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Unverpackt-Shops in der Schweiz zwischen Abgesang oder Etablierung

Von den rund 60 Läden, die noch vor zwei Jahren schweizweit in städtischen und ländlichen Regionen verpackungsloses Einkaufen anboten – vor allem im Bereich Lebensmittel – sind nach Schätzungen der Unverpackt-Szene inzwischen mehr als ein Dutzend wieder verschwunden.

Das bedeute aber nicht, dass «Unverpackt» einpacken muss. Ab 2017 entstanden die ersten Unverpackt-Shops in Zürich, Bern und Basel. Einzelpersonen, Gruppen, Vereine und Genossenschaften haben dieses alternative Einkaufsangebot gewissermassen als Aktion der Tat gegen den bedrohlich anwachsenden Plastikmüll initiiert. Ladengründungen boomten interessanterweise während der Covid-Pandemiejahre. Vielleicht als Reaktion auf Endzeitdepressionen. Erforscht ist das nicht.
Die Geschäftsmodelle der Unverpackt-Shops sind inzwischen ausgereifter und effizienter geworden. Viele Läden haben sich mit anderen vernetzt. Das erzeugt Gruppendynamik und hilft den Betreiberinnen und Betreibern bei der Konsolidierung ihrer Geschäftsideen.
Unverpackt einkaufen ist aufwendiger als das Einweg-Plastiktüten-Shoppen
In den Unverpackt-Läden bringt die Kundschaft selbst die Einkaufsbehältnisse mit. Das können Stoffsäcke, Einkaufskörbe, Gläser oder Vorratsdosen sein. Eben alles, was sich fürs nach Hause bringen der Einkäufe mehrfach oder unbeschränkt einsetzen lässt. Denn Unverpackt-Fans kaufen bewusst nachhaltig ein und wollen nach ihrer Devise keinen unnötigen Abfall hinterlassen. Das erfährt man in den Unverpackt-Läden, wenn man die Kundinnen und Kunden nach ihrer Motivation fragt. Denn diese Art des Einkaufens ist aufwendiger als das Einweg-Plastiktüten-Shoppen und es braucht einen klaren Willensentscheid.
Trockenprodukte aller Art wie Pasta, Hu?lsenfru?chte, Mu?esli, Mehl, Gewu?rze, Nüsse, Tee und Kaffee gehören zum Grundsortiment eines Unverpackt-Shops. Typisch unverpackte Lebensmittel wie Gemu?se, Obst und Brot zählen ebenfalls dazu. Vermehrt tauchen auch Nonfood-Produkte wie Kosmetika und Haushaltsmittel in den Sortimenten auf. Zudem bieten viele Shops Flüssigprodukte wie Frischmilch, Hafermilch, Speiseöle und diverse Säfte an. Vereinzelt gibt es auch unverpackte Tiernahrung.
Lädelisterben bei den Unverpackten?
Das Lädelisterben bei den Unverpackten ist am Ende der Covid-Pandemiejahre verschiedentlich angesagt worden. Das Fernsehen SRF machte im Dezember 2022 bei Betreiberinnen und Betreibern von Unverpackt-Shops eine Umfrage zum Geschäftsgang. Fazit: Nach unerwarteten Erfolgen während der Pandemiezeit brachen die Umsätze massiv ein. «In der Coronazeit hatte Essen und Einkaufen noch einen anderen Stellenwert», sagte ein Befragter, «nun aber haben die Menschen wieder weniger Zeit – nach jeder Lockerung der Massnahmen haben wir an Umsatz verloren.»
Sparen bei den Lebensmitteln, Angst vor Energieknappheit und steigende Strom- und Ölpreise seien mit ein Grund für das Fernbleiben der Kundschaft in den Unverpackt-Läden, resümierte das Fernsehen. Aber auch die Konkurrenz durch die Grossverteiler im Detailhandel, die das Unverpackt-Potential bei ihrer Käuferschaft entdeckten und durch eigene verpackungslose Angebote aktivierten, habe das Leben des Unverpackt-Kleinhandels sichtlich erschwert.
