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Wie viel Selbstversorgung ist sinnvoll?

Christian Ritzel, Albert von Ow und Stefan Mann von Agroscope sprechen über die ideale Selbstversorgung für die Schweiz, wieso Saatgut so bedeutend ist und wo Importe Sinn ergeben.

Bäuerinnen und Bauern sorgen für Versorgungssicherheit. Aber alles lässt sich in der Schweiz nicht produzieren. (Symbolbild Pixabay)

LID: Wo liegt Ihrer Meinung nach der ideale Selbstversorgungsgrad für die Schweiz? Stefan Mann: Aus der ökonomischen Sicht komparativer Kostenvorteile müsste der Selbstversorgungsgrad tiefer sein, da die Grenzkosten der Produktion hier über jenen der wichtigen Exportnationen liegen. Sprich die Schweiz kann andere Produkte als Lebensmittel vergleichsweise kostengünstiger produzieren und würde besser fahren, wenn sie mehr Lebensmittel importiert. Aus Sicht der Versorgungssicherheit wäre ein höherer Selbstversorgungsgrad aber besser. Wahrscheinlich liegen wir insgesamt gar nicht so schlecht, also nahe am idealen Selbstversorgungsgrad für die Schweiz. Ist eine 100% Selbstversorgung in der Schweiz erstrebenswert? Christian Ritzel: Aus Perspektive der Versorgungssicherheit, ja. Allerdings kann eine Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion, um einen höheren Selbstversorgungsgrad zu erreichen, die Abhängigkeit von importierten Produktionsmitteln erhöhen. Zudem kann sich eine Intensivierung negativ auf die Umwelt auswirken wie Verlust der Artenvielfalt, Bodenerosion, Bodenverdichtung und weiteres, was die Versorgungssicherheit längerfristig ebenfalls beeinträchtigen könnte. Wie könnte die Schweiz die hohe Abhängigkeit von Produktionsmitteln umgehen? Sehen Sie Potenzial im Aufbau von Industrien, die solche Produktionsmittel herstellen? Stefan Mann: Am wichtigsten erscheint mir diesbezüglich die Vermehrung von Saatgut. Gelänge es der Schweiz beispielsweise, Zuckerrüben- und Rapssaatgut im Land zu vermehren, würde das die Versorgungssicherheit spürbar erhöhen. Im Vergleich dazu ist beispielsweise die Ansiedlung der Traktorenproduktion in der Schweiz zweitrangig. Albert von Ow: Am ehesten konkurrenzfähig ist die Schweiz bei der Produktion von spezialisierten Produkten wie Pflanzenschutz- und Tierarzneimittel. Auch in solchen Fällen bestehen aber durch die international tätigen Firmen und die Vernetzungen bei den Lieferketten Auslandabhängigkeiten. Anstelle der Eigenproduktion dürften jedoch für die kurzfristige Versorgung in schweren Mangellagen Pflichtlager in vielen Fällen ökonomisch günstiger sein. Neben Lebensmitteln bestehen solche Pflichtlager für verschiedene lagerbare Produktionsmittel wie Energieträger und Stickstoffdünger. Bei welchen Nahrungsmitteln sollte die Schweiz mehr selbst produzieren? Christian Ritzel: Aus Sicht der Versorgungssicherheit sollte das generell bei Produkten der Fall sein, die einen hohen Anteil an der Energieversorgung haben, deren Anbau in der Schweiz klimatisch effizient ist und bei denen der Selbstversorgungsgrad heute unter 100% liegt. Also zum Beispiel Brotgetreide, Zucker und pflanzliche Öle und Fette.  Inwiefern macht in der Schweiz die Produktion von Milchprodukten, Fleisch und tierischem Fett basierend auf importierten Futtermitteln Sinn? Stefan Mann: Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Insgesamt ist die Produktion von Milch und Fleisch in der Schweiz im internationalen Vergleich eher umwelteffizient. Aber das liegt eben am vergleichsweise hohen Raufutteranteil. Je mehr Kraftfutter wir importieren, desto mehr verwässern wir unseren Standortvorteil.
Bei welchen Nahrungsmitteln machen Importe Sinn? Christian Ritzel: Prinzipiell kann die Wirtschaft frei entscheiden, bei welchen Nahrungsmitteln sie Importe als sinnvoll erachtet. Naheliegend ist allerdings, Nahrungsmittel zu importieren, bei denen der Selbstversorgungsgrad von 100% selbst im Falle erhöhter Inlandproduktion nicht erreicht werden kann, bzw. Nahrungsmittel, die beispielsweise aus klimatischen Bedingungen nicht in der Schweiz produziert werden können wie zum Beispiel Reis, Kakao und Kaffee. Bereits wird im Seeland Reis angepflanzt, im Gürbetal wächst Quinoa und es gibt Schweizer Pfirsiche und Ingwer im Angebot. Begrüssen Sie innovative Landwirte, die versuchen, exotische Lebensmittel in der Schweiz zu produzieren? Stefan Mann: Natürlich! Aber eher aus Gründen der Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit als aus Gründen der Versorgungssicherheit. Wo sehen Sie Potenzial in Bezug auf den Klimawandel? Stefan Mann: Der Prozess der globalen Erwärmung verläuft langsam. Daher bleibt uns genug Zeit, mit den neuen Kulturen von Soja bis Reis zu experimentieren, bevor sie fester Bestandteil des Schweizer Portfolios werden. Christian Ritzel: Der Klimawandel ist für die Schweizer Landwirtschaft schon heute