«Bei Milchalternativen haben wir ein grosses Potenzial - und wir haben die Technologie.» (MGB)
foodaktuell: Herr Robin, Sie haben in der Migros Industrie zwei Funktionen: Einerseits sind Sie CEO von ELSA-Mifroma, andererseits kümmern Sie sich um Fleischalternativen. Wieso diese Kombination?
Matthew Robin: Das ist historisch gewachsen. ELSA-Mifroma hat schon seit einiger Zeit eine Tofu- und Sojamilchproduktion. Die Käse- und Milchmärkte stagnieren aber in der Schweiz. Wir haben deshalb 2012/2013 geprüft, welche Märkte wachsen und haben Plant-based identifiziert – für den Bereich der Milchalternativen. Wir haben dann aber rasch gesehen, dass vor allem bei Fleischalternativen eine Nachfrage, aber ein schwaches Angebot besteht. Die Micarna war aber nicht so daran interessiert, und auch beim Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) gab es damals keine Vision für das Thema Plant-based. Der Anteil der Veganer war damals sehr klein, niemand hat richtig an diesen Markt geglaubt – ausser uns. Inzwischen ist auch Micarna in dem Bereich tätig. Mein Team führt das Plant-based Thema für die ganze Migros Industrie.
Trotzdem stammen bei Fleischalternativen im Migros-Sortiment nicht viele Produkte von der Migros Industrie, bei Milchalternativen aber schon. Ist es da einfacher?
Beim Fleisch ist die Produktvielfalt sehr gross, von Pouletstücken über Nuggets und Burger zu marinierten Produkten, und so weiter. Manche Produkte sind gemüsebasiert, andere extrudiert. Das ist anspruchsvoll, wir können nicht alles machen, sondern haben gewisse Bereich ausgewählt, etwa Wurstalternativen. Bei Milchalternativen ist es einfacher, sich zu fokussieren. Da haben wir ein grosses Potenzial – und wir haben die Technologie.
«Bei Milchalternativen haben wir ein grosses Potenzial - und wir haben die Technologie.»
Wir führen dieses Interview in Zürich. Wie häufig sind Sie hier und wie häufig in Estvayer-le-Lac?
Zu 90 Prozent bin ich Geschäftsführer der sechs Firmen der ELSA-Mifroma-Gruppe (s. Kasten) und an den Standorten dieser Firmen präsent. Zu etwa 10 Prozent befasse ich mich mit Spezialprojekten wie kultiviertem Fleisch. Im Grossraum Zürich bin ich im Schnitt einen Tag pro Woche.
Für Milchprodukte-Alternativen gibt es verschiedene Rohstoffe: Soja, Mandeln, Hafer oder Reis. Welcher ist am geeignetsten?
Es gibt Platz für alle Produkte, sie werden unterschiedlich verwendet. Erste Priorität für die Migros Industrie und den MGB ist es, die ganze Kategorie zu entwickeln. Wir versuchen, Trends zu identifizieren. Bei Alternativen für Trinkmilch begann es mit Soja. 2011 waren manche Sojaprodukte in den Degustationen so schlecht, dass man sie ausspucken musste. Alpro hat dann geschmacklich einen Standard gesetzt, den wir später auch erreicht haben. Mit Mandeln gab es einen Durchbruch, weil es geschmacklich deutlich besser war. Mit Haferprodukten wurde die Kategorie noch einmal erweitert. Was noch fehlt, ist ein Produkt, dass die Nährwerte von Milch bietet.
Migros fällt als Akteur beim Thema kultiviertes Fleisch auf: die Zusammenarbeit mit israelischen Start-ups, das Joint-Venture «The Cultured Hub» mit Givaudan und Bühler, ein Entwicklungslabor für kultiviertes Fleisch. Ist das für die Migros ein strategisch wichtiges Thema oder eher eines, das man im Auge behält, um nichts zu verpassen?
Die meisten Themen, bei denen wir proaktiv sind, sind Themen, die wir als hoch strategisch betrachten. Der Bereich Plant-based ist reif und im Retail-Bereich wichtig.Fermentierte und kultivierte Fleischalternativen werden kommen, es ist eine Frage der Zeit. Wir engagieren uns in einem frühen Stadium in diesem Bereich, weil wir selbst in der Produktion tätig sind und die neuen Methoden verstehen möchten.
