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Insekten nicht gegen Fleisch ausspielen

Nach den «Superfoods» stehen Insektenprodukte in den Startlöchern. Obwohl ökologisch vorteilhaft, werden sie hierzulande das Fleisch nicht so rasch verdrängen. Zumal auch Pflanzenproteine ein Potenzial bieten.

Mehlwürmer. (Bild: zvg)

Weltweit essen rund zwei Milliarden Menschen Insekten, aber hierzulande gelten sie als «Novel Food». Drei Arten sind seit dem 1. Mai 2017 für den menschlichen Verzehr zugelassen: Grillen, europäische Wanderheuschrecken und Mehlwürmer-Larven. Es gibt zwar noch keine Schweizer Produktion, und der Import ist bewilligungspflichtig. Coop plant jedoch die Lancierung von Insektenprodukten und namhafte Institute, Konzerne und Start-ups forschen und bearbeiten Projekte dazu. Stehen wir am Anfang einer

Ernährungsrevolution oder ist es eher ein Hype?
Bezüglich der Nährwerte ist die Datenlage noch sehr dürftig. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE beziffert den Gehalt an Reinprotein bei Insekten mit 20 Prozent. Die Proteinqualität sei gut. «Der Gehalt an essentiellen Aminosäuren scheint zum Beispiel im Mehlwurm interessant zu sein und grundsätzlich sind Insekten eine wertvolle Eiweiss-quelle», sagt SGE-Ernährungsexpertin Stéphanie Hochstrasser. Chitin ist eine unverdauliche Nahrungsfaser. Die SGE beziffert den Chitingehalt der Insekten mit 2 bis 5 Prozent. Pilze besitzen ähnliche Gehalte davon, deshalb warnen Ernährungsberater vor dem Konsum grosser Mengen Pilze. Die Folge können Verdauungsbeschwerden sein. Beim Konsum ganzer Insekten ist daher auch eine solche Warnung am Platz: als Dekors sind sie akzeptabel, um den Magen zu füllen eher nicht. Man weiss noch nicht, ob Chitin wie andere unlösliche Nahrungsfasern im Dickdarm von der mikrobiellen Flora teilabgebaut wird und ob dies physiologisch positiv oder negativ ist. Die SGE bleibt daher vorsichtig mit Empfehlungen: «Insekten können eine Alternative zu bisher bekannten Proteinlieferanten wie Fleisch oder Fisch sein. Sie können gut Teil einer ausgewogenen Ernährung sein, müssen es aber nicht. Vom Nährstoffgehalt her kann man eine Portion wie bei Fleisch bei 100 bis 120 Gramm ansetzen. Ob diese realistisch ist, muss sich noch zeigen», sagt Hochstrasser. Insektenprodukte bald im Laden Seit Anfang Mai sind Insekten zwar zugelassen, aber derzeit noch nicht auf dem Markt. Importe sind bewilligungspflichtig und Schweizer Produktionen erst am Start. Coop will drei Insektenprodukte wie Insekten-Burger noch im Mai lancieren. Produziert werden sie von Essento. Die Schweizer Start-Up-Firma plant, Insekten sowie verarbeitete Insektenprodukte – zum Beispiel Burger und Balls – über Retail und Gastronomie anzubieten, sobald in der Schweiz Insekten verfügbar sind. Sie dürfen notabene aus Hygienegründen nur erhitzt oder anders pasteurisiert in Verkehr gelangen. Vor der Verarbeitung werden sie durch Frosten getötet. Bei Essento betont man, Insekten seien lecker. Sie würden aufgrund ihres Geschmacks von nussig über süss bis sauer in den meisten Kulturen als Delikatessen wahrgenommen. In Asien und Afrika werden sie in der Tat als Ganzes gegessen und einige Arten gelten als Delikatesse. Die Alternative ist Insektenmehl oder Insektenprotein als Rohstoff für zusammengesetzte Produkte wie Riegel oder Burger, die keine Assoziationen ans Tier wecken. Die Konsumentenakzaptanz ist wohl grösser in dieser Form. Ganze Insekten, geröstet oder chocoliert stossen hierzulande zwar teilweise auf Neugier, aber sonst generell auf breite Ablehnung wegen Ekelempfinden und ihrem Image als Schädling, man denke an Mehlwürmer, Kakerlaken und Fliegen. Auch Schnecken erfahren in der Schweiz keine breite Akzeptanz, obwohl in Frankreich eine Delikatesse. Die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaft HAFL in Zollikofen erforschte kürzlich mit Konsumenten-Befragungen, ob «Insekten das Fleisch der Zukunft» seien und stellte fest: Rund 9 Prozent der Befragten sind aufgeschlossen, ein Drittel wartet lieber ab, ist aber nicht grundsätzlich abgeneigt – vor allem wegen den Argumenten Nachhaltigkeit und Gesundheit. Die übrigen können sich Insekten auf dem Menüplan nicht vorstellen. Die Hälfte findet zwar, dass die Pro-Argumente einleuchten, sagt aber trotzdem «Nein danke». Die andere Hälfte kann sich nicht vorstellen, Insekten zu essen. «Es ist somit nicht unmöglich, in der Schweiz Lebensmittel aus Insekten zu vermarkten. Es wird aber Zeit brauchen», folgert Prof. Thomas Brunner, Autor der Studie. Entscheidend sei, dass die Produkte den Geschmack der Neugierigen treffen. Ansonsten sei bei vielen nach dem ersten Versuch bereits Schluss. Der Mensch ist in der Alltagsernährung sehr konservativ. Vor allem bei Grundnahrungsmitteln setzt sich Neuartiges nur langsam durch.
