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Aus Food Waste wird Convenience

Das Start-up Hängry Foods verarbeitet gerettete Lebensmittel zu Convenience-Produkten. Und für die Digitalisierung der Landwirtschaft braucht es Kooperation. Das 4. Future Food Symposium in Zürich rückte clevere Lösungen und starke Partnerschaften in den Fokus.

Yannick Gächter von Cultured Hub. (Stephan Moser)

Ein Überschuss bei der Tomatenernte, Nebenströme der Lebensmittelindustrie oder Gemüse, das wegen Schönheitsmakeln im Laden liegen bleibt: aus überschüssigen, aber einwandfreien Lebensmitteln aus Landwirtschaft, Industrie und Handel will das junge Start-up Hängry Foods Halbfabrikate für die Gastronomie und Fertiggerichte für Selfservice-Kantinen und Handel machen. Das Potenzial ist riesig, wie Co-Gründer Valentin Holenstein am Future Food Syposium (siehe Kasten) erklärte: «Jährlich werden in der Schweiz entlang der Wertschöpfungskette 2,7 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet.» Auf den Teller statt in die Tonne, das mache ökologisch Sinn, betonte Co-Gründerin Sophia Graupner: «Jedes Menü à 400 Gramm aus geretteten Lebensmitteln spart 1,4 Kilogramm CO2-Äquivalente ein.»
Hinter Hängry Foods stehen Ximena Franco, Sophia Graupner und Valentin Holenstein, die an der ZHAW Lebensmitteltechnologie studieren. Letztes Jahr hat das junge Unternehmen sein Konzept getestet und in einer Produktionsküche Menüs aus geretteten Lebensmitteln für den Bekanntenkreis und Büros gekocht. Jetzt sind die drei daran, die Produktion hochzufahren. Der Fokus liegt dabei laut Sophia Graupner in einem ersten Schritt auf der Produktion von Halbfabrikaten für die Gastronomie. So produziert Hängry Foods etwa frittierte Bällchen aus Okara, das bei der Tofu- und Sojadrinkproduktion als «Abfall» anfällt.
Der Knackpunkt beim Geschäftsmodell «Food Waste als Ressource» ist die Planbarkeit: «Bei uns bestimmen die verfügbaren Rohwaren das Produkt und nicht umgekehrt», so Holenstein. Hängry Foods behilft sich mit Menüs mit variablen Komponenten, mit dem Einfrieren und mit einer agilen Organisation: «Wir haben die Produktion ausgesourct und arbeiten mit einem Pool von Produzenten zusammen», so Graupner.
Die Leute wollen Nachhaltigkeit und Convenience
Nachhaltige Convenience - damit trifft Hängry Foods den Nerv der Zeit, wie das Referat von Alexander Thiel, Leiter Retail- und Konsumsektor Schweiz bei McKinsey, zeigte. Ein grosser Trend am Markt sei der Wandel hin zu bewusster Ernährung. Die Leute wollten sich zunehmend - auch befeuert durch die Coronapandemie - gesünder, nachhaltiger und klimafreundlicher ernähren. «Sie wollen gleichzeitig aber nicht auf Convenience verzichten.» Die Herausforderung für Hersteller und Händler werde es sein, die Bedürfnisse der bewussten Verbraucher zu erfüllen und die steigende Nachfrage nach Convenience zu bedienen.
Wie Hängry Foods setzt auch das Start-up Upgrain auf Upcycling (s. foodaktuell 8/2022) - und hat mit der Appenzeller Brauerei Locher dafür einen starken Partner gefunden. Upgrain hat ein mechanisches Verfahren entwickelt, um Proteine und Ballaststoffe aus Biertreber zu separieren und für Fleischalternativen, Backwaren oder Müesli nutzbar zu machen. Seine erste industrielle Anlage hat Upgrain direkt im Brauhaus von Locher gebaut. Wenn sie im Juli in Betrieb geht, soll sie täglich vier Tonnen produzieren können. Dank der Technologie von Upgrain wird Locher - schon vorher eine Pionierin im Upcycling von Braunebenströmen - laut eigenen Angaben zur ersten Brauerei weltweit, die 100 Prozent ihrer Nebenströme zu Lebensmitteln veredelt. In Zusammenarbeit mit weiteren Brauereien will Upgrain seine patentierte Technologie weltweit verbreiten. «Weltweit fallen über 40 Millionen Tonnen Biertreber an», sagte Upgrain-Chefverkäufer Eduard Müller. «Mit unserer Technologie wollen wir dazu beitragen, die Proteinlücke zu schliessen.»
Nur was schnell wächst rentiert
Um mit weniger Land eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, sind neue Lösungen gefragt. Das Schweizer Unternehmen Green State entwickelt und verkauft komplette vertikale Farmen inklusive Softwarelösung. Die Module haben die Grösse eines Schiffcontainers und lassen sich kombinieren. In Neuhausen SH produziert Green State mit einer ersten Farm mit 24 Modulen pro Monat rund 1,5 Tonnen Basilikum, Micro Greens und Salate. Eine grosse Herausforderung für die ganze Vertical-Farming-Branche sind die hohen Energiepreise, wie CEO Arsenije Grgur sagte. «Wir fokussieren auf schnell wachsende Produkte mit hoher Marge; momentan können wir nur damit wirtschaftlich arbeiten.»