Das Joint-Venture im Kemptthal ist eine Drehscheibe, um mit Partnern den Bereich schon früh zu verstehen und Optionen zu kreieren. Das gemeinsame Interesse der drei Partner ist, zu verstehen, was sich da entwickelt, und künftig die richtigen Entscheide zu fällen. Wir kooperieren auch, um die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in diesem Thema positiv zu beeinflussen. Als Migros haben wir einen sehr guten Zugang zum Schweizer Markt mit hoher Kaufkraft, und die Konsumenten haben das Interesse, um neue Produkte auszuprobieren.
Bis wann wird aus Ihrer Sicht kultivierter Fleischersatz gleich teuer sein wie konventionelles Fleisch?
Die Prozesse richtig zu entwickeln, dauert beim kultivierten Fleisch noch einige Jahre, aber auch bei der Fermentation von Kasein oder Milchfett gibt es noch Herausforderungen. Es kann 10 bis 20 Jahre dauern, bis man Preisparität zum heutigen Preisniveau bei Fleisch und Milchprodukten hat.
Aber: Fleisch könnte sehr rasch viel teurer werden – wegen Problemen in der Lieferkette, wegen der Themen Nachhaltigkeit oder Klimawandel – dann ist die Preisparität deutlich früher erreicht. Wir könnten noch überrascht sein. Mir ist es nicht wichtig zu wissen, wann das passiert, sondern flexibel zu bleiben und dafür bereit zu sein.
Ihre Partner in der Produktion, Aleph Farm und Supermeat, sind in Israel. Ist die Schweiz ein guter Standort, um das Thema Fleischalternativen zu puschen?
Mit dem Joint Venture wollen wir nichts puschen, es ist eher ein «Enabling», ein Ermöglichen. Indem wir den Start-ups helfen mit Infrastruktur, können wir eventuell den technischen Fortschritt beschleunigen. In der Schweiz gibt es auch bestehende Infrastruktur für die Weiterverarbeitung, und es gibt Personal mit dem entsprechenden Know-how. Das Ziel der drei Firmen ist auch, dass die Schweiz sich in diesem Bereich profilieren kann.
Sie haben bei ELSA-Mifroma einerseits eine traditionelle Milchverarbeitung, andererseits eine Produktion von Milchproduktalternativen. Konkurrenz im eigenen Haus?
Wir sehen Plant-based nicht als Konkurrenz, sondern als eine Weiterentwicklung des Marktes und Ergänzung für die Konsumenten.
Das heisst, für die ELSA als Verarbeiter spielt es gar keine Rolle, aus welchem Rohstoff die Produkte sind, die über die Anlagen laufen?
Für viele Plant-based-Frischprodukte und dort wo alternative Komponenten aus der Präzisionsfermentation möglicherweise künftig verarbeitet werden, ist es so. Um fermentierte Fette, Kasein und andere Ingredienzen zu kombinieren, brauchen wir die gleiche Infrastruktur. Wir suchen Firmen, welche die alternativen Ingredienzen herstellen, wir wollen diese nicht selber herstellen.
Für ihre bäuerlichen Lieferanten ist es sehr wohl eine Konkurrenz.
Nicht, wenn wir es richtig machen. Erstens ist nicht gegeben, dass die Milchnachfrage zurückgeht. ELSA-Mifroma ist primär ein Milchverarbeiter, wir haben kein Interesse, dass unsere Milchlieferanten weniger produzieren oder dass dieser Markt schrumpft. Zweitens: Für die Produktion der fermentierten Ingredienzen braucht es auch Nährstoffe – die Energiequellen, zum Beispiel Glukose, stammt aus irgendeinem landwirtschaftlichen Rohstoff. Und dieser sollte auch nachhaltig sein, aus der Schweiz stammen und sollte klimagerecht produziert werden. Da haben wir genau die gleichen Ansprüche wie für andere landwirtschaftliche Rohstoffe.
Die Milchproduktion geht in der Schweiz zurück, weil es einen Strukturwandel gibt. Mit der Nachhaltigkeitspolitik der Verarbeiter und Detailhändler, aber auch mit neuen Gesetzen, limitieren wir de facto die Anzahl Kühe pro Fläche, zum Beispiel, weil sie möglichst von betriebseigenem Futter gefüttert werden sollen. Auch die Wasserqualität spielt eine Rolle. Das heisst, die Milchproduktion geht langsam zurück. Aber der Konsum von Milchprodukten bleibt bisher konstant, trotz pflanzenbasierter Produkte – nicht zuletzt, weil die Schweizer Bevölkerung wächst.
«ELSA-Mifroma ist primär ein Milchverarbeiter, wir haben kein Interesse, dass dieser Markt schrumpft.»
Die aktuelle Situation im Milchmarkt ist speziell. Die Preise sind gestiegen, die Produktion aber leicht rückläufig.
Der Markt reagiert nicht sehr elastisch auf Preisänderungen. Dies auch, weil die Trends, die ich erwähnt habe, stärker sind als der Preistrend.
Was halten Sie von der bäuerlichen Forderung nach einem noch höheren Milchpreis?
In der Schweiz sind die Einwanderung und der Milchpreis zwei sehr heikle Themen (lacht). Das kommentiere ich nicht, aber was ich sagen kann: Die Migros bezahlt einen fairen Milchpreis. Der Markt sollte aus meiner Sicht etabliert werden durch die Verhandlungen unter den Akteuren, nicht durch Diskussionen in der Öffentlichkeit. Das ist auch der Grund, weshalb wir 2017 aus der BO Milch ausgetreten sind.
Ein «fairer» Milchpreis für die ELSA ist einfach. Sie haben eine hohe Wertschöpfung, machen keine Regulierung mit Pulver und Butter.
Wir machen jetzt auch Regulierung. Früher, mit Milchüberschüssen, haben wir überschüssigen Rahm auf dem Markt eingekauft, um den Rahmbedarf zu decken. Jetzt müssen wir grosse Mengen Milch kaufen und bei Partnern zu Rahm und Magermilchpulver verarbeiten lassen. Teilweise kaufen wir auch das Milchpulver, unsere Risiken und Verantwortung sind in Verträgen mit den Partnern definiert.
Wir wurden früher auch kritisiert, dass wir Profiteure seien des Regulierungssystems. Wir haben aber immer in die Regulierungsfonds der BO Milch freiwillig einbezahlt und beziehen sehr wenig davon. Das ist auch unser Beitrag zur Regulierung.
ELSA beteiligt sich künftig nicht nur am Milchhändler Aaremilch, sondern – zusammen mit der Migros-Genossenschaft Aare – auch an der Käserei im Diemtigtal. Das ist clever, Sie sichern sich den Rohstoff und kommen günstig an eine Käserei.
Das ist alles noch nicht definitiv entschieden, die Migros-Verwaltung und die Weko fällen ihre Urteile im September. Wir zahlen einen fairen Preis für die Beteiligungen. Die Milchproduzenten erhalten künftig einen besseren Milchpreis, wir bieten ihnen eine gute Perspektive. Und ja, wir sichern uns die Milch für die Zukunft. Auch andere grosse Verarbeiter haben einen hohen Anteil von Direktlieferanten.
Mit der Käserei übernehmen wir einen Betrieb, der wirtschaftliche Probleme hat, weil der Marktzugang fehlt. Wir haben den Marktzugang. Und wir werden die Käseproduktion zum Beispiel von anderen Käsereien, die eine veraltete Struktur haben und sowieso in den nächsten Jahren geschlossen werden müssten, ins Diemtigtal transferieren. Die betroffenen Käsereien sind informiert.
Wir finden es sehr gefährlich, was in den letzten zehn Jahren gebaut wurde, es gibt aktuell eindeutig Überkapazitäten in der Käseproduktion. Es braucht eine Strukturanpassung, und ich denke, das wird in den nächsten Jahren ein schmerzhafter Prozess sein.
«Wir finden es sehr gefährlich, was in den letzten zehn Jahren gebaut wurde, es gibt aktuell eindeutig Überkapazitäten in der Käseproduktion.»
Im Diemtigtal füllen Sie auch die A2-Urmilch ab, ein eher teures Produkt. Wie sind die Verkäufe?
Wir sind mit der Entwicklung zufrieden. Ich bin ein grosser Fan der A2-Urmilch, ich glaube an das Konzept und das Potenzial. Wir bezahlen den Produzenten dafür einen höheren Preis, der hohe Verkaufspreis entsteht aber vor allem, weil die Mengen noch sehr klein sind.
Neu gibt es in der Migros auch Joghurts, die unter dem Firmennamen «ELSA» verkauft werden. Darauf hätte die Migros schon lange kommen können.
Ja, die wurden am 15. August lanciert. Es war ein Entscheid der Migros, wir waren sehr erfreut, dass der Name verwendet wird. Man hat das immer wieder diskutiert, die Kategorienhoheit ist beim MGB, der Name «ELSA» stand zur Verfügung. Die ELSA-Joghurts ersetzen die «Passion»-Linie, mit verbesserten Rezepturen. Wir wollten ein Produkt mit IP-Suisse-Milch lancieren und erfüllen mit dem Produkt auch dieses Ziel.