Verbrauchertrends und Herausforderungen
«Unverpackt bleibt Unverkauft», triumphierte im November 2022 eine Case Study des Schweizerischen Verpackungsinstituts SVI. «Unverpackt-La?den starteten mit einem Boom und fielen seit Covidpandemie in eine tiefe Krise», heisst es in der Studie. «Hygiene-Erwa?gungen, Inflation, Energiekosten und Kleinmengenaufwand bringen das Konzept jetzt an seine U?berlebensgrenze», heisst es in der Studie weiter. Das Konsumentenverhalten habe sich in den jüngsten Krisen verändert: «Es zeigt: Nichts schützt Lebensmittel besser als eine gute Verpackung.»
Eine steigende Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten reagiert sensibilisiert bei der Verpackung der Produkte. Das folgert der «Global Buying Green Report 2022» von Trivium Packaging, einem weltweit tätigen Zulieferer von Verpackungsmaterialien. Befragt wurden 15’000 Verbraucherinnen und Verbraucher in Europa, Nord- und Südamerika. Im Report heisst es: «Unterdessen haben 74 Prozent ihr Interesse am Kauf von Produkten in Mehrwegverpackungen bekundet. Die Verbraucher wollen Produkte in recyclebaren Verpackungen, erkennen aber auch den Wert der Verlängerung der Lebensdauer der Verpackungen durch mehrmalige Verwendung. Mehrwegverpackungen erweisen sich als vielseitige und wertvolle Lösung für Konsumgüter.» Das spricht für die Unverpackt-Shops, die einen Teil ihrer Produkte in Mehrwegverpackungen anbieten, die von der Kundschaft wieder zurückgebracht und neu aufgefüllt werden.
«Ganzohni» ist quicklebendig
Kein grelles, lautes Schoppyland und kein PR-mässig aufgeschwatzter Einkaufsplausch. Im St. Galler Unverpackt-Shop «Ganzohni» von Marion Schiess taucht man ein in eine völlig andere Welt ein: Aug in Aug mit den Produkten, die man kaufen will. Unzählige Lebensmittelspender aus Glas, Edelstahl und Holz in verschiedenen Grössen empfangen die Kundschaft und schaffen bereits auf den ersten Blick Transparenz.
Auf dem Rundgang durch das vielfältige Sortiment ist keine Plastikverpackung auffindbar. Ein Teil der Produkte ist in Mehrwegverpackungen oder recyclebaren Kartonmaterialien erhältlich. In die Schmunzelecke gehören diesbezüglich Kondome, die bei «Ganzohni» auch angeboten werden. Einerseits steht das Produkt im Widerspruch zum Namen des Shops und andererseits ist die Verpackung wohl nicht geeignet für den Mehrwegverkehr. Daher ist sie nur recyclebar.
Bei «Ganzohni» gibt es viele Lebensmittel. Dazu gehören verschiedene Teigwaren, Früchte, Gemüse, unterschiedliche Getreide- und Reissorten, Hülsenfrüchte, Nüsse, Zucker, Speiseöle und diverse Säfte. Im Nonfood-Angebot sind unter anderem Seife, Geschirrspüler und Reinigungsmittel für den Haushalt zu finden. In den Unverpackt-Shop ist auch ein kleines Kaffee integriert, das sich zu einem Quartiertreff entwickelt hat. Marion Schiess beschäftigt zwei Mitarbeiterinnen.
Bauerntochter kam in Südafrika auf die Idee
Auf Reisen in Südafrika kam ihr die Idee zum Unverpackt-Shop: «Ich sah riesige Abfallberge aus Plastik und Kinder, die hungerten», sagt sie. «Ich habe immer mehr darauf geachtet und mich gefragt, woher kommt das, was ich kaufe.»
Die Tragsäulen des «Ganzohni»-Shops sind das Anbieten möglichst verpackungsfreier Produkte, die aus der Region kommen, saisonal ausgerichtet sind, zu fairen Preise und im Sinn von Nachhaltigkeit gehandelt werden. Als Tochter einer Bauernfamilie habe sie einen starken Bezug zu Lebensmitteln und vor allem auch zu ihrer Produktionsweise und zu ihrer Herkunft, sagt Marion Schiess. «Mir ist wichtig, dass ich die Produkte direkt von den Bauern beziehen kann.» Nicht alle Lebensmittel liessen sich aber unverpackt verkaufen, sagt die Fachfrau: «Es gibt Grenzen, denn wir wollen keinen Food Waste verursachen und auch sind die Hygiene-Standards hoch – doch wo es geht, verkaufen wir unverpackt.»
