewählten Kunden aus der Schokoladenindustrie finden wir gemeinsame Lösungen und bauen etwa Klauseln ein, um nachzuverhandeln, wenn gewisse Preisbandbreiten über- oder unterschritten werden. Wir wollen ja gemeinsam erfolgreich sein.
Wie gut konnten Sie Preiserhöhungen durchsetzen?
Im B2C-Geschäft, insbesondere in der Schweiz, konnten wir bei Bimbosan einen kleinen Schritt machen. Dort, wo wir indirekt am Markt sind, etwa mit unserer Exportmarke Babina oder der Marke Primalac von Pharmalys, haben wir Preise erhöht, aber bei Babyfood wird zum Glück nicht als erstes gespart. Unsere Produkte werden über Fachpersonal in Apotheken, Drogerien oder Kliniken vertrieben. Zusammen mit der Swissness ergibt das eine interessante Preispositionierung.
Pharmalys ist ein wichtiger Partner, aber auch ein finanzieller Klotz am Bein – also Fluch und Segen.
Richtig. Es geht auf beiden Seiten um die Sicherstellung von Liquidität. Wir bauen die Schulden über das operative Geschäft schrittweise ab und sind im intensiven Kontakt. Wenn wir jetzt alles fällig stellen würden, würden wir das Geschäft abwürgen und alles verlieren. Der Markt ist da, und den wollen wir bedienen.
Wie gross ist das Potenzial in diesen nordafrikanischen und nahöstlichen Märkten?
Wir gehen für die nächsten zwei Jahr von weiterhin zweistelligen Wachstumsraten pro Jahr aus. Insbesondere im Mittleren Osten und Nordafrika, dort arbeiten immer mehr Frauen, sie stillen weniger und brauchen mehr Babyfood. Es sind interessante Märkte mit junger Bevölkerung, vielen Babys und teils hoher Kaufkraft. Für den Turnaround müssen wir grosse Volumen verkaufen, das geht im Mittelmeerraum und zunehmend auch in Lateinamerika.
China wurde lange als wichtiger Markt gesehen. Nun haben Sie die Bewilligung, um zu liefern - aber kein Interesse mehr?
Zwei Wochen nach unserer Zulassung wurde das Lebensmittelgesetz wieder geändert, jetzt müssen wir wieder zuerst Tests machen. In China hat sich vieles geändert, sie wollen auch nicht mehr so viel importieren, deshalb haben wir den Markt von «strategisch» auf «opportunistisch» zurückgestuft.
Was für uns aber interessant ist, sind die USA. Dort haben wir mehr Rechtssicherheit und einen direkteren Zugang. Dafür brauchen wir aber zuerst noch die Zertifizierung.
Im Geschäftsbericht heisst es, für die Molke gebe es eine Imageverbesserung. Ist das so?
Ausländische Hersteller produzieren seit Jahren erfolgreiche Produkte aus Molke, in der Schweiz ist das Image der Molke nicht so gut. Unsere Molke muss halal und koscher sein, Molke aus Gruyère-Käsereien ginge zum Beispiel nicht. Wir verwenden Molke aus der Käseindustrie für Babyfood, wenn Babyfood sich gut verkauft, bringen wir auch die Molke und Koppelprodukte mit Wertschöpfung weg. Diese Veredelung reduziert Food Waste und verbessert damit die Klimabilanz der Milchbranche. Daneben entwickeln wir Molkespezialitäten als strategisch wichtige Halbfabrikate, wir haben in Sulgen ein Molkekompetenzzentrum und entwickeln Lösungen für Permeatpulver und Laktosepulver.
Am interessantesten ist aber das Protein?
Ja, mit Abstand. Protein ist in der Ernährung hoch im Kurs. Bei alternativen Proteinen ist das Wachstum interessant, wir wollen beides machen. Unser Chief Innovation Officer Lukas Hartmann hat mit seinem Team alternative Proteine stark auf dem Radar und verfolgt einen «Open Innovation»-Ansatz. Es gibt Start-ups, die sich damit beschäftigen und Skalierungsmöglichkeiten suchen. Wir können mit unseren Anlagen teilweise helfen und sind da intensiv am Networken. Beispielsweise für Proteinkonzentrate aus Bioreaktoren, die getrocknet werden müssen. Aber wir haben auch Vioplus entwickelt, einen veganen Milchpulverersatz für Schokolade.
