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«Gestalten wir den Umbruch»

Wie stellt die Schweiz ihre Versorgung angesichts der globalen Krisen sicher? Und wie lässt sich die Ernährungswirtschaft resilienter und nachhaltiger gestalten? Spannende Inputs und überraschende Lösungen gab es an der Fachkonferenz Brennpunkt Nahrung.

Rund 300 Personen aus der Agro-Food-Branche nutzten den Anlass zur Inspiration und zum Netzwerken. (Messe Luzern)

Proteine aus der Luft? Tönt nach Science-Fiction, funktioniert aber. Das finnische Unternehmen Solar Foods füttert Wasserstoff-oxidierende Mikroben in Fermentern mit Wasserstoff, CO2 - das mit Direct-Air-Capture-Technologie aus der Luft entnommen wird - und bestimmten Mineralien. Getrocknet ergeben die Bakterien ein senfgelbes Pulver, das sogenannte Solein mit einem Proteingehalt von 65-70 Prozent. Das «Luft-Protein» kann in Pasta, Backwaren oder Fleisch- und Milchalternativen eingesetzt werden. «Wir lösen die Nahrungsmittelproduktion von der Landwirtschaft», erklärte CEO Pasi Vainikka an der Fachkonferenz Brennpunkt Nahrung in Luzern (siehe Kasten). Damit sei die neue Primärkalorie Solein das umweltfreundlichste Nahrungsmittel - vorausgesetzt, der Strom zur Wasserstoffproduktion sei grün. In Singapur hat Solar Foods bereits die Marktzulassung bekommen. Nächstes Jahr rechnet Vainikka mit der Zulassung in der EU. Im Frühjahr soll zudem in Finnland die erste kommerzielle Produktionsanlage für Solein in Betrieb gehen.
Eine Mühle sieht Mehlwürmer als Chance
Solein war eines von verschiedenen Praxisbeispielen für eine nachhaltigere und resilientere Land- und Ernährungswirtschaft, die an der Fachtagung vorgestellt wurden. Die Coop-Tochter Swissmill zum Beispiel, die grösste Mühle der Schweiz, sieht Potential im Mehlwurm. In einer Mühle fallen massenhaft Mühlennebenprodukte an, die bislang direkt an Nutztiere verfüttert werden. Swissmill möchte diese Nebenprodukte nutzen, um inhouse hochwertiges Insektenprotein herzustellen - für die Ernährung von Nutztieren und Menschen. Dazu läuft zusammen mit dem jungen Unternehmen Rethink Ressource seit 2021 das auf fünf Jahre angelegte Pilotprojekt ZOI. In einer Pilotanlage auf dem Gelände von Swissmill in Zürich werden verschiedene Technologien zur Mast und Verwertung der Mehlwürmer getestet. Mehlwurmprotein könne ein nachhaltiger Ersatz für importiertes Soja in Futtermitteln sein und die Abhängigkeit von ausländischen Rohstofflieferanten verringern, erklärte Linda Grieder-Kern, CEO von Rethink Ressource. Das Ziel ist, die Mehlwürmer zu Ingredients wie Proteinmehl, Lipiden oder texturiertem Insektenprotein zu verarbeiten, die sich vielseitig einsetzen lassen.
Essbare Insekten sind auch zentral beim Forschungsprojekt «Food from Wood» der ZHAW, das den Kompostierungsprozess von holzhaltigen Pflanzenabfällen nutzen will, um Speisepilze und essbare Insekten zu produzieren. Die Idee: Verrottendes Holz wird zuerst genutzt, um darauf essbare Pilze wie Seitlinge zu züchten. Wenn das Holz nach zwei, drei Jahren sogenannt weissfaul ist, kommen Käfer zum Einsatz, deren Larven das verrottende Holz zersetzen. Die proteinreichen Larven könnten für die menschliche Ernährung genutzt werden. Der anfallende Kompost kann als Humus in der Landwirtschaft verwendet werden. Eine Pilotanlage im Kanton Glarus gibt es bereits, die Käfer werden aber noch nicht zu Lebensmitteln verarbeitet. «Die Schweiz ist noch nicht bereit für Insekten», sagte Jürg Grunder, teilpensionierter ZHAW-Professor, «wir sind eine Generation zu früh.» Er zeigte sich aber überzeugt vom Potential: «Insekten sind die Kühe der Zukunft.»
Plädoyer für mehr Freihandel
