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Eine neue Margendiskussion

Der neue Verein «Faire Märkte Schweiz» will die Diskussion um Margen und Markmacht im Lebensmittelhandel neu beleben. Das Ziel: Eine Klage bei der Wettbewerbskommission - und politischer Druck.

Die Margen der Schweizer Detailhändler sorgen regelmässig für Diskussionen. Bei den Lebensmitteln haben sie eine besondere Brisanz. Denn Lebensmittelmärkte sind einerseits hoch reguliert, was die Produktion angeht - mit Direktzahlungen, die an ökologische Vorschriften gebunden sind, und komplizierten Marktordnungen, die Preise von Schweizer Rohstoffen vor zu starken Wettereinflüssen oder internationaler Konkurrenz schützen. Andererseits gilt im Lebensmitteldetailhandel die Handels- und Gewerbefreiheit, Coop, Migros und andere Detailhändler können Preise und Leistungen nach eigenem Gutdünken festlegen. In Zeiten der Inflation sind hohe Margen und hohe Preise umso brisanter. Der Preisüberwacher Stefan Meierhans sprach kürzlich sogar von «Gierflation», im Zusammenhang mit Firmen, die ihre Preise im Zuge der Inflation über das angemessene Mass hinaus erhöhen.
Biomargen und Milchproduktepreise
Meierhans hatte schon im Januar 2023 eine Untersuchung zu den Biomargen veröffentlicht und kam zum Schluss, dass die Bio-Margen und -Preise im Schweizer Detailhandel zu hoch und sehr intransparent seien. Coop und Migros wehrten sich reflexartig: Schliesslich seien bei Bioprodukten, mit kleineren Mengen und höheren Anforderungen nicht nur die Rohstoffkosten, sondern auch Logistik- und andere Kosten höher. Auch die Empfehlung von Meierhans, dass sich Detailhändler dazu verpflichten, bei Bio-Preisaufschlägen von über 20 Prozent auf höhere Biomargen zu verzichten, lehnten diese ab. Meierhans hat angekündigt, die Margenstudie aus dem Biobereich auf den gesamten Detailhandel auszuweiten.
Im Sommer 2022 machten die beiden Westschweizer Medien Heidi und Le Temps Daten publik, die bei einem Hackerangriff auf den Genfer Milchverarbeiter Laiteries Réunies Genève gestohlen worden und dann im Darknet angeboten worden waren. Demnach kassiert die Migros bei mehreren Dutzend analysierten Milchprodukten Bruttomargen von durchschnittlich 46 Prozent ab, Coop sogar 57 Prozent. In Frankreich liegen die Bruttomargen gemäss dem französischen Preisobservatorium lediglich bei 19 bis 34 Prozent.
Teures Labelfleisch
Auch der Schweizer Tierschutz (STS) befasste sich in den letzten Jahren mit den Detailhandelsmargen. Eine vom STS beim Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger in Auftrag gegebene Studie zeigte etwa, dass manche Bio-Schweinefleischprodukte im Laden mehr als doppelt so teuer sind wie konventionelle Produkte. So hätten die Konsumentinnen und Konsumenten überhaupt keinen Anreiz, Labelfleisch einzukaufen, fand der STS. Das zeige sich auch daran, dass die Marktanteile von Labelfleisch wieder sinken würden.
Stefan Flückiger, die treibende Kraft hinter den Bemühungen des Schweizer Tierschutzes, verliess die Organisation im Juni 2023 – um das Thema Margen und faire Preise weiterzuverfolgen, neu mit dem Verein «Faire Märkte Schweiz», wo er geschäftsführender Präsident ist. Im Vorstand sitzen unter anderem Professor Mathias Binswanger und Werner Locher, ehemaliger Milchproduzent und Anführer der als aufmüpfig bekannten Milchproduzentenorganisation BIG-M. Im Beirat ist unter anderem der emeritierte Agrarrechts-Professor Paul Richli vertreten. Faire Märkte Schweiz kämpft für Konsumentenpreise, die nicht zu hoch sind und Produzentenpreise, die nicht zu tief sind, wie Flückiger sagt (s. Interview). Er war früher Geschäftsführer von Bio Suisse und Leiter Agrarpolitik der Migros, kennt den Lebensmittelmarkt also aus dem Effeff.
