«Vertrauen ist gut, Kontrolle besser»: Danja Domeier. (ZHAW, Wädenswil/Tevy)
Paprikapulver, das mit gemahlenem Ziegelstein gestreckt ist, oder angeblich natives Olivenöl, das sich als billiges, mit Chlorophyll gefärbtes Salatöl entpuppt: Lebensmittelbetrüger sind kreativ. Für Hersteller und Händler heisst das, sie müssen besonders auf der Hut sein. Denn nach deutschem Recht kann sich auch strafbar machen, wer gefälschte Lebensmittel verarbeitet und weiterverkauft. «Das Opfer kann schnell zum Täter werden», brachte es die deutsche Lebensmittelrechtsanwältin Danja Domeier ZHAW-Lebensmittelrecht-Tagung auf den Punkt, die unter dem Titel «Das Lebensmittelrecht in der Lebensmittelkette. Aspekte – Verantwortlichkeiten – Herausforderungen» am 12. Mai in Wädenswil stattfand.
Absoluten Schutz vor Food Frau gebe es nicht. Aber man könne versuchen, sich bestmöglich abzusichern, so Domeier. Ihr Profitip ans Fachpublikum: «Denken Sie wie ein Krimineller.» Wenn Lebensmittel knapp seien und der Betrug hohe Gewinne verspreche, locke das Betrüger an. Wenn also in der Türkei, dem wichtigsten Haselnussproduzenten der Welt, Frost fast die ganze Haselnussernte vernichte - dann sollten bei der Beschaffung dieses Rohstoffes die Alarmglocken läuten. Langjährige Lieferbeziehungen könnten helfen, nicht Opfer von Betrug zu werden. «Aber Kontrolle ist besser.» Regelmässige Audits des Lieferanten und die Prüfung von Herkunft und Zusammensetzung der Ware seien angebracht.
Aus rechtlicher Sicht zentral: mit dem Lieferanten im Kauf- oder Liefervertrag klare und detaillierte Spezifikationen für die bestellte Ware abmachen und vom Lieferanten die Zusicherung verlangen, dass er die Spezifikation wahrheitsgemäss ausgefüllt hat. Werde man in diesem Fall trotzdem Opfer von Food Fraud, könne man schriftlich beweisen, dass man alles «Erforderliche und Zumutbare» unternommen habe, um sich vor Betrug zu schützen. Damit könne man sich auf der Schuldebene exkulpieren. «Ohne Vorsatz und Fahrlässigkeit ist man raus aus der Schuld.»
Das falsch deklarierte Tiramisu
Die Lebensmittelrechtsanwältin Karola Krell verwandelte die ZHAW-Aula in ihrem Vortrag in ein juristisches Proseminar. Am Beispiel eines Tiramisu, bei dem die Allergene Milch und Rahm auf der Verpackung nicht wie vorgeschrieben gefettet wurden, spielte sie die Frage durch: Wer trägt welche Verantwortung für das Produktlabel? In der EU ist die Antwort einfach. Verantwortlich ist der Lebensmittelunternehmer, «unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird». Haftbar ist also die Firma, die - wie es die EU-Lebensmittelinformationsverordnung vorschreibt - auf dem Etikett vermerkt ist. Bei Eigenmarken ist das der Detailhändler, bei Markenprodukten der Markeninhaber und bei Importprodukten der Importeur beziehungsweise der Hersteller/Markeninhaber in der EU. Lohnhersteller sind damit in der EU aus der Verantwortung für die Information raus – «obwohl die das Produkt am besten kennen», so Krell.
In der Schweiz ist die Haftung/Verantwortung für die Kennzeichnung nicht im Lebensmittelrecht selber geregelt. Falls nun aber eine Milchallergikerin wegen der fehlerhaft deklarierten Allergenen im Tiramisu erkrankt oder gar stirbt, kann die Herstellerin des Tiramisu über die Produktehaftpflicht belangt werden, weil die fehlerhafte Deklaration als Produktfehler gilt. Allerdings seien in der Schweiz viele Fragen in diesem Bereich ungeklärt, weil es dazu keine Gerichtsurteile gebe, sagte Karola Krell. Zum Beispiel: Ist es täuschend, ein Produkt als vegan auszuloben, wenn es Milchspuren enthält? Oder darf sich eine Allergiker-Kundschaft auf eine «vegan»-Auslobung verlassen?
Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum?