Insektenprojekte bei Micarna
Coop plant die Lancierung von Insektenprodukten in verarbeiteter Form. Bell bearbeitet jedoch keine solchen Projekte. Anders die Migros: Sie sieht das Marktpotentzial von Insekten als sehr interessant. Micarna engagiert am Standort Courtepin einen Insektenprojektmanager. Dazu Jürg Maurer, stellvertretender Leiter Migros Wirtschaftspolitik: «Welche Produkte die Micarna zukünftig aus Insekten herstellt, welche Möglichkeiten und Herausforderungen es gibt und in welchem Zeithorizont die Micarna solche Produkte anbietet, ist noch offen. Die Leitung des Projektes obliegt dem Produktmanager Insekten. Wir rechnen damit, dass wir in rund zwei Jahren erste Produkte auf dem Markt haben.» Insekten sind jedoch kein Rohstoff, der Rezeptkosten spart. «Grundsätzlich sind die Preise vergleichbar mit Fleisch, wobei die Heuschrecken das Entrecôte sind», hört man bei Essento. Auch Urs Fanger, Geschäftsführer des grössten Schweizer Insektenzüchters Entomos sagt: «Der Kilogrammpreis liegt bei importierten Mehlwürmern für den Konsumenten bei rund 30 Franken, bei Grillen bei 120 und bei Heuschrecken bei 160 Franken». Das Hauptargument für Insektenprojekte sind die ökologischen Vorteile. Die Welternährungsorganisation FAO lobt die Entomophagie als nachhaltig: Insekten brauchen als Kaltblüter weniger Futter als Schweine oder Rinder, um die gleiche Menge an Eiweiss zu liefern. Zudem schonen sie das Klima: Mehlwürmer produzieren 10 bis 100-mal weniger Treibhausgase pro Kilogramm Körpermasse als Schweine. Nachhaltigkeit als Kaufmotiv hat eine beschränkte Wirkung, man denke an Bioprodukte. Der Biomarkt erreicht laut Bio Suisse heute 8,4 Prozent. Das Kaufmotiv liegt gemäss einer Studie von AMA Marketing GesmbH eher beim erwarteten Gesundheitsnutzen: «Das mit 90 Prozent wichtigste Kaufargument ist die Erhaltung und Förderung der Gesundheit. Das zweitwichtigste ist der Geschmack und erst an dritter Stelle folgt die Umwelt.» Langfristige Optimierung ist kein primäres Ziel der Konsumenten. Anders in der Wissenschaft: Am Fachgebiet für nachhaltige Lebensmittelverarbeitung der ETH Zürich erforscht Prof. Alexander Mathys auch die Insektenthematik und erklärte kürzlich an einem Vortrag vor Fachleuten der Schweizerischen Gesellschaft für Lebensmittel-Wissenschaft und -Technologie SGLWT langfristige Trends: Die weltweite Proteinlücke liegt im Jahr 2024 nach Zahlen von Lux Research und Bühler AG bei 19 Millionen Tonnen. 96 Prozent des Proteins werden aus Pflanzen stammen. Im 2054 sind 290 Mio. Tonnen zu erwarten und dies mit einer anderen Aufteilung der Quellen: nur 55 Prozent Pflanzen, aber 18 Prozent Algen, 15 Prozent Insekten und 9 Prozent Einzeller. Mathys bestätigt die Qualität des Insektenproteins und vergleicht sie mit Fischmehl. Doch Insekten pauschal als nachhaltigste Lösung zu verkaufen, sei unredlich: «Wie werden die Tiere gefüttert und gehalten? Und wie verarbeitet? Da gibt es viele Aspekte, die man genau anschauen muss.» In den nächsten Jahren will der Forscher zusammen mit Forschungspartnern an der Eawag, Stellenbosch sowie Huazhong Agricultural University die Verarbeitung von Insekten optimieren.
Insekten als effiziente Eiweissquelle
Beim Technologiekonzern Bühler spricht man von einer Eiweissrevolution. Mehlwürmer oder Larven von Soldatenfliegen können jedoch mit industriellen Nebenprodukten oder sogar mit gewissen Abfällen gefüttert werden und sind bemerkenswert effizient: Aus zwei Kilogramm Futtermittel bilden sie ein Kilogramm Insektenmasse. Auch der Platzbedarf ist gering: Auf einem Quadratmeter lässt sich ein Kilogramm Insektenprotein erzeugen. Aber bei Bühler ist man sich bewusst: Es ist unsicher, ob westliche Konsumenten Nahrungsmittel auf Insektenbasis akzeptieren. Deshalb steht derzeit die Verarbeitung zu Futtermitteln im Vordergrund. Aber Bühler-Sprecher Burkhard Böndel «will nicht Insekten gegen Fleisch ausspielen», sondern sieht die Zukunft in einer Kombination. guido.boehler@rubmedia.ch

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