Positiv, aber nicht euphorisch
Beim Schweizer Bauernverband ist man grundsätzlich angetan von den Bemühungen des neuen Vereins. «Faire Produzentenpreise, welche die Kosten von erbrachten Leistungen effektiv abdecken, sind für uns ein wichtiges Anliegen», sagt SBV-Sprecherin Sandra Helfenstein. «Hier decken sich unsere Interessen mit jenen des neuen Vereins. Wir hoffen, dass sie mit ihrer Fachkenntnis den nötigen gesellschaftspolitischen Druck erzeugen können.» Die Schweizer Milchproduzenten (SMP) geben sich zurückhaltender. Der neue Verein renne offene Türen ein, weil sich die SMP schon lange für Transparenz und für faire und angepasste Preise einsetze, sagt SMP-Sprecher Reto Burkhardt.
«Wir haben sehr viele und positive Reaktionen erhalten», sagt Flückiger. Der Tenor: Es sei gut, dass mal jemand beim Thema Marktmachtmissbrauch genauer hinschaue. Man sei auch in Gesprächen mit landwirtschaftlichen Verbänden, um Mitgliedschaften und Zusammenarbeit zu besprechen.
Hohe Hürden bei der Weko
Auch Patrick Krauskopf, Professor für Wettbewerbsrecht und ehemaliger Weko-Vizedirektor, findet es grundsätzlich gut, dass die Marktmacht von Coop und Migros durch Faire Märkte Schweiz thematisiert wird. Damit könne man versuchen, politischen Druck zu erzeugen. Dies mache auch die Stiftung KMU Rechtsdurchsetzung, wo Krauskopf Präsident ist. Die Hürden, um bei der Weko etwas zu erreichen, seien aber sehr hoch. Wenn es nicht um konkrete Preisabsprachen gehe, komme man beispielsweise mit anonymem Hinweisen nicht weiter, «die Weko braucht da Namen». Das Abhängigkeitsverhältnis sei immer ein individuelles. Anzeigen wegen Marktmachtmissbrauch habe es bei der Weko schon verschiedentlich gegeben. Es scheitere jeweils daran, dass Coop und Migros allein kaum je marktbeherrschend seien. Zu belegen, dass beide Detailhändler zusammen Marktmacht ausübten, sei noch schwieriger.
Flückiger ist sich dieser Hürden bewusst. Deshalb gehe es auch darum, mit konkreten Fällen wie der ELSA-Milchpreissenkung die aktuelle Rechtsauslegung herauszufordern, sagt er. Er will auch mit politischen Vorstössen im Parlament politischen Druck aufsetzen.
Klar ist: Das Thema Preise und Margen bleibt aktuell. Flückiger wird am Ball bleiben. Und der Preisüberwacher hat bereits angekündigt, im September alle wichtigen Organisationen zu einem Kaufkraft-Gipfel in Bern einzuladen.
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Der erste Angriff gilt der ELSA
Ein erstes Exempel statuieren will Faire Märkte Schweiz (FMS) mit der Migros-Molkerei ELSA Group. Diese kündigte ihren Milchproduzenten ab Juli einen «Marktabzug» von 1,5 bis 2 Rappen an und begründete diesen mit Deckungslücken wegen grosser Preisunterschiede zwischen Schweizer und europäischen Preisen, insbesondere beim Milchpulver. In einem Brief an die ELSA Group fordert Faire Märkte Schweiz das Unternehmen dazu auf, die Abzüge nicht umzusetzen. Es gebe keine wirtschaftlichen Anhaltspunkte, welche die Senkung rechtfertigen würden. Der Schritt könnte hingegen gemäss Kartellgesetz missbräuchlich sein. Der Anteil der Migros im inländischen Milchmarkt beträgt gemäss FMS 40 Prozent, die ELSA sei deshalb als marktmächtig zu beurteilen. FMS werde «falls erforderlich politische und rechtliche Korrekturmassnahmen einleiten».
Stefan Kohler, der Geschäftsführer der Branchenorganisation (BO) Milch, beurteilt die Chancen, kartellrechtlich gegen die ELSA vorzugehen, als gering. Auch andere Verarbeiter würden die Deckungslücken mit Abzügen beim Milchpreis schliessen. Kohler hält es für schwierig, der ELSA Marktmacht vorzuwerfen, ihr Marktanteil im Schweizer Milchmarkt betrage nur 8 Prozent. Dazu komme, dass ELSA ja nicht einmal Mitglied der BO Milch sei.

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