Um eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems zu beschleunigen, haben sich die Migros, der Technologiekonzern Bühler und der Aromenhersteller Givaudan zusammengetan und The Cultured Hub gegründet. Mit einer Pilotanlage im Zürcher Kemptthal wollen sie Start-ups und Unternehmen helfen, die Entwicklung von kultiviertem Fleisch, Fisch und Meeresfrüchten voranzutreiben. Die Schweiz habe hier Nachholbedarf, sagte Yannick Gächter, CEO des Cultured Hub. Kosten, Upscaling, Geschmack, Zulassung - die Herausforderungen für kultiviertes Fleisch seien gross. Um bis 2030 weltweit nur schon 1,5 Millionen Tonnen kultiviertes Fleisch zu produzieren, müssten die Produktionskapazitäten massiv und für viel Geld ausgebaut werden. Zum Vergleich: Weltweit beträgt der Fleischmarkt aktuell 350 Millionen Tonnen - und er wächst weiter.
Forschung für die Landwirtschaft
Eine Drohne, die Schlupfwespeneier abwirft, um den Maiszünsler zu bekämpfen, oder ein kameragesteuertes Präzisionssprühgerät, mit dem sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln um 90 Prozent reduzieren lässt: Mit solchen Smart-Farming-Lösungen will die Agrargenossenschaft Fenaco die Schweizer Landwirtschaft nachhaltiger und wirtschaftlicher machen. Im Alleingang gehe das aber nicht, sagte Michael Buser von der Fenaco. Digitalisierung sei komplex und teuer, die ausländische Konkurrenz stark. «Die Schweiz kann nur eine führende Rolle spielen, wenn Universitäten, Unternehmen und Topfachkräfte zusammenarbeiten.» Die Fenaco hat zum Beispiel mehrere Präzisionssprühgeräte des Start-ups Ecorobotix gekauft und vermietet diese jetzt an Landwirte. Und die Fenaco spannt mit der ETH bei der Forschung für eine digitale und nachhaltige Landwirtschaft zusammen. «Wir unterstützen Forschung, die konkreten Nutzen für Schweizer Landwirtschaft bietet, am besten schon in ein, zwei Jahren und nicht erst in 20 Jahren», so Buser.
Für Martijn Sonnevelt vom interdisziplinären World Food System Center ETH Zürich ist die Forschungszusammenarbeit mit Partnern aus der Industrie ein wichtiger Hebel, um bei der Transformation des Ernährungssystems anzusetzen. Unabhängige Forschung, ein klarer thematischer Fokus und Vertrauen seien für eine Zusammenarbeit zentral. Vertrauen wachse über die Zeit. «Daher wünschen wir uns einen langen Horizont.» Die Industrie werde aber schnell nervös, wenn es zu lange dauere.
Gemeinsam stärker
Eine italienische Produzentengenossenschaft, die vom Saatgut bis zur fertigen Pasta die Kontrolle über die Wertschöpfungskette hat, französische Landwirte, die kollektive Produzentenläden betreiben oder Orangenproduzenten, die Verkauf und Vertrieb ihrer Früchte selber in die Hand nehmen: Wenn sich Produzentinnen und Produzenten in Kooperationen zusammenschliessen, kann das Vorteile bringen, wie Bettina Scharrer vom Centre for Development and Environment der Universität Bern aus ihrer Forschung weiss. Unter anderem faire Preise, mehr Marktmacht, eine nachhaltigere Landwirtschaft. Eines von mehreren Hindernissen sei das Selbstbild der Bäuerinnen und Bauern. Gerade in der Schweiz wollten die Bauern eher alles alleine machen, so Scharrer.
«Erdverträglich essen»
Claudio Beretta von der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) stellte sein Sustainable Food Chain Model (FCM) vor, das er im Rahmen seiner ETH-Doktorarbeit zum Food Waste in der Schweiz erstellt hat. «Das FCM ist ein Universaltool für die ökologische Bewertung von Lebensmittelketten.» Sein Modell kombiniert Massen- und Energieflussanalysen mit Ökobilanzdaten. Damit lassen sich sehr spezifische Fallbeispiele modellieren, zum Beispiel: Ist Schoggi, die mit Kakaopulpe gesüsst wird, umweltfreundlicher als Schoggi mit Rübenzucker? (Nicht unbedingt.) Das Modell zeigt zudem, wie sich die Umweltbelastung verkleinern lässt. (Indem zum Beispiel die Kakaopulpe bereits im Anbaugebiet getrocknet wird und nicht als Frischware im Kühlcontainer transportiert wird). Der Sinn des FCM, so Beretta: «erdverträglich essen».
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Netzwerk- und Impulsanlass
«Dank Partnerschaft zu mehr Ernährungssicherheit»: Unter diesem Titel stand das 4. Future Food Symposium, das am 13. Juni im Zürcher Technopark stattfand. Den Anlass organisierten der Svial (Berufsverband für Hochschulabsolvent:innen im Agro-Food-Bereich), die SGLWT (Schweizerische Gesellschaft für Lebensmittel-Wissenschaften und -Technologie) und Swiss Food Research gemeinsam - mit finanzieller Unterstützung der Schweizerische Akademie der technischen Wissenschaften (SATW). Der Anlass lockte über 80 Teilnehmende an. Svial-Geschäftführer Marcel Anderegg zog eine positive Bilanz: «Es freut mich sehr, können wir an unseren Veranstaltungen innovative Ansätze aufzeigen und die aktuellen und zukünftigen Gestalter:innen unseres Ernährungssystems miteinander vernetzen.»

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