Die Balance zwischen Trend und Lebensstil
Die Präsidentin von «Unverpackt Schweiz», Natalie Jacot, schätzt, dass es gegenwärtig 45 Unverpackt-Läden schweizweit gibt, wovon 30 Mitglieder bei ihrem Verein seien. Warum aber der Aderlass nach den Pandemiejahren? «In dieser Zeit haben sich sehr viele Menschen um einen nachhaltigeren Lebensstil gekümmert», sagt Natalie Jacot. «Es wurde gebacken, gekocht und mehr Zeit ins Einkaufen investiert, da die meisten Menschen kaum etwas anderes machen durften», ergänzt sie.
Als sich die Auflagen gelegt hätten und der Alltag wieder eingekehrt war, sei auch der Zeitdruck zurückgekommen: «Plötzlich gehen viele Leute wieder da einkaufen, wo es für sie am nächsten von zu Hause ist, sie kochen weniger selber und backen kaum noch – plötzlich war es nicht mehr so wichtig, bewusst einzukaufen und sich um die Umwelt zu kümmern», sagt Natalie Jacot.
Grenzen liegen bei der Haltbarkeit
Bei den Unverpackt-Shops stehen Lebensmittel im Vordergrund. Ist dieses Segment noch weiter ausbaufähig oder gibt es da Grenzen? Grenzen seien nur dann gesetzt, wenn es um kurze Haltbarkeiten der Produkte gehe, wie bei vielen tierischen Erzeugnissen oder wenn die Hygieneauflagen es nicht zuliessen, etwa beim luftdichten Verschliessen von Produkten, meint die Präsidentin von «Unverpackt Schweiz».
«Für solche Fälle kommen Food-Kooperativen ins Spiel, die es den Konsumentinnen und Konsumenten erlauben, mit den Läden zusammen auf ein bestimmtes Datum einzukaufen und dann ihre Ware abholen», sagt Natalie Jacot. «So muss der Laden kein Risiko tragen und keine Produkte führen, die in kurzer Zeit ablaufen oder nach einmal öffnen, nicht mehr zu verkaufen sind», ergänzt Natalie Jacot. Viele Läden würden eine solche Lösungen anbieten.
Unverpackt einkaufen ist für die einen Bewusstseinssache und für die anderen Lifestyle, heisst es verschiedentlich. «Lifestyle und Bewusstsein gehen vielfach ineinander über», meint die Präsidentin von «Unverpackt Schweiz» und ergänzt: «Ich würde sagen, dass es für ein paar Menschen, die in den Pandemiejahren unverpackt einkauften, es jetzt aber nicht mehr tun, eher ein Trend war.»
Sie sehe dies bei ihrem eigenen Laden, den sie schliessen werde: «Viele kommen rein und sagen es sei Schade das wir schliessen – das sind diejenigen, die kaum da waren und es einfach schön fanden, dass es uns gab», sagt Natalie Jacot. Diejenigen die bewusster leben und diesen Lifestyle ausüben würden, seien hingegen sehr verärgert, dass es den Laden nicht mehr geben werde. «Die haben ihr Leben umgestellt und müssen jetzt wieder zurück in ein Leben mit viel mehr Abfall», erklärt sie.
Unverpackt erhält Unterstützung vom Konsumentenschutz
Unverpackt einkaufen sei das Bedürfnis vieler Konsumentinnen und Konsumenten, heisst es bei der Stiftung für Konsumentenschutz. Unverpackt ermögliche einzukaufen ohne Berge von Verpackungsabfall entsorgen zu müssen. Das sei nicht nur nachvollziehbar, sondern auch unterstützenswert, sagt Josianne Walpen, Leiterin Ernährung und Print bei der Stiftung für Konsumentenschutz. Und weiter: «Zu einem nachhaltigen Konsumverhalten gehört aber vor allem, saisonal und ökologisch einzukaufen, wenig Fleisch zu konsumieren und darauf zu achten, keine Lebensmittel zu verschwenden – denn da passiert sehr viel Ressourcenverschleiss.»