Hochdorf sei als B2B-Akteur sichtbarer geworden, heisst es im Geschäftsbericht. Was heisst das konkret?
Wir haben uns lange unter Wert verkauft. Man muss sich auch als B2B-Firma mit einem klaren Profil und einer guten Geschichte positionieren, nicht nur gegen aussen, auch gegen innen. Wir stehen heute klarer für Proteinveredelung und Spezialpulver-Technologie. Ich habe festgestellt, dass viele nicht genau wussten, was Hochdorf genau macht, manche hielten uns noch für die alte Milchsiederei – in so etwas investiert kein Mensch.
Bedeutet das auch eine andere Unternehmenskultur?
Absolut. In der Vergangenheit wurde das Unternehmen diktatorisch geführt, das haben wir auf den Kopf gestellt. Wir setzen jetzt stark auf Eigenverantwortung. Wir haben die Geschäftsleitung erweitert und vieles reorganisiert. Ich habe Anfang 2022 eine sehr verunsicherte Firma angetroffen, weil die Zahlen und die Berichterstattung lange schlecht waren. Im zweiten Halbjahr 2022 hatten wir erstmals wieder gute Ergebnisse, das hat das Selbstbewusstsein gestärkt.
Hochdorf hat einen Umzug der Produktion nach Sulgen angekündigt und dann wieder verschoben. Bis wann bleibt Hochdorf noch in Hochdorf?
Wir haben vertraglich eine Mietoption bis 2026. Wir haben festgestellt, dass der Umzug zu früh angesetzt wurde und zu teuer geworden wäre. Es wäre auch strategisch ungünstig, solange wir die Anlagen in Hochdorf für Vioplus und anderes noch benützen können. Wir werden nicht, wie ursprünglich geplant, Anlagen um jeden Preis zügeln, sondern das Geschäft entwickeln und dann in Sulgen die dafür benötigten Anlagen aufbauen.
Leider hatten wir seit der Ankündigung des Umzugs im August 2021 viele Abgänge beim Personal. Das Personal wird beim Umzug wichtig sein, weil der Betrieb und die Sicherheit der Produkte immer gewährleistet sind. Der Fachkräftemangel ist an beiden Standorten ein grosses Thema.
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Neue Köpfe in Geschäftsleitung und Verwaltungsrat
In der Geschäftsleitung von Hochdorf sind seit Mai 2022 neu Gerina Eberl-Hancock als Chief Revenue Officer und als Leiterin des Verkaufs- und Marketingteams sowie seit April 2022 Lukas Hartmann als Chief Innovation Officer. Chief Financial Officer ad interim ist Gerhard Mahrle, sein Nachfolger ab Mai 2023 wird Thomas Freiburghaus, zuletzt Geschäftsführer und CFO bei der Stadler-Tochter Stadler Deutschland GmbH.
Im Verwaltungsrat wird Markus Bühlmann, Vizepräsident der Zentralschweizer Milchproduzenten (ZMP) an der Generalversammlung im Mai nicht mehr zur Wahl antreten. Als Nachfolger vorgeschlagen sind Marjan Skotnicki-Hoogland und Thierry Philardeau. Die Holländerin Marjan Skotnicki-Hoogland war Vice President bei Chilled McCain Europe und davor CEO bei FrieslandCampina Riedel. Bis 2013 war sie in verschiedenen Führungspositionen bei Nestlé Infant Nutrition tätig.
Der Franzose Thierry Philardeau arbeitete 36 Jahre lang bei Nestlé und war zuletzt Leiter der strategischen Geschäftseinheit Ernährung, wo er für die internationale Führung der Säuglingsmarken von Nestlé zuständig war.