Viele Konsumentinnen und Konsumenten kennen den Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeits- und Verbrauchsdatum nicht. Doch auch für die Lebensmittelhersteller ist es offenbar nicht ganz einfach, zu entscheiden, ob für ein Lebensmittel das MHD reicht, oder ob ein «Zu verbrauchen bis» nötig ist. Laut Artikel 13 der Verordnung des EDIbetreffend die Information über Lebensmittel(LIV) muss «bei sehr leicht verderblichen Lebensmitteln, die nach kurzer Zeit eine unmittelbare Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen können» ein Verbrauchsdatum gesetzt werden. Doch was heisst «sehr leicht verderblich»?
Hier helfe der online verfügbare «Entscheidungsbaum» der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, sagte Giovanna Spielmann-Prada, Dozentin für Mikrobiologie an der ZHAW. Anhand von zehn Fragen lässt sich damit klären, ob ein Produkt das MHD oder ein Verbrauchsdatum braucht. Entscheidend sind der pH-Wert und der aw-Wert (Wasseraktivität), der angibt, in welchem Masse das Wasser durch das Substrat gebunden ist. Wenn die beiden Werte so sind, dass sie das Wachstum pathogener Keime begünstigen, muss das Lebensmittel mit dem Verbrauchsdatum gekennzeichnet werden.
Verschiedene Lebensmittel, die heute in der Schweiz das Verbrauchsdatum tragen, könnten problemlos auf das MHD umdatiert werden, etwa Butter, Joghurt oder Weichkäse, sagte Giovanna Spielmann-Prada. Entsprechende Vorschläge hat die ZHAW 2021 im Auftrag des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesens (BLV) in einem Leitfaden gemacht. Mit einer Umdatierung sollen unnötige Lebensmittelabfälle verringert werden.
«Lassen Sie sich Zeit mit dem Nachvollzug»
Unnötige Lebensmittelabfälle vermeiden will auch die EU-Kommission. Dazu soll das MHD in der EU künftig verpflichtend mit dem Zusatz «oft länger gut» versehen werden. «Das wird keinen Effekt haben, das ist eine Scheindiskussion», kritisierte Peter Loosen, Geschäftsführer des Brüsseler Büros des Lebensmittelverbands Deutschland, diese Massnahme, die die EU-Kommission im Rahmen ihrer «Farm to Fork»-Strategie umsetzen will.
Die EU verfolge mit der Strategie ehrgeizige und wichtige Ziele – aber mit der Umsetzung tue sie sich schwer, sagte Loosen. Das hänge auch damit zusammen, dass man Kennzeichnungsthemen in die Vorlage gepackt habe, für die man in der EU schon seit Jahren keine Lösung finde. Neben der Datumskennzeichnung seien das die Nährwertprofile, die Herkunftskennzeichnung oder die Nährwertkennzeichnung (z.B. mit Nutri-Score). «Das wird zum Stolperstein für Farm to Fork.»
Überhaupt sei die EU das ganze falsch angegangen. Zuerst hätte ein verbindlicher Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme verabschiedet werden müssen. «Davon gibt es aber noch nicht mal einen Entwurf.» Für die Schweiz bedeute das: «Sie können sich Zeit lassen mit dem autonomen Nachvollzug.» Es dauere sicher noch fünf, sechs Jahre, bis die EU die Strategie verabschiede, bis zu deren Umsetzung dauere es wohl noch zehn Jahre.
Herausforderung Onlinehandel
Andrea Blank vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sprach über die Lebensmittelsicherheit und den Täuschungsschutz im Onlinehandel. «Die Lebensmittel im Internet sollen so sicher sein wie im Supermarkt», sagte sie. Eine der grössten Herausforderungen sei dabei der weltweite Onlinehandel, bei dem auch gesundheitsgefährdende Präparate gekauft werden könnten. Ausländische Webshops unterstünden nicht den Kontrollen der Schweizer Behörden. Die Einfuhr von Produkten für den Eigenbedarf fallen auch nicht in den Geltungsbereich des Lebensmittelrechts. «Der Onlinehandel kennt keine Grenzen, die Vollzugskompetenzen hingegen schon», so Blank.
Die Schweiz prüfe darum eine Angleichung des Lebensmittelgesetzes ans EU-Recht. Damit sollen Hosting-Betreiber, insbesondere für Onlineplattformen sowie sogenannte Fulfilment-Dienstleister stärker in die Pflicht genommen werden. Als Fulfilment-Dienstleister gelten natürliche oder juristische Personen, die Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand von Produkten, an denen sie kein Eigentumsrecht haben, anbieten. Die Vernehmlassung ist voraussichtlich für die erste Hälfte 2024 geplant.