Krisen, Kriege und Klimawandel stellen das globale Handelssystem radikal in Frage, Lieferketten und Handelsströme verändern sich. Wie weiter also mit der Globalisierung? Das war eine zentrale Frage an der Tagung in Luzern. Für Markus Schlagenhof, Chefunterhändler der Schweiz in den WTO- und Freihandelsverhandlungen, ist klar: Gerade weil die Welthandelsorganisation WTO schwächelt, muss die Schweiz ihr Netz an Freihandelsabkommen pflegen und weiter ausbauen. Absatzmärkte und Lieferketten müssten weiter diversifiziert werden, um Abhängigkeiten von einzelnen Partnern weiter zu reduzieren und zusätzliche Versorgungssicherheit zu schaffen. Ein Abbruch der Globalisierung wäre für die Schweiz fatal, einen Aufbruch zu fordern hiesse, die Augen vor der Realität zu verschliessen. «Gestalten wir doch den Umbruch.»
Der Selbstversorgungsgrad (SVG) ist in der Schweiz zu einem hochpolitischen Schlagwort geworden. Die Agroscope-Forscherin Nadja El Benni lieferte zur Debatte Fakten und Anregungen. Der Schweizer SVG sinkt seit Jahren, weil die Landwirtschafts- und Ackerflächen abnehmen und die Bevölkerung wächst. 2021 betrug der Brutto-SVG 52 Prozent. Weitere Herausforderungen sind laut El Benni der Umstand, dass 37 Prozent der Lebensmitteln in der Schweiz verschwendet werden und dass die Bevölkerung zu viel und zu unausgewogen isst. Klimawandel und Krisen reduzierten zudem Verfügbarkeit und Stabilität der Nahrungsmittelproduktion und der Importe. «Die Ernährungssicherheit in der Schweiz ist langfristig nicht gewährleistet.» Not tue eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems: Ackerfläche solle nur für menschliche Ernährung genutzt werden, die Ernährung müsse der Lebensmittelpyramide angepasst und Food Waste reduziert werden. Laut Modellberechnungen könnte die Umweltwirkung des Ernährungssystems damit um 50 Prozent reduziert und der Selbstversorgungsgrad auf 80 Prozent erhöht werden.
Offenheit für neue Züchtungsmethoden
«Die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft ist (noch) gut aufgestellt», sagte Martin Keller, CEO der Fenaco. Aber die Herausforderungen seien gross. Um die Versorgung der Schweiz zu sichern, brauche es eine ökologische Intensivierung der Inlandproduktion, verlässliche internationale Handelsbeziehungen, einen moderaten Ausbau der Pflichtlager und Offenheit für neue Technologien und Züchtungsmethoden. Keller betonte auch, dass die von der Politik verlangte Reduktion der Pflanzenschutzmittel einen negativen Einfluss auf die Produktivität habe. «In den letzten fünf Jahren wurden doppelt so viele Pflanzenschutzmittel gestrichen wie neue zugelassen - das geht nicht auf.»
Als Chefeinkäufer der Migros-Industrie kennt sich Frank Arendt aus mit Beschaffungskrisen aller Art. Er weiss: «Ohne die Analyse der gesamten Lieferkette, inklusive der Lieferketten der Lieferanten, entsteht ein falsches Sicherheitsgefühl.» Mit Lagerhaltung und einem diversifizierten Lieferantenportfolio versucht die Migros, ihre Beschaffungskette resilient zu machen. Nicht jedes Risiko lasse sich aber voraussehen, so Arendt. Dann sei - wie bei Corona oder dem Ukrainekrieg - Agilität gefragt. Spannend: Die Migros-Industrie arbeitet auch mit der Eigenindustrie ausländischer Detailhändler zusammen. Gemeinsam entwickelt man etwa neue Verpackungen oder hilft sich mit Produktionskapazitäten aus.
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Am Puls der Zeit
Die Fachkonferenz Brennpunkt Nahrung vom 7. November 2023 in der Messe Luzern wurde zum Treffpunkt der Agro-Food-Branche. Rund 300 Vertreterinnen und Vertreter entlang der gesamten Wertschöpfungskette nahmen an der Konferenz teil. Mit dem Thema «Globalisierung – Abbruch, Umbruch oder Aufbruch?» habe man den Nerv der Zeit getroffen, sagt Manfred Bötsch, Präsident des Conference Board: «Das Thema ist aktuell und voller Brisanz.» Moderiert wurde der Anlass von SRF-Wirtschaftsredaktor Dario Pelosi.

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