spürbar. Neben negativen Auswirkungen wie zum Beispiel länger anhaltende Dürreperioden bietet der Klimawandel auch gewisse Potentiale. Gemüsesorten wie zum Beispiel Süsskartoffeln können nun auch in der Schweiz angebaut werden. Der Klimawandel bringt auch Innovationen wie die sogenannte „Klimatomate“, die mit wesentlich weniger Bewässerung auskommt, hervor. Die Schweiz hat im Vergleich zu anderen Ländern einen eher tiefen Selbstversorgungsgrad. Schätzen Sie dies als Vor- oder Nachteil ein? Christian Ritzel: Ein geringer Selbstversorgungsgrad ist aus Sicht der Ernährungssicherheit als Nachteil einzustufen, speziell für den Fall einer langandauernden schweren Mangellage, bei der Nahrungs- und Produktionsmittelimporte weitestgehend wegfallen. In einem solchen Fall müsste die landwirtschaftliche Produktion mit einem relativ hohen Koordinationsaufwand von der Produktion tierischer zu mehr pflanzlichen Nahrungsmitteln umgestellt werden, um den Selbstversorgungsgrad zu erhöhen. Und trotzdem schätzen Experten, dass der Selbstversorgungsgrad von 56 auf 52 Prozent sinken wird. In welchem Zeitfenster? Stefan Mann: Unsere Berechnungen zur Agrarpolitik 22+ haben diesen Wert für das Jahr 2025 projiziert. Aus meiner Sicht bedeutet dieser Rückgang aber keinen Rückgang der Versorgungssicherheit. Er ist einer Ökologisierung der Produktion geschuldet, die auch kurzfristig wieder umgekehrt werden könnte.
Die Corona-Krise hat jedoch gezeigt, dass die Schweiz in einem Krisenfall keine Probleme mit der Versorgung von Lebensmitteln hat. Gibt es denn heute einen Plan, wie die Landwirtschaft auf eine höhere Produktion von pflanzlichen Nahrungsmitteln umgestellt werden kann, ähnlich wie anno dazumal der Plan Wahlen? Stefan Mann: Das ist tatsächlich eine der Fragen, mit denen wir uns beschäftigen. Zuerst haben wir uns im Auftrag der wirtschaftlichen Landesversorgung ein besseres Verständnis davon erarbeitet, welche Kulturen im Krisenfall in welchem Umfang angebaut werden sollten. Nun überlegen wir uns für die wirtschaftliche Landesversorgung, wie eine solche Produktionsumstellung in der Praxis gewährleistet werden könnte. Albert von Ow: Die aktuelle Corona-Krise hat auch gezeigt, dass die einzelnen Länder in einer schweren Mangellage zuerst die eigene Versorgung vorziehen. Daher ist die Planung von Massnahmen für den Fall einer Krise der Lebensmittelversorgung durchaus sinnvoll. Kurzfristig stehen einfacher umsetzbare Massnahmen wie die Pflichtlagerhaltung im Vordergrund. Eine Anbauoptimierung käme erst in einer sehr schweren, längerfristigen Mangellage in Frage. Die derzeit dazu untersuchten Instrumente sehen eine Kombination von Produktionsvorschriften und ökonomischen Anreizen vor. Klar ist jedoch auch, dass die möglichen Massnahmen in einer solch schweren Mangellage wesentlich von der konkreten Krisensituation und den noch verfügbaren Handlungsoptionen abhängen und daher nur schwierig planbar sind. Weltweit stehen pro Person rund fünfmal mehr Landwirtschaftsfläche und Ackerfläche zur Verfügung als für Personen in der Schweiz. Ist die dichte Besiedelung Grund dafür? Christian Ritzel: Im Wesentlichen erschwert die Topographie der Schweiz eine Ausdehnung der landwirtschaftlichen Produktion. Daher ist die Schweiz seit Jahrhunderten Nettoimporteur. Wie könnte die Schweiz trotz so dichter Besiedelung einen höheren Selbstversorgungsgrad erreichen? Christian Ritzel: Zum einen könnte wie bereits erwähnt eine vermehrte Umstellung der Produktion und Ernährung von tierischen zu pflanzlichen Nahrungsmitteln den Selbstversorgungsgrad erhöhen. Zum anderen sind die Potentiale der urbanen Landwirtschaft wie z.B. vertikale Landwirtschaft wahrscheinlich noch nicht voll ausgeschöpft. Der Trend zu proteinreichen pflanzenbasierten Nahrungsmitteln dürfte auch in Zukunft anhalten. Wie könnten diese Potentiale in Zukunft ausgeschöpft werden? Stefan Mann: Zu dieser Frage haben wir einen Antrag beim Schweizerischen Nationalfonds eingegeben. Denn auch die Frage, welchen Beitrag urbane Produktion für die Versorgungssicherheit leisten kann, ist noch nicht wirklich beantwortet. Albert von Ow: Der wohl zukünftig anhaltende Ernährungstrend hin zu proteinreichen pflanzenbasierten Nahrungsmitteln ist nicht nur aus Umweltsicht vorheilhaft, sondern kann auch den Selbstversorgungsgrad erhöhen. Dies hat eine Analyse von Zimmermann et al., 2017 bestätigt. Die längerfristigen Auswirkungen dieses Trends für die Schweizer Landwirtschaft und deren Anpassungsoptionen möchten wir in dem von Stefan Mann erwähnten Antrag vertieft analysieren. 2019 haben Christian Ritzel und Albert von Ow ihre Forschungsergebnisse im Dossier «Versorgungssicherheit der Schweiz und Agrarmärkte - Aktuelle Entwicklungen und Prognosen für die kommenden zehn Jahre» publiziert.

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