Unverpackt-Läden brauchen aus Sicht des Konsumentenschutzes auch keine einheitlichen Standards beispielsweise im Bereich Hygiene. Der Konsumentenschutz sei mit den bestehenden Regeln gewährleistet, meint Josianne Walpen. Zudem gebe es auch andere Läden, die auf Offenverkauf setzten – etwa Zuckerwarenläden. «Auch diese brauchen keine Sonderregulierung», ergänzt sie.
Unverpackt einkaufen ist nachhaltig, weil dadurch Verpackungsmüll vermieden wird. Reicht dieses Argument für die ökologische Legitimation eines Unverpackt-Shops – oder braucht es mehr? «Verpackung und der damit verbundene Abfall sind gut sichtbar für die Konsumentinnen und Konsumenten», sagt die Leiterin Ernährung und Print bei der Stiftung für Konsumentenschutz und ergänzt: «Anders etwa als der Einsatz von Pestiziden, Massentierhaltung, Transporte etc.». Dadurch habe dieses Thema in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten und viele der Unverpackt-Läden würden eine Klientel ansprechen, welche sehr auf Ökologie achte. «Sie bieten entsprechend auch biologische oder fair produzierte Produkte an», so Josianne Walpen.
Höhere Preise seien gerechtfertigt
So seien auch die vielfach höheren Preise der Produkte in den Unverpackt-Läden gerechtfertigt: «Günstigere Preise beruhen in der Regel auf grossen Mengen, die verkauft werden können – bei Unverpackt-Läden ist dies nicht der Fall», erklärt Josianne Walpen weiter. Fixkosten wie Löhne oder Lokalmiete würden ungleich mehr ins Gewicht fallen, wie bei allen kleinen Verkaufsstrukturen und -läden.
Und mittlerweile bieten auch Grossverteiler im Detailhandel «Unverpackt» an. So könnten auch Konsumentinnen und Konsumenten mit kleinem Budget solche Produkte kaufen. «Es ist sicher zu begrüssen, dass auch grosse Anbieter diese Einkaufsform ermöglichen – denn nur so kann dieses Angebot mehr Menschen erreichen», sagt Josianne Walpen.
Unverpackt-Shops und Lebensmittelkontrolle
Die Unverpackt-Shops, ihre Etablierung im Lebensmittelhandel und eine wachsende Kundschaft sind auch ein Thema bei den kantonalen Lebensmittelkontrollen. «Der Trend ist uns bekannt – die offene Abgabe von Lebensmitteln ist per se aber kein Novum», sagt der Zürcher Kantonschemiker Dr. Martin Brunner, der für den Verband der Kantonschemiker der Schweiz VKCS spricht.
«Kontrollschwerpunkte sind jeweils die Rückverfolgbarkeit sowie das Bereitstellen der notwendigen Informationen zu den Produkten», sagt der Zürcher Kantonschemiker weiter. «Es wird also überprüft, ob vor Ort die erforderlichen Auskünfte, beispielsweise über Allergene oder sonstige Inhaltsstoffe, vorhanden sind und ob geregelt ist, wie allfällige Verkaufsbehältnisse nachgefüllt werden», erklärt Martin Brunner. Hier gehe es um die Rückverfolgbarkeit und auch die betriebliche Selbstkontrolle werde in dieser Hinsicht geprüft. «Für uns lassen sich aus bisherigen Kontrollen keine Probleme ableiten, welche sich speziell bei Unverpackt-Läden zeigen», ergänzt der Zürcher Kantonschemiker.
Es gebe auch keine konkreten Vorschriften, die es verbieten würden, dass einige Lebensmittel beispielsweise aus Gründen der Hygiene nicht in Unverpackt-Shops angeboten werden dürften, erklärt Martin Brunner. Es obliege dem Betrieb im Rahmen der Selbstkontrolle sicher zu stellen, dass Lebensmittel bei der Lagerung und beim Bereithalten zur Abgabe nicht kontaminiert würden. «Deswegen ist für Lebensmittel, bei welchen nur schon durch Schmierkontaminationen eine Gefahr für die Gesundheit ausgeht – beispielsweise rohes Fleisch – eine Selbstbedienung im Offenverkauf kaum umsetzbar», sagt der Zürcher Kantonschemiker weiter. Unverpackt hat also durchaus seine Grenzen.

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