Freddy Hunzikers Firma ist in den letzten Jahren rasant gewachsen. (mos)
Cashew statt Kühe: Seit 2015 produziert der gelernte Polymechaniker Freddy Hunziker vegane Käsealternativen aus Cashewnüssen. Die ersten Produkte stellten seine Partnerin Alice Fauconnet und er noch in einer Bauernhausküche her. Seither ist ihre Firma «New Roots» mehrmals in immer grössere Produktionsräume umgezogen. Seit Ende Januar 2021 produzieren die 35 Angestellten in einer 2500 Quadratmeter grossen Fabrik im bernischen Oberdiessbach, die fossilfrei betrieben wird. foodaktuell hat die Fabrik im Rahmen einer zweitägigen Studienreise der Agrarallianz* besucht.
«Vegane Molkerei» nennt Hunziker seine Firma. Denn das Handwerk und die Verarbeitungsschritte sind gleich wie in einer traditionellen Käserei. Statt Kuhmilch verarbeitet New Roots Cashewnüsse, die vermahlen und mit Wasser versetzt werden. Pflanzliches Lab bringt die Flüssigkeit zum Gerinnen, Milchsäurebakterien (auf pflanzlicher Basis produziert) sorgen für die traditionelle Fermentation. Das Handwerk hat Hunziker in traditionellen Käsereien gelernt.
«Wir wollen pflanzliche Alternativen zu allen gängigen Käse- und Milchprodukten anbieten», sagt Hunziker. Alternativen zu Weich-, Frisch- und Streichkäse, Crème Fraîche, Fondue und Joghurt sind bereits im Sortiment. Ein kleines Team tüftelt derzeit an einer pflanzlichen Alternative zu einem schmiergereiften Halbhartkäse. Das sei nicht ganz einfach, sagt Entwicklerin Verena Looser, gelernte Käserin und studierte Biotechnologin. Denn: «Pflanzliche Proteine verhalten sich anders als das Kasein der Kuhmilch.» Mit pflanzlichen Eiweissen sei es schwieriger, Textur, Schmelzfähigkeit und Geschmack eines Halbhartkäse aus Kuhmilch hinzubekommen.
Lupinen aus der Schweiz
Rund 150 Tonnen Cashew verarbeitet New Roots aktuell pro Jahr, importiert wird die Bio-Ware per Schiff unter anderem aus Burkina Faso. Trotz der langen Reise seien seine Produkte deutlich nachhaltiger als die Pendants aus Kuhmilch, sagt Hunziker. Langfristig möchte er seine Produkte aber aus Schweizer Rohstoffen herstellen. Im Fokus sind die proteinreichen Lupinen. Auf der Basis der eigenen Forschungsergebnisse hat New Roots Saatgut aus Deutschland beschafft, das bereits einige Schweizer Bauern für den Anbau verwenden. Ende 2022 wird New Roots diesen Bauern die Rohstoffe abkaufen und in die Weiterentwicklung von Käsealternativen einfliessen lassen.
New Roots ist erfolgreich unterwegs, mit jährlichen Wachstumsraten von 120 Prozent. 20 Prozent der Produkte werden nach Deutschland, Frankreich, Österreich und Grossbritannien exportiert. Die Expansion in die Benelux-Staaten und nach Skandinavien ist geplant. Noch sind die Produkte deutlich teurer als Kuhmilchprodukte, man strebe aber Preisparität an, so Hunziker. Übernahmeangebote von zwei grossen Lebensmittelherstellern hat Hunziker abgelehnt. Bei New Roots gehe es nicht nur ums Geschäft, sondern auch um Ethik, sagt der Unternehmer: «Tiere sind keine Ressourcen für den Menschen.» Ein Prozent des Umsatzes von New Roots fliesst deshalb an Lebenshöfe und Bauernhöfe, die aus der Nutztierhaltung aussteigen.
150 Schweine pro Stunde
Auf der Studienreise geht es weiter zur Micarna im freiburgischen Courtepin. Der Kontrast zur «veganen Molkerei» könnte nicht grösser sein. Während Freddy Hunziker und sein Team auf ein Ende der Nutztierhaltung hinarbeiten, werden im Fleischbetrieb der Migros jeden Tag rund 100000 Hühner und 1400 Schweine geschlachtet, zudem wird täglich das Fleisch von 250 bis 300 Rindern aus anderen Schlachthöfen angeliefert. In Courtepin macht die Micarna aus den Tieren Wurst, Speck und Charcuterie, Filet und Braten, panierte Plätzli und Tiefkühlnuggets.
In der Zerlegerei zerteilen dutzende Angestellte mit routinierten Handgriffen die Schweineteile, die auf einem Förderband langsam vorbeilaufen. 150 Schweine pro Stunde sind es – ein Knochenjob. Bis zu zehn Mal pro Tag greifen die Angestellten zu einem neu geschliffenen Messer. «Je schärfer das Messer, desto weniger Kraft braucht es, und es gibt auch weniger Stichverletzungen», erklärt Standortleiter Cédric Imhof. Fachkräfte zu finden ist auch für die Micarna schwierig. Der Grossteil der Angestellten in der Zerlegerei sind nicht gelernte Metzger, sondern Angelernte. Viele von ihnen würden der Micarna jahre- oder gar jahrzehntelang die Treue halten, sagt Imhof. Auch Geflüchtete finden hier einen Einstieg in die Arbeitswelt.
«Wir sind Protein»
«Wir sind Fleisch» lautete früher der Slogan der Micarna. «Wir sind Protein» sagt die Migros-Tochter heute – und meint damit auch alternative Proteine. Den Einstieg machten 2017 Burger und Bällchen mit Mehlwurmmehl – ein Flop. «Mit den Insekten waren wir zu früh», sagt Ralph Langholz, bei der Micarna zuständig für den Bereich Alternative Proteine. Erfolgreicher unterwegs ist die Eigenmarke «V-Love», die unter anderem pflanzliche Alternativen zu Hack, Bratwurst, Cervelat und Wienerli anbietet.
Noch sind die Fleischalternativen ein Nischengeschäft, zum coronabedingten Rekordumsatz von 1,8 Milliarden Franken der Micarna im letzten Jahr trugen sie einen vernachlässigbaren Bruchteil bei. Laut Prognosen von renommierten Beratungsunternehmen dürfte Pflanzenfleisch bis 2040 aber auf einen Marktanteil von 25 Prozent kommen. Fleisch werde aber auch dann noch gegessen, sagte Langholz. «Da kann ich unsere Micarna-Metzger beruhigen.» Übrigens: Die Micarna produziert ihre veganen Fleischalternativen wie New Roots mit traditionellem Handwerk aber mit neuen Rohstoffen wie Erbsen- und Ackerbohnenprotein.
Metzgerstolz und vegane Wurst
Anfänglich hätten sich die Angestellten nicht damit anfreunden können, vegane Würste herzustellen, sagt Pirmin Aregger, Leiter der Micarna-Direktion Innovation, Unternehmensentwicklung und Nachhaltigkeit. Die Qualität der Würste habe noch nicht ganz gestimmt. «Es nagte am Metzgerstolz unserer Berufsleute, eine vegane Grillwurst zu machen, die nicht genau wie ein Cervelat schmeckte.» Inzwischen seien die Pflanzenwürste aber sehr nahe an ihren Vorbildern dran.
Anders als bei New Roots sind Schweizer Rohstoffe bei den Fleischalternativen von Micarna nur bedingt ein Thema. Der Grund: «Um Fleischanaloge herzustellen, müssen Pflanzenproteine isoliert und aufkonzentriert werden», erklärt Ralph Langholz. Solche Proteinisolat Verarbeiter gebe es bislang aber nur im Ausland. In der Schweiz lohne sich der Bau einer Anlage wegen den geringen Mengen noch nicht – die Micarna sei aber bereits mit Ideen für Pilotprojekten in Kontakt. Wie Hunzikers Käsealternativen ist auch das Pflanzenfleisch der Micarna noch einiges teurer als das tierische Pendant. Preisparität sei ein Ziel, sagt Langholz. Eine Unwägbarkeit sei, wie sich die Erbsen- und Sojapreise entwickeln würden.
* Die Agrarallianz vereinigt 20 Organisationen aus den Bereichen Konsumenten, Umwelt und Tierwohl sowie Landwirtschaft. Die Lobbyorganisation dient laut eigenen Angaben dem Dialog zwischen Heu